Joachim Paul (AfD): „Das Nibelungenlied ist tatsächlich ein deutsches Nationalepos“

Der Landtagsabgeordnete Joachim Paul (AfD) beschäftigt sich im Rahmen seiner politischen Arbeit normalerweise mit Themen wie Digitalisierung, Standortsicherung und dem Migrationsproblem. Doch den studierten Germanisten und Lehrer bewegen auch andere Themen: An der „GegenUni“ leitet er aktuell ein Seminar zum Nibelungenlied. Doch warum sollte man sich im 21. Jahrhundert überhaupt noch mit dem gewaltigen Stoff des Epos auseinandersetzen? Über das und viele weitere Fragen haben wir unlängst mit dem Rheinland Pfälzer gesprochen.

Heimatkurier: Sehr geehrter Herr Paul! Provokant gefragt: Warum sollte sich ein Deutscher im 21. Jahrhundert noch mit dem Nibelungenlied auseinandersetzen? Was kann uns das Epos auch noch mehrere hundert Jahre nach seiner Entstehung sagen?

Joachim Paul: Die Nibelungen kannte mal jeder. Kein Werk des deutschen Mittelalters hat eine größere und vor allem Jahrhunderte überspannende Rezeption ausgelöst, als das im Hochmittelalter verfasste Epos. Es spiegelt sich in der Oper, Drama, der politischen Schrift, der Heimatdichtung, der Jugendliteratur sowie in Film und Architektur wider. Die Erzählung diente damit schon immer auch der Selbstvergewisserung, der Sicht der Deutschen auf sich und ihre Zeit. Von daher handelt es sich tatsächlich um ein Nationalepos, das eine Brücke zwischen der vorchristlichen-germanischen Zeit – die sich in der Heldensage der Völkerwanderungszeit spiegelt – und der höfischen Kultur des Mittelalters schlägt. In jener bildete sich der Nationalgedanke heraus und zugleich wurde der Weg in Richtung deutscher Staatlichkeit eingeschlagen. Etwa zur gleichen Zeit dichtete Walther von der Vogelweide das erste Lied der Deutschen, das Hoffmann von Fallersleben im 19. Jahrhundert inspirierte. So heißt es im Sangspruch „Ir sult sprechen willekomen, dass „tiuschiu zuht gât vor in allen.“ – dass das deutsche Wesen besonderen Rang habe. Bei allen durch das Werk sprechenden Mahnungen und aller Kritik an Verrat und Betrug, und hier ist das Epos erstaunlich kritisch, ja geradezu selbstkritisch, stehen die Burgunden und die Nibelungen doch für das Wir, das Eigene.

Wie von Ihnen soeben geschildert, hat das Nibelungenlied für die Deutschen epochenübergreifend eine maßgebliche Rolle gespielt. Warum ist das so und worin genau liegt die Bedeutung des Epos für die deutsche Geschichte und Kultur?

Das Nibelungenlied, das in gebundener Sprache vor einem kundigen Publikum vorgetragen worden ist, zeigt, wie stark den Zuhörern die germanische Sagenwelt bekannt gewesen sein muss. Das Nibelungenlied knüpft an sie an – zwar abgeschwächt, oberflächlich christianisiert sozusagen – aber doch durch viele Beispiele gesichert. Jedem war klar, dass es sich bei Brünhild um die von Göttervater Wotan-Odin verstoßene Walküre handelt, deren übermenschliche Kräfte auf ihre Zugehörigkeit zur Welt der Götter beruhen.

Würden Sie sagen, dass sich gerade Rechte mit dem Nibelungenlied beschäftigen sollten? Wenn ja, wieso?

Weil das die linke Landesregierung in Rheinland-Pfalz ärgert! Zum Beispiel (lacht). Auf meine Große Anfrage Das Nibelungenlied und seine Bedeutung für Rheinland-Pfalz (Drucksache 17/13523) wurde folgendermaßen geantwortet: das Nibelungenlied „dürfe keinen überhöhten Stellenwert haben, weil jedes Heldenepos auf der Grundlage des Kampfes, d.h. des unaufhebbaren Gegeneinanders beruht“, es eigne sich damit nicht als „besonderer landespolitischer Orientierungspunkt“. Zudem werde das Epos „nicht mehr als Dokument der Rekonstruktion der Anfänge der Nationalgeschichte gelesen, was sich als haltlos, ahistorisch und verfehlt erwiesen“ habe. Es wundert nicht, dass diese Art Dekonstruktion offizielle Regierungspolitik ist, die sich auch in der Bildungspolitik spiegelt.

Stimmen diese Einwände denn nicht?

Die Heldensage stellt vorbildhaft Krieger dar, die über das bloße Menschsein hinauswachsen und die Sittengesetze und Ehre über das eigene Leben stellen. Besiegt ist nach dem Verständnis der Heldensage nur jener, dessen Kampfes- und Selbstbehauptungswillen gebrochen werden kann. Die in Etzels Halle untergehenden Burgunden bleiben nach diesem Verständnis unbesiegt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Gegenüber ja nicht immer feindliche Krieger sind, sondern oftmals die Gemeinschaft bedrohende Ungeheuer und Unholde, so wie der Troll Grendel, der von dem angelsächsischen Helden Beowulf, dem Bienenwolf, ein Kenning für Bär, erschlagen wird. Der Blick auf die Heldensage von der Warte der zeitgenössischen Friedensforschung aus ist geradezu albern – unzählige Forschungsarbeiten der Volkskunde, Kulturanthropologie und Germanistik haben den hohen gesellschaftlichen Wert der Heldensage beschrieben. Übrigens verweist der unbekannte Dichter des um 1000 entstandenen Beowulf auf den Drachenkampf des Sigmund. Auch wenn hier Siegfrieds Vater angesprochen wird, zeigt dieser Verweis die zentrale Bedeutung der Siegfriedsage und des Drachenkampfes für die gesamte germanische Welt. Es ist barer Unsinn, davon zu reden, dass Nibelungenlied stünde nicht mit den Anfängen der Nationalgeschichte in Zusammenhang. Allein die Überlieferung und die jahrhundertelange Rezeption sind Beleg genug. Wir müssen uns vor Augen halten, dass das Lied vor der Aufzeichnung über Generationen hinweg erzählt und gesungen wurde und damit für die Identitätsstiftung von besonderer Bedeutung gewesen ist.

Angesichts der historisch-kulturellen Bedeutung des Nibelungenlieds stellt sich die Frage: Findet das Epos an den deutschen Schulen und den Lehrplänen aus Ihrer Sicht noch genügend Beachtung? Falls nein, woran liegt das?

Das Nibelungenlied hat im Deutschunterricht einen schweren Stand, zumal sich kürzere mittelhochdeutsche Texte wie Lieder und Gedichte stärker anbieten, weil sie eingängiger sind. Natürlich spielt die Bildungspolitik hier auch eine Rolle. Sie reduziert das Germanische nach wie vor auf die überschießende Würdigung und Instrumentalisierung in der Zeit des Nationalsozialismus. Unter diesen Generalverdacht fällt auch das Nibelungenlied. Dabei ist gerade gegenwärtig eine ungebrochene Begeisterung förmlich mit den Händen zu greifen. Denn die germanische Sagenwelt ist popkulturell so stark präsent wie vielleicht nie zuvor, man denke nur an die Netflix-Serie „Vikings“ – die allerdings mittlerweile durch „woke“ Verzerrungen an Strahlkraft eingebüßt hat – oder Robert Eggers Meisterwerk „The Northman“, das ich für äußerst authentisch halte. Übrigens dürfte das Begräbnis des Jarls von Kattegatt in einer der ersten Folgen der „Vikings“-Serie auf einer historischen Quelle beruhen: dem in einem osmanischen oder persischen Archiv gefundenen Reisebericht des Arabers Ahmad ibn Fadlan. Er reiste Anfang des 10. Jahrhunderts als Gesandter des Kalifats der Abbasiden zu den Wolgabulgaren und traf dabei auf die Kiewer Rus, auf Germanen oder Wikinger. Zudem stößt die allgegenwärtige Begegnung mit dem Fremden immer auch die tiefergehende Beschäftigung mit dem Eigenen an. Was macht uns aus, was die anderen? Das ist ja das unauflösbare Paradoxon der von oben verordneten multikulturellen Gesellschaft, dass sie diese Entwicklungen geradezu antreibt.

In Rheinland-Pfalz finden jährlich die Nibelungenfestspiele statt. Werden diese dem Epos gerecht? Wie sieht dem gegenüber Ihre persönliche Vision einer gelungenen Würdigung des Werkes aus?

Die aufgeführten Stücke sind von unterschiedlicher Qualität, die Einrichtung des Festivals halte ich aber für eine gute Idee. Immerhin liegen ja wesentliche Schauplätze der Erzählung in Rheinland-Pfalz – zum Beispiel Worms. Eine gelungene Aufführung sollte nach meiner Auffassung die ganze Tragik, die in der Handlung des Epos liegt, auf die Bühne bringen – denn die Figuren handeln für sich genommen richtig und begründet, ihren Bindungen gemäß, werden aber gleichwohl schuldig. Schuldlos schuldig.

Sie selbst halten an der GegenUni aktuell ein Seminar über das Nibelungenlied. Was fasziniert Sie persönlich an dem Epos? Wie wurde Ihr Seminar bislang angenommen?

Es gibt Szenen, die mir seit Jugendtagen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Um ein Beispiel zu nennen: Hagen und Volker auf Wache vor Etzels Halle, die Art und Weise wie Volker den „grimmigen“ Wolfhart verspottet, der mit gezogenem Schwert zum Kampf bereitsteht. Als er sagt, dass Hildebrand ihm verboten habe zu kämpfen, entgegnet Volker, dass es demjenigen wohl am Heldensinn mangele, der alles erfülle, was der Herr, der Gefolgschaftsführer, geradewohl verlange. Und schaut nach Hagen, der Volker zustimmt. Auch wenn es nicht im Primärtext steht, man hat förmlich ein Bild vor Augen: Volker und Hagen schütteln lachend die Köpfe. Über 1000 Jahre liegen zwischen uns und dieser Szene! Ich freue mich über den großen Zuspruch, den das Seminar erfährt. Die GegenUni hat wirklich großes Potential. Sie zeigt nämlich, dass sich Identitätsstiftung, differenziertes Denken und Faktentreue überhaupt nicht ausschließen. Sie bietet damit eine geistige Freiheit, die im zeitgeistigen Wissenschaftsbetrieb schon längst auf dem Rückzug ist.

Abschließend für diejenigen, deren Interesse durch das Gespräch geweckt wurde, eine pragmatische Frage: Wie schafft man am besten den Einstieg in die Lektüre des Nibelungenliedes?

Man sollte sich zunächst die Darbietung des Liedes von Eberhard Kummer ansehen und sich dabei eine Halle auf einer Burg vorstellen, in der Frauen und Männer dicht gedrängt sitzen oder stehen und dem Sänger zuhören. Und das bei Kaminfeuer. Es gibt zahlreiche gute Übertragungen, die den mittelhochdeutschen und neuhochdeutschen Text nebeneinanderstellen und erläutert sind. Man sollte sich unbedingt einmal darin versuchen, laut in Mittelhochdeutsch vorzutragen und sich dabei vor Augen führen, dass in unserer Sprache die großen höfischen Epen des Mittelalters gedichtet worden sind. Darin spiegelt sich eine Hochkultur, die keineswegs finster war.

Welche Nacherzählungen würden Sie beispielsweise empfehlen?

Neben dem Libretto von Wagners Ring des Nibelungen, Joachim Fernaus Disteln für Hagen zur Einführung. Albert Bauers Hagen von Troneck, welches in den Zwanzigerjahren entstanden ist, orientiert sich an der Völkerwanderung. Werner Jansens Das Buch Treue (1925) ist politisch stark aufgeladen, entsprechend wird Siegfried dargestellt. Wolfgang Holbeins Hagen von Tronje soll wohl Grundlage einer geplanten Neuverfilmung sein. Das ist interessant, weil er Hagen in ein eher günstiges Licht rückt. Holger Höcke hat jüngst die Geschichte in zwei Bänden erzählt, Kriemhild und ihre Brüder und Kriemhilds Rache widmen sich der politisch geschickten und zu allem entschlossenen Rächerin.

Sehr geehrter Herr Paul, herzlichen Dank für das Gespräch!

Joachim Paul (AfD) ist seit 2016 Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz und leitet aktuell als GegenUni-Dozent ein Seminar zum Nibelungenlied: Wovon handelt das Nibelungenlied? Was bewegt die Helden der Handlung? Welche wiederkehrenden Motive lassen sich im Werk finden? Welche tieferen Konflikte werden hier literarisch dargestellt? Welche Botschaft versucht das Nibelungenlied zu vermitteln? Eine kurze Einführung ins Mittelhochdeutsche anhand ausgewählter Textstellen ist ebenso Bestandteil des Kurses wie ein ausführliche Behandlung der langen Rezeptionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts anhand konkreter Beispiele. Joachim Paul, MdL führt seine Zuhörer fachkundig durch Stoffe, Entstehung, Inhalt und Deutungen dieses wichtigen Werks.

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