„Feindbild Islam als Sackgasse“ – Welcher Weg ist gangbar?

Im vierten Debattenbeitrag zum Buch “Feindbild Islam als Sackgasse” setzt sich der Autor Peter Backfisch parallel mit den Thesen Frederic Höfers und Simon Kiesslings („Das Neue Volk“) auseinander. Während er Kiesslings Analyse für widersprüchlich und falsch hält, hat er für Höfers Ansatz wesentlich mehr übrig. Backfisch selbst sieht vor allem im Bereich der sozialen Frage sowie der LGBTQ-Propaganda potenzielle Schnittmengen mit muslimischen Migranten, die es zu nutzen gelte.

Ein Debattenbeitrag von Peter Backfisch

Simon Kiessling, Historiker, Philosoph und Übersetzer, hat im Verlag Antaios den Essay „Das Neue Volk“ vorgelegt. Der Titel des Buches suggeriert, dass der Volksbegriff einer neuen Definition bedarf. Aber wie soll das gehen? Ausganspunkt seiner These ist die Feststellung, Rechte und Konservative in Deutschland seien nach der Französischen Revolution Stück für Stück auf dem Rückzug. Sie geben alle bewährte Stellungen und Traditionen auf, weichen zurück. Es ist gleich einem Damm, der das Wasser aufhält, um dann doch wieder einzubrechen. Alles Schützenswerte versinkt in den Fluten. Für Kiessling ein mit Niederlagen gepflasterter Weg. Die Ursachen sind im Verharren auf überholtem Denken des 20. Jahrhunderts zu suchen. Da niemand im rechten und konservativen Spektrum einen Ausweg finden kann, bleibt die Unfähigkeit, Änderungen auf den Weg zu bringen, verschüttet. „Sie verlieren, weil sie etwas wiederherstellen wollen, das zu einer abgelaufenen Epoche gehört. Es ist dringend geboten dagegen eine Zukunftsvision zu entwickeln„. Damit wären wir auch schon beim Kern von Kiesslings Befund des permanenten Scheiterns.

Jüngst erschien im Jungeuropa Verlag der Essay „Feindbild Islam als Sackgasse“ von Frederic Höfer. Das Buch sucht und zeigt Schnittmengen und Potential für eine strategische Neuorientierung im Umgang mit dem Islam. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass inzwischen mehr als 6 Millionen Muslime in Deutschland leben und deren Glaubensbekenntnisse zum Islam fester Bestandteil ihrer praktischen Lebenswelten in Deutschland und ebenso in fast allen westeuropäischen Ländern geworden sind und das auch so bleiben wird. Dies macht es erforderlich, den Umgang mit Muslimen und dem Islam neu zu denken. Die Beibehaltung der aktuell herrschenden Antiislamstoßrichtung ist kontraproduktiv und führt in eine Sackgasse. Höfer fordert von Rechten ein Umdenken und neue strategische Festlegungen.

Im Nachwort des Buches sieht Thor von Waldstein Höfer in „kreativer Gesellschaft“ mit Simon Kiessling und seinem Buch „Das Neue Volk“. Ist das so? Zugegeben weisen beide Denkansätze viele Gemeinsamkeiten auf, dennoch sind doch beide Essays in der Entwicklung konkreter Strategien völlig unterschiedlich. So will Kiessling mit allen neu Hinzugekommenen etwas unbestimmt Neues schaffen, die größte ethnokulturelle Gruppe innerhalb der migrantischen Bevölkerung, die Muslime, erwähnt er nur ein einziges Mal, „die Markierung des Islam als schlechthinnigen Feind, repräsentiert tendenziell altes Denken“ (80). Das war’s dann auch schon.

Da der Text dieser Arbeit zum Kiessling-Buch bereits fertig war, als „Feindbild Islam als Sackgasse“ erschienen ist, werde ich dort, wo ich in Höfers Überlegungen Widerspruch und weitergehende Strategieentwicklungen sehe, diese in den ursprünglichen Text einfügen. Somit verstehe ich Höfers Buch als Korrektiv zum bereits vorliegenden Essay.

Krall, Sellner und Engels

Kiessling untermauert seine Auffassungen durch Bewertungen von Arbeiten dreier „geistiger Protagonisten“, die sich mit der „interkulturellen Identität der Völker Europas und der abendländischen Kultur“ auseinandergesetzt haben. Erstens der „bürgerlichen Revolte und deren bürgerlichen Leistungsträger“, vertreten durch den Buchautor Markus Krall, zweitens der „Reconquista Westeuropas“ durch Remigration der zugewanderten Bevölkerungssegmente, vertreten durch Martin Sellner, den Kopf der identitären Bewegung in Deutschland und Österreich und drittens der „Renovatio (Neubau) des Abendlandes“, vertreten von David Engels, Althistoriker, mit seinem kulturpatriotischen Konzept des „Hesperialismus“, mit dem dieser, einen neuen, christlich-abendländischen Patriotismus entstehen lassen will. Die Verwendung des Begriffs leitet Engels aus der antiken griechischen Bezeichnung für den äußersten Westen der bekannten Welt ab, er versteht sich als Gegenbegriff zur „Europäisierung“ der Europäischen Union.

Allen drei Denkern erteilt Kiessling Absagen. Er bezeichnet deren „Auswege“ als nicht geeignet, die „unterdrückerische Kaste abzuschütteln“. Den Appell Kralls, sich auf das große, heroische Zeitalter des Bürgertums zurückzubesinnen, weist er als wirklichkeitsfremd zurück. Patriotische Ideale, wie eine sich selbst disziplinierende Bourgeoisie, haben längst aufgehört zu existieren. Anstelle dessen ist „das Zeitalter des massendemokratisch-emanzipationsorientierten Menschen getreten“, dem Trieb- und Konsumverzicht fremd sind. Emanzipationsansprüche will dieser unmittelbar, anstrengungslos und sofort befriedigt haben. Auch das Arbeitsethos hat sich verändert, man orientiert sich heute an unmittelbarem Erleben und eben nicht mehr an überkommenden Arbeitsidealen. Einen Weg „zurück wird es nicht geben“. „Nur wer sich mit dieser Tatsache abfindet, kann jenen freien Blick auf die Wirklichkeit gewinnen, den die aktive Gestaltung der Zukunft voraussetzt“.

Sellners identitäre Forderung nach Rückabwicklung der Masseneinwanderung und Remigration der Zuwanderer aus Westeuropa handelt er kurz als realitätsfremd ab. Es sei so illusionär als wenn man „den eingeströmten Menschen im antiken Rom gesagt hätte, sie müssen in ihre Sümpfe zurückkehren“.

Im Gegensatz zu Sellner will David Engels die staatliche Ebene aufgeben, die Städte verlassen und abseits des Mainstreams eine neue kulturkonservative Zivilgesellschaft etablieren, die sich auf jahrhundertealte Werte des Abendlandes bezieht. Diesem Denkansatz kann Kiessling einiges abgewinnen, sieht ihn aber als nicht zu Ende gedacht. Er wirft Engels vor, eine trügerische Hoffnung zu verbreiten, da eine Umkehr zu okzidentaler Größe schlicht nicht mehr möglich ist. Im von Engels formulierten Werkzeug der Etablierung eines Cäsarismus sieht Kiessling eine Rückkehr ins „Geschichtslose“, „in den „primitiven Trakt der Uhrzeit“. Kiessling scheint nicht zu wissen, dass auch Bismarck im Cäsarismus die einzige Lösung sah, um dem Gefühl der ewigen Niederlagen entgegentreten zu können.

Höfer liefert Handlungsszenarien

Das Darstellen der Denkansätze von Krall, Sellner und Engels ist bei Kiessling kurz, unvollständig, abstrakt und widersprüchlich. Dagegen hat Höfers Analyse, der wesentlich umfassender auf zwei der drei genannten Denker eingeht, mehr Substanz, weil aufgezeigt wird, welche weiteren Szenarien möglich sind. Auch für ihn ist der „Point of no Return“ überschritten, und „die multiethnische Realität weder mit humanen noch inhumanen Mitteln rückgängig zu machen.“ Sellner und Engels zeigen, wenn es denn so kommt, Alternativen auf, sie legen quasi einen Plan B vor. Sellner sagt, zum Kampf um Demokratie und Staat (Reconquista) gibt es keine Alternative und falls dieser an der Demographie scheitert, müssen Strategien der Sammlung der patriotischen Kräfte greifen. Ähnliche alternative Szenarien entwickelt Engels, der eine Umkehrung im Bürgerkrieg, Genozid und anderen kriminellen Lösungen ablehnt. Zu Markus Krall ist Kiessling voller Widersprüche. In einem ganzen Kapitel lehnt er seine „bürgerliche Revolte“ ab, um dann im weiteren Verlauf „Wahrung des Mittelstandes“, „Sicherung des Lebensstandards“, „Ein Volk, das sich um einen Eliten-Kern kristallisiert“ zu propagieren. Das könnte Original von Krall sein.

Jetzt wird deutlich: Höfer geht über Kiessling hinaus, der in einer beschränkten Analyse steckenbleibt, nicht das „Was tun“ nennt. Dagegen liefert Höfer konkrete Handlungsszenarien, in deren Kern das Suchen eines kompetenten Bündnispartners gegen alle Volkszerstörungsstrategien gefunden werden soll. Um dies zu erreichen, müssen Rechte und Konservative sich bewegen und geänderte Wertschätzung an den Tag legen.

  1. Akzeptanz der Tatsache, dass Millionen von Muslimen eine substanzvolle Realität geworden sind.
  2. Aufgabe der Vermengung von Migration und Religion sowie Innen- und Außenpolitik als Erbe einer spezifischen Diskurslogik.
  3. Erkennen, dass die Antiislamstoßrichtung ein Bürgerkriegspotential hat und dieses in eine Sackgasse führt.

Kiessling: Ablehnung und Kritik

Kiesslings Buch löst in rechten und konservativen Kreisen Zustimmung, aber auch heftige Ablehnung und Kritik aus. Er selbst versteht sich als Konservativer und will die gesamte Szene zur Selbstkritik und Überwindung der eigenen geistigen Lähmung auffordern. „Blutleeres Vergangenes wird nicht rückeroberbar sein“, Blicke sind auf das tatsächlich Vorhandene zu richten. Einwanderung Fremder aus anderen Kulturkreisen ist gegeben und er fordert Rechte und Konservative auf, die neuen Fremdkulturen durch den Vorgang des Assimilierens und Archaisierung einzugliedern, was zu einem neuen Volksbegriff führen muss. „Dieses Neue Volk („Proto-Volk“), wird nicht mehr nur deutsch oder nur europäisch im engeren Sinne sein, sondern sich aus verschiedener ethnokultureller Herkunft zusammensetzen“. Das ursprüngliche alte Volk wird es dann nicht mehr geben. Sein Schicksal ist sein „Verlöschen“, wie es früheren Hochkulturen immer ergangen ist. An deren Stelle bilden die eingewanderten Menschen neue Zusammenschlüsse, die man Völker nennen muss. Kiessling beruft sich auf Geschichtsphilosophie von Oswald Spengler und Julius Evola, die ein schicksalhaftes Ende der autochthonen Deutschen ebenso kommen sehen wie es auch in Rom, Babylon und Tenochtitlán geschehen ist.  

Das Buch ist umstritten und keineswegs der große Wurf, noch weniger bietet es eine Zukunftsvision. Es trägt gerade nicht dazu bei, die „Augen der Konservativen endlich zu öffnen“. Vieles im Buch ist willkürlich aneinandergereiht. Warum untersucht er die genannten drei Denker, warum nicht andere? Warum finden namhafte Stimmen aus der katholischen wie auch muslimischen Opposition oder/und anderen spirituellen Gemeinschaften keine Erwähnung? Gerade dort finden sich Strategien, der tyrannischen Weltordnung entgegenzutreten, auch für die zivilisierte Welt! Dies nicht durch Berufung auf überholte Werte, sondern auf zeitlose, ewig gültige, wie Glaube, Sprache, Moral, Sitten und persönliche Freiheit und Verantwortung. Anderes bleibt im Dunkeln, wen zählt Kiessling zu den Konservativen, Söder, Merz, Lindner, Weidel, Höcke oder auch andere? Unterschiedliche Personen, die alle konservativ als Selbstbeschreibung nutzen.

Seine Analyse der sogenannten permanenten Niederlagen ist falsch, nicht falsches Auftreten oder Festhalten an Überkommenem, nicht mehr Zeitgemäßem sind die Gründe, sondern die herrschenden Machtverhältnisse, die es den politischen Eliten erlauben, die Menschen über die Medien und den gesamten Kulturbetrieb zu manipulieren. Dieser Aspekt findet keine Erwähnung. Der 2022 verstorbene Privatgelehrte Günter Maschke ist in seinem großartigen Werk „Sterbender Konservatismus und Wiedergeburt der Nation“ deutlicher geworden. Für ihn sind Konservative diejenigen, „die wohl am besten die Verkommenheit der gegenwärtigen Gesellschaft begreifen und ihr gegenüber die stärksten Affekte haben.“ Woran es fehlt, sind Antworten darauf, was zu tun ist, um der marktliberalen Politik des Globalismus entgegenzutreten.

Um zukünftig die angeblichen „permanenten Niederlagen“ parieren zu können, müssen derartige Antworten auf Fragen der Ökologie, was ja vor 1968 ureigenes Thema des konservativen Spektrums war, auf die Soziale Frage, die man durchaus als eine „Neue Soziale Frage“ sehen kann, und letztendlich gegen gesellschaftliche Ausgrenzung, Rückbau von Freiheitsrechten und andere Zumutungen, ausgerichtet sein. Die soziale Frage ist aktueller denn je, sie hat täglich Auswirkungen auf die Lebenswelten vieler Menschen. Warum antworten bei Meinungsumfragen viele AfD-Wähler, sie könnten sich auch vorstellen, zukünftig eine neue „Wagenknecht-Partei“ zu wählen?

Ökologische und Soziale Frage wie auch Beschneiden von ethnokulturellen Rechten (Familie, Erziehung der Kinder, Religionsausübung) durch bevormundende Staatsakte, stellen Schnittstellen für Widerstandspotential dar. Auch muslimische Gemeinschaften haben ein soziales und materielles Sicherheitsbedürfnis. Abgabendruck, Inflation, Wohnungsnot erzeugen reale Problemlagen. Soziale Verantwortung und sozialer Ausgleich innerhalb des muslimischen Gemeinwesens gehören zu deren wichtigsten Werten. Damit bin ich am Ende der Bewertung von Kiesslings Essay und komme abschließend auf die von Höfer so treffend formulierten Anregungen.

Höfer: Multiethnische Realität als Chance

Ausführlich interveniert Höfer gegen das in Westeuropa verbreitete Islamfeindbild, er behandelt die geschichtlichen Wurzeln, wie es dazu kommen konnte. „Gemeinsames Kennzeichen dieser Strömung war u.a. das vollständige Ausblenden der geopolitischen Ursachen.“ Der islamische Extremismus war ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwiegend politisch, nicht religiös motiviert. Zu nennen ist die US-amerikanische Neokolonialherrschaft mit ihren Kreuzzügen vor allem in islamischen Ländern, der traumatische Palästinakonflikt und die zersetzende Dekadenz des Westens in Politik und Kultur. Im Nachwort widerspricht Thor von Waldstein deshalb auch dem sich daraus ergebenden Politslogan: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland ist in Anbracht dessen ein offenkundig realitätsverweigernder Satz.

Höfer sieht in den multiethnischen Realitäten Chancen, um ein gemeinsames „konservatives Widerstandspotential“ zu entwickeln, wobei er durchaus ermahnt, auf Schadensbegrenzungen zu achten. Auf Seite 107f zählt er ausführlich gemeinsame Schnittmengen zwischen dem rechten deutschen patriotischen Lager und dem „Patriotischen Lager (deutscher Muslime)“ auf. Hier sei angemerkt, dass der Autor dieses Textes auch Schnittmengen mit nicht-deutschen Muslimen sieht. Sie ergeben sich aus all den Zumutungen der herrschenden LGBTQ-Ideologie, dem beide „Lager“ tagtäglich ausgesetzt sind und die deren Lebenswelten drangsalieren.

Rechte und Konservative müssen eruieren, mit welchen Muslimen sie kooperieren und politisch agieren können: Welche Bündnisse sind möglich? Denn der Islam hat viele Strömungen, die nicht zu ignorieren sind. Auch die in unserer Gesellschaft lebenden Muslime sind den gleichen Spaltungen unterworfen wie die autochthone deutsche Bevölkerung. Es gibt die Anhänger des politischen (militanten) Islam. Sie verachten in der Regel nicht nur das westliche Lebensmodell und wollen in der Regel unter sich bleiben. Kooperationen in Schicksalsgemeinschaften mit Deutschen streben sie nicht an. Es gibt die, die sich entschieden haben, ihr Dasein im vermeintlich universell-idealen westlichen Mainstream zu verbringen und dessen herrschende Wertetyrannei mit Sympathie und Engagement verinnerlichen und vertreten (Politiker und Journalisten) und es gibt die, die all die genannten Zumutungen zu ertragen haben. Mit ihnen bestehen Gemeinsamkeiten, die es zu nutzen gilt. Dabei muss dieses Spannungsfeld umfassend im Blickfeld bleiben und extremistische Auswüchse im Islam bekämpft werden.

Ein mutiges Buch, das sich auf vermintem Gelände bewegt und sicher zu kontroversen aber offenen Diskussionen führen wird.

Das jüngst im Jungeuropa-Verlag erschiene Buch “Feindbild Islam als Sackgasse” des Autors Frederic Höfer sorgt im rechten Lager derzeit für reichlich Gesprächsstoff. Um diese Diskussion zu kanalisieren, haben wir am Heimatkurier zum Thema ein Debattenforum eröffnet. Du willst mitdiskutieren? Sende uns deinen Debattenbeitrag an: [email protected].

Ihnen gefällt unsere Arbeit? Sie können den „Heimatkurier“ dauerhaft fördern oder einmalig unterstützen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert