Alexander Dugin kritisiert die Moskauer Elite nach der Meuterei durch Wagner-Chef Prigoschin heftig und fordert einen radikalen Austausch der Führung. Ein wichtiger Aspekt seiner Kritik: Das fehlende weltanschauliche Fundament der handelnden Akteure. Damit kann die Dugin-Kritik auch als Warnung und Richtschnur für Politiker der AfD und FPÖ dienen, meint AUF1-Chefredakteur Stefan Magnet in seinem Kommentar.
Ein Kommentar von AUF1-Chefredakteur Stefan Magnet
Der wichtige russische Ideologe Alexander Dugin spricht nach dem Putsch-Versuch vom Samstag offen von „Schwächen des russischen Systems“. Er geht noch weiter und fordert von Putin eine sofortige „Rotation der Eliten„. Die aktuelle russische Führungsschicht nennt er „verabscheuungswürdig„. Was aus politischer und historischer Sicht hochspannend ist: Putin wählte bei seinem Aufstieg einen Weg der Stärke und der Macht – aber: Er vertrat bewusst keine Weltanschauung oder Ideologie. Genau dieses fehlende Fundament könnte jetzt katastrophale Auswirkungen haben.
Fehlendes weltanschauliches Fundament
Putin sprach all die Jahre immer wieder von Stärke, von Haltung und vom Vaterland. Seine Tat und sein Vorbild erfüllten diese Begriffe mit Leben. Er sprach vom „russischen Mutterboden“ und entmachtete die kriminellen Öl-Oligarchen um Chodorkowski. Er sprach machtvoll von Souveränität und holte sich die Krim, später, nach dem Votum, kam er der Ost-Ukraine zu Hilfe.
Wenig erklärte und sagte er hingegen, als er hunderte andere Oligarchen unbeschadet ließ. Oder sich sogar mit ihnen arrangierte. Etwa mit dem am Wochenende zu Bekanntheit gelangten Jewgeni Prigoschin, der nicht nur Anführer der Wagner-Truppe ist, sondern als Mafia-Mitglied zehn Jahre im Knast saß (vor Putins Zeit) und mit dubiosen Seilschaften eine Restaurant-Kette aufzog. Ein Millionengeschäft. Putin unterstützte ihn stets. Auch bei der nicht offiziellen Söldner-Truppe Wagner.
Putin vermied verbindliche Grundsätze, vermied jede Weltanschauung. Er, nur er, gab Richtung und Weg vor – vermied dabei aber stets Ideologie. Eine einende Weltanschauung. Das war in einer scheinbar post-ideologischen Welt zeitgemäß und zweckmäßig. Auch Europas Rechtsparteien wandten sich in den letzten Jahrzehnten von den vorbelasteten Ideologien ab und wählten vielfach moderne Beliebigkeit. Höchstens getraute man sich, sich „konservativ“ oder „liberal“ zu nennen. Nur keine Schublade!
In Parteiakademien lernen angehende, aber auch mit Ämterwürden berufene Mandatare von „Rhetorik“ und „Psychologie“ und richtiger Spesen-Abrechnung. Aber sie lernen nichts über historische Zusammenhänge, ideologische Gesetzmäßigkeiten, Naturgesetze oder Strategie und Taktik. Fehlende Vorgaben führen zu Vielfalt, was manchmal gut sein mag. Aber bei einem Hausbau beispielsweise ist es nicht gut. Wird beim Haus-Fundament neben Beton und Baustahl zu viel Sand, Wasser und vielleicht gar auch noch Holz, Mehl und Milch verwendet, könnte das Fundament völlig untauglich sein – und später eine Katastrophe verursachen.
In der Politik ist es ähnlich: Die FPÖ des Jörg Haider zog ideologiefreie Karrieristen an, die AfD tut das in gewissen Regionen heute noch. Strategische Fehlentscheidungen, Anbiederungen an den Gegner, Feigheit vor dem Feind sind fast immer die Folge, da der Politiker, dem das geistige Rüstzeug, das weltanschauliche Fundament fehlt, gar nicht weiß, wofür er eigentlich kämpfen sollte, wenn es ernst wird.
Dugin: verabscheuenswürdige Eliten
Da Putin Ideologie stets vermied, konnte er eine größtmögliche Einigung Russlands erreichen. Alle, die sich seinem machtvollen Weg anschlossen, trugen sein Bild vom Vaterland und vom russischen Patriotismus mit. Und es war ein langer Weg des Erfolgs und Erfolg wirkt anziehend.
Der Philosoph und Ideologe Alexander Dugin sieht das bekanntermaßen kritisch. Er hat mit seiner „Vierten Politischen Theorie“ eine eigene Ideologie geschaffen und es keineswegs zum „Chef-Ideologen Putins“ oder gar zum „Hirn Putins“ geschafft, wie ihm das viele Medien unterstellen – und was er vermutlich gerne erreicht hätte. Er kritisiert das fehlende ideologische Fundament bei Russlands Elite, denn ohne dieses hätten sich zahlreiche dubiose Gestalten in der Führungsriege in Moskau festgesetzt.
Zitat Dugin am Tag nach dem Putsch-Versuch: „Es hat sich herausgestellt, dass viele den Präsidenten und das Volk benutzen, indem sie im Verborgenen und scheinbar in seinem Namen handeln, aber die Rettung des Vaterlandes in einer kritischen Situation ist nicht ihre Spezialität.“ Und er ergänzt: Dass die Eliten in der Stunde der Not nicht öffentlich für Putin Stellung bezogen hätten, wäre „verabscheuungswürdig„.
Tatsächlich hatten bei früheren Putsch-Versuchen hochrangige Militärs und Eliten öffentlichkeitswirksam für den Präsidenten Stellung bezogen. Etwa 1991 für Gorbatschow. Der Aufstand wurde im Keim erstickt. Diesmal war alles erstaunlich ruhig – Putin musste gar seinen Freund, den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko, zu Hilfe holen.
Nur eine Lösung: Patriotische Ideologisierung
Ideologe Dugin rät zu radikalen Maßnahmen. Die russische Führung wäre durchsetzt mit Personen, denen man nicht länger trauen könne. Sie hätten in der Stunde der Entscheidung versagt, sich versteckt.
Wenn schon bei Aufbau des russischen Reiches auf das Fundament vergessen wurde, so müsste dies jetzt schleunigst nachgeholt werden. Dugin schreibt auf Twitter wörtlich:
To face a direct challenge to the sovereignty of the Supreme Commander-in-Chief [Putin, ed.] there was not a single figure strong and courageous enough among his entourage. Only Sovereign Lukashenko, together with Sovereign Putin himself, confronted him. With what happened it… pic.twitter.com/8MzkwlOsdy
— Alexander Dugin (@Agdchan) June 25, 2023
„Es gibt nur eine systemische Lösung: die sofortige und wirklich patriotische Ideologisierung der herrschenden Klasse und eine Rotation der Eliten. Nur von einer gut ausgebildeten Elite kann man erwarten, dass sie in einer Notsituation heldenhaft ist und sich angemessen verhält. Wir brauchen keine Elite wie die jetzige, wir brauchen eine souveräne Elite, sonst wiederholt sich alles. Die Schwächen unseres Systems wurden gestern in vollem Umfang gezeigt, aber wir sahen auch den Willen Putins, die wahre Freundschaft Lukaschenkos und die volle und kompromisslose Unterstützung unseres Präsidenten durch alle wahren Patrioten. Viele von ihnen denken wie Prigoschin, unterstützten aber Putin in einer kritischen Situation, und das ist viel wert.„
Ob man Apparatschiks, die ihre Gewohnheiten noch aus der Sowjet-Ära mitbrachten und in den letzten Jahrzehnten weiter verfestigten, nachträglich „ideologisieren“ kann, darf bezweifelt werden. Und eine Rotation? Woher plötzlich hunderte, ja tausende Polit-Kader zaubern? Vermutlich empfiehlt sich Dugin hier selbst und seine Denkfabrik. Nach einer machbaren Lösung klingt es nicht.
Aber nach einer messerscharfen Kritik, die nur unterstreicht, was unsere Redaktion in einem ersten Kommentar am Samstag schon vermutet hatte: Putin fehlt der Rückhalt bei seiner Elite. Mitten im Krieg sind solche Offenbarungen in den wenigsten Fällen nützlich – in ganz wenigen Fällen heilsam. Ob Putin auch diese scheinbar schlechte Lage zu seinem Vorteil nutzen kann?
Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei AUF1.info erschienen und wurde mit freundlicher Genehmigung übernommen.
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