Achtung, kontrovers: Der fünfte Debattenbeitrag zum Buch “Feindbild Islam als Sackgasse” stammt vom türkisch-stämmigen Autor Huseyin Özoguz, der eine muslimische Sicht auf die Thesen Höfers präsentiert. Er kritisiert nicht nur die liberale Islamkritik, sondern auch genuin rechte Konzepte wie Remigration und Reconquista und plädiert stattdessen für eine muslimisch-deutsche Zusammenarbeit.
Ein Debattenbeitrag von Huseyin Özoguz
Als deutscher Muslim mit deutschen und türkischen Vorfahren, dessen Vater und Mutter bereits keine andere Heimat als Deutschland kannten, dessen türkischer Großvater väterlicherseits noch vor der Gastarbeiterwelle als Händler nach Hamburg kam und dessen deutscher Urgroßvater mütterlicherseits als Träger des Ritterkreuzes an der Ostfront fiel, habe ich nie die postulierte und gelebte Dichotomie von „deutsch“ und „muslimisch“ akzeptiert – weder von muslimischer noch von nichtmuslimischer Seite. Welcher Widerspruch sollte in mir bestehen, gleichzeitig der letzten Offenbarungsreligion Gottes und der deutschen Identität, kulturell und ethnisch, anzugehören? Ich wusste von Jugend an: keiner. Gegenteiligen unhinterfragten Denkmustern zum Trotz, die unter Muslimen mich als deutschen Konvertiten vermuteten und unter Nichtmuslimen, nachdem sie meinen Namen gehört hatten, als Türken, „der aber sehr gut Deutsch spricht und wie ein Deutscher aussieht“.
Gleichwohl diese Vorurteile nachvollziehbar sind in einer Wirklichkeit, in der die allermeisten, aber nicht sämtliche Muslime in Deutschland oder ihre Eltern aus einer anderen Heimat stammen, und historisch in Deutschland das Türkentum mit dem Islam gleichgesetzt wurde – vergleiche die erste Koranübersetzung ins Deutsche „Die türkische Bibel“ (1772) von Megerlin –, so gründen sie in theoretischen und realen Missverständnissen, von Frederic Höfer in „Feindbild Islam als Sackgasse“ explizit benannt. Nicht nur besitzen fast die Hälfte aller Muslime hierzulande die deutsche Staatsangehörigkeit, wie Höfer zur Anerkennung der Demographie ausführt, die leichtfertig als „Passdeutsche“ abgeschmettert werden könnten, sondern sie kennen keine andere Heimat als ihr Dorf, ihre Stadt und ihr Land. Und diese zunehmende Realität ist die nicht zu verleugnende Zukunft: meine eigenen Kinder haben Großeltern, deren eigene Heimat schon immer Deutschland gewesen ist. Ist es sinnvoll, meine Kinder, die nur Deutsch sprechen, als „Türken der vierten Generation“ zu kategorisieren?
Noch befremdlicher war mir die „Islamkritik“ der Rechten, die sich seit den 2000ern bis heute zu einer Säule rechter Identität entwickelt hat. Teile der Rechten scheinen keine andere Identität mehr zu kennen, keinen inneren Halt als die Ablehnung von Muslimen qua ihrer Religion. Plötzlich ergossen sich unzählige Islamexperten und Anti-Islam-Aktivisten in ihren Eingebungen über die 1400 Jahre alte Buchreligion, faselten vom Eroberungsgeist der Muslime, von der muslimischen Invasion Deutschlands, wollten patriotisch das bedrohte Abendland vor der Islamisierung bewahren, fantasierten vom verschlagenen Muslim, der religiös berechtigt sei zu lügen, um seinen perfiden Unterwanderungsplan zu verbergen. Islam war der neue Feind.
Unter Muslimen in Deutschland ist es verbreitet, dieses Feindbild auf Rassismus zu reduzieren oder auf den intellektuellen Irrtum, Migrationskritik auf Islamkritik zu fundieren. Beide Erklärungen sind unbefriedigend. Höfer erhellt dieses Dunkel und führt schlüssig aus, wie die rechte Islamkritik als durch taktische Erwägungen begreifbares Mittel der rechten Identitätsbildung zu erklären ist, die in den 2010ern überbordende Dominanz gewann, aber sich auf dem 11. September 2001 gründete. Mit der Zäsur der Anschläge verschob sich das Overton-Fenster und pointierte Islamkritik bis zur pauschalen Vorverdächtigung sämtlicher religiöser Muslime gehörte zum Meinungskorridor des Mainstreams: nach Höfer ein höchst erfolgreiches Vehikel für Rechts, im durch den Mainstream vorgegeben Rahmen des Erlaubten einen Anker zu setzen, um Überfremdung und Massenmigration zu thematisieren, ohne sich den Vorwürfen des Fremdenhasses oder der Antisemitismuskeule auszusetzen.
Dieser Strategie war in Zeiten von Anschlägen durch den IS und Massenmigration großer Erfolg beschieden: bisher ungekannte Mobilisierung des eigenen Lagers, Attraktion besorgter Bürger, die die Nähe zu Rechts stets gescheut hatten und Siege der AfD an den Wahlurnen ließen jeden Zweifler verstummen. Gleichwohl blieben die inneren Widersprüche unauflösbar. Nur der Mantel des Schweigens, den Höfer nun gelüftet hat, verschonte das patriotische Lager vor den sich seit Langem aufdrängenden Fragen:
Wie können Konservative traditionelle Familienwerte in Worten preisen, während sie gleichzeitig die Muslime in Deutschland – die in Sachen Ehe und Familie unbestritten überlegen sind – mit den Schwertern „Homophobie“ und „Transfeindlichkeit“ bekämpfen? Wie können sie Schuldkult und fehlende Souveränität Deutschlands anprangern, während sie gleichzeitig dem Apartheidsstaat Israel und dem US-Imperium das Wort reden (AfD), sofern es gegen Muslime opportun scheint? Wie Kulturzerstörung und Sprachdemontage befehden und gleichzeitig geschichts- und kulturvergessen die größte Religionsgemeinschaft Deutschlands zum Feind erklären, die sich nicht der Zersetzung durch Genderwahn und Auflösung deutscher Kultur hingibt? Höfers Erklärung beantwortet nicht allein diese Fragen, sondern impliziert eine notwendige Kurskorrektur – auf beiden Seiten.
Das patriotische Lager muss erkennen, dass die dumpfe Islamkritik der 2010er, so erfolgreich sie auch gewesen sein mag, die wahren Probleme des deutschen Volkes verkennt und nun, wie Höfer zurecht titelt, in einer Sackgasse angelangt ist. Selbst wenn sich die Träume ihrer Vordenker erfüllen sollten, und „Remigration“ und „Reconquista“ realisiert würden – Letzteres ist nebenbei bemerkt eine historische Anleihe einer gewaltsamen Eroberung und Völkervertreibung –, wie erwächst daraus die deutsche Familie? Wie werden Beziehungsunfähigkeit, zerstörerischer Feminismus, geschlechtliche Verirrungen, Homo-Kult und katastrophale Demographie geheilt? Haben etwa die muslimischen Einwanderer diese Dekadenz ins Volk getragen und etabliert? Oder sind sie die einzigen standhaften potenziellen Verbündeten zum Erhalt des deutschen Volkes vor dieser Volksvernichtung historischen Ausmaßes? Wie gewinnt Deutschland dadurch Souveränität von den USA und ihren grünen US-Assets (Baerbock), die uns gerade weltweit Einfluss und Ansehen kosten, was unsere Nachfahren mit Armut und erneuter Demütigung bezahlen werden? Nicht davon zu sprechen, dass solch eine „Remigration“ von deutschen Bürgern aus ihrer Heimat (wohin?) in Bürgerkriegsszenarien (Höfer) enden oder dass sie im Kollaps etlicher elementarer Dienste des Landes münden muss, besonders des Gesundheitssektors.
Und Muslime in Deutschland müssen eine muslimisch-deutsche Identität, die sich in meiner und der nächsten Generation natürlicherweise, aber quälend langsam und chaotisch formt, theoretisch ausarbeiten und beschleunigt implementieren, die die koranisch anerkannte völkische Identität des Menschen hierzulande gründet und den gelebten Islam von einer Ausländerreligion in die Religionspraxis einer angestammten Religion deutscher Muslime überführt.
Bei diesem Prozess gewinnen beide Seiten unmittelbar: Das rechte nichtmuslimische Lager befreit sich aus seiner Sackgasse und kann sich – selbst wenn es damit die Beglaubigung des Mainstreams verliert – auf Erhalt und Voranschreiten der Deutschen ausrichten, statt fehlgeleitete Abwehrkämpfe zu führen und dem politischen Feind damit in die Falle zu gehen. Und die Muslime gewinnen die dringend notwendige muslimisch-deutsche Identität, die den bisherigen Widerspruch einer Ausländeridentität in der zweiten, dritten oder vierten Generation auflöst und sie in ihrer Religion mit einer deutschen Identität verankert. Letzteres würde auch Nichtmuslimen erlauben, Rückgriffe auf muslimische Erfolgsmodelle von Ehe und Familie zu wagen.
Die Schrift von Höfer stellt für mich einen großen Schritt von konservativen Vordenkern im unerforschten Gebiet des Zusammenkommens mit dem fehlidentifizierten Feind dar, dem von muslimischer Seite offen begegnet werden muss. Ressentiments von rechtem Rassismus sowie irregeleiteter pauschaler Solidarität mit illegalen oder gar kriminellen Einwanderern auf muslimischer Seite einerseits und ein Teil des rechten Lagers andererseits, das ohne Islamkritik keine Daseinsberechtigung mehr genießt und Auflösungsängste verspürt, die sich in erratischer, panischer Zurückweisung von Höfers Gedanken äußern, stehen diesem noch langen Weg entgegen.
So ist Aufklärung geboten: Nein, Muslime, Grün-Linke sind nicht eure Verbündeten, denn sie zerstören Land, Familie, Kultur und Religion. Und nein, Rechte, Muslime sind nicht eure Feinde, denn sie werden eure eigene Identität und das Recht deutscher völkischer Selbstbehauptung langfristig stärken. Wenn der Niedergang Deutschlands zumindest in Teilen noch aufzuhalten sein sollte, dann sind wir einander beste Hoffnung.
Das jüngst im Jungeuropa-Verlag erschiene Buch “Feindbild Islam als Sackgasse” des Autors Frederic Höfer sorgt im rechten Lager derzeit für reichlich Gesprächsstoff. Um diese Diskussion zu kanalisieren, haben wir am Heimatkurier zum Thema ein Debattenforum eröffnet. Du willst mitdiskutieren? Sende uns deinen Debattenbeitrag an: [email protected].
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