Häufig wird Ungarn unter Viktor Orbán von deutschen und europäischen Rechten als Vorbild angeführt. Doch die vielgepriesene „Orbanisierung“ passierte nicht von heute auf morgen – ihr ging ein jahrelanger Kampf um die kulturelle Hegemonie voraus. Wir konnten mit Márton Békés, einem der zentralen Akteure der ungarischen „Kulturrevolution von rechts“, sprechen.
Viktor Orbán kennt hierzulande jeder – Márton Békés dürfte hingegen nur den Wenigsten ein Begriff sein. Dabei ist er einer jener Männer, ohne den die „Orbanisierung“ Ungarns nicht denkbar gewesen wäre. Er bereite – gemeinsam mit zahlreichen anderen Mitstreitern – in Ungarn den Boden für eine „Kulturrevolution von rechts“. Grund genug, mit dem sympathischen Historiker und Gramsci-Kenner ein ausführliches Gespräch zu führen.
Lieber Márton! In Ungarn wurdest du einmal als „der raffinierteste Propagandist des ungarischen ethnonationalistischen Regimes“ beschrieben. Könntest du dich unseren Lesern in Deutschland und Österreich in deinen eigenen Worten vorstellen?
Mein Name ist Márton Békés, 1983 geboren an der westlichen Grenze Ungarns, unweit der österreichischen Grenze. Meine Heimatstadt heißt Szombathely oder auf Deutsch Steinamanger. Ich bin Lutheraner, habe eine wundervolle Frau und einen fantastischen Jungen namens Lázár. Ich denke, das ist das Wichtigste, das man über mich wissen muss. Der Rest ist beruflicher und politischer Natur.
Ich bin promovierter Historiker und habe zusätzlich einen Abschluss in Politikwissenschaften. Seit den 2000ern bin ich Teil der ungarischen rechtsnationalen und jungkonservativen Strukturen. Nachdem 2010 der konservative Regierungswechsel erfolgt ist, arbeitete ich bis 2014 bei der jungkonservativen Website „Jobbklikk“ und war gleichzeitig Programmherausgeber beim rechten Nachrichtensender „HírTV“. Seit 2014 bin ich Forschungsdirektor am Haus des Terrors in Budapest und seit 2019 außerdem Direktor des Think-Tanks „21st Century Institute“. Seit 2018 bin ich zudem Chefherausgeber der nationalkonservativen Vierteljahresschrift „Kommentár“.
In den letzten 15 Jahren habe ich acht Bücher veröffentlicht und war Koautor von drei Büchern und 15 Sammelbänden. Meine letzten Bücher handeln von Kulturhegemonie und nationaler Integration. Das erste davon wurde 2020 veröffentlicht – man kann eine Kurzfassung davon auf Englisch lesen (Cultural Warfare: Theory and Praxis of the cultural power). Das letztere erschien in vergangenen Wahlkampfjahr unter dem Titel „National Block“ und wird Ende des Jahres im Jungeuropa-Verlag erscheinen. Kurz gesagt: Ich bin ein rechtskonservativer, ungarischer Nationalist.
Du beschäftigst dich in deinen Büchern ausführlich mit Gramscis Theorie der „kulturellen Hegemonie“. Kürzlich ist im „Hungarian Conservative“ ein Artikel von dir erschienen, der die Bedeutung kultureller Macht für die politischen Entwicklungen in Ungarn aufzeigt. Kurz zusammengefasst: Warum ist kulturelle Hegemonie wichtig?
Weil Kultur an erster Stelle kommt und dann die Politik. Die Situation ist das Gegenteil von dem, was wir denken. Der kulturelle Überbau ist wichtiger als die politisch-wirtschaftliche Grundlage. Kurz gesagt: Materialisten – sprich Kommunisten und Kapitalisten – haben Unrecht – Gramsci lag hingegen richtig. Die rechten politisch-kulturellen Kräfte von heute sind die gleichen, die Gramsci bereits in seinen „Gefängnisheften“ von 1929 bis 1935 behandelte. Ich habe Italienisch gelernt, um Gramsci im Original zu lesen und merkte, wie ernst er über die „egemonia culturale“ (zu Deutsch: kulturelle Hegomonie) schrieb, welche er für die Erringung langfristiger Herrschaft – im Gegensatz zu kurzfristiger Macht – als unbedingt notwendig erachtete. Ich bin also ein „Gramscist von rechts“. Meiner Meinung nach brauchen wir eine „Kulturrevolution von rechts„, wie bekanntlich der deutschsprachige Titel des Buches von Alain de Benoist lautet.
Auch in der deutschen Rechten werden die Ideen Gramscis seit längerem rezipiert. Doch wie kommt man von der Theorie in die Praxis? Wie kann die Rechte konkret kulturelle Hegemonie erlangen?
Wenn man wissen möchte, wie man von Theorie zu Praxis kommt, muss man das exzellente neue Buch meines Freundes Benedikt Kaiser lesen, „Die Konvergenz der Krisen“: Es braucht Bücher, Magazine, Institutionen und Think Tanks – also in anderen Worten: Texte, Diskurse und kulturelle Infrastruktur. Nachdem den Linken seit 1968 – wie Rudi Dutschke sagte – ihr Marsch durch die Institutionen gelungen ist, müssen wir nun rückwärts marschieren. Es wird eine lange Reise – vielleicht zweimal so lang – aber sie kann auch erfolgreich sein.
Eines der wichtigsten Werkzeuge kultureller Macht sind die Medien. In Ungarn ist es gelungen, die erdrückende Hegemonie und Dominanz linksliberaler Journalisten zu brechen. Kann das auch in anderen europäischen Ländern gelingen? Wenn ja, wie?
In Ungarn gab es nach der Sowjetbesatzung von 1944-45 bis zum Übergang in den Jahren 1989-90 eine extrem linke Hegemonie unter kommunistischer Diktatur, die alle Sphären der Kultur und Öffentlichkeit von oben bis unten regierte. Akademie, Schulen, Verleger, Zeitungen, Rundfunkanstalten und das gesamte öffentliche Leben, inklusive der Sprache, der Mentalität sowie des Alltags. In der Übergangsphase änderte sich zunächst die Einbettung der Verfassung, des Rechts, der Wirtschaft und der internationalen Politik (seit 1990 sind wir ein Rechtsstaat und eine Marktwirtschaft und sind EU und NATO beigetreten). Die Kultur blieb allerdings unverändert. Deshalb gab es von 1990 bis 2010 in Ungarn eine postkommunistische, politisch-ökonomische Vorherrschaft mit liberaler Kulturhegemonie. Die progressive linksliberale herrschende Klasse – unter ihnen die wirtschaftliche und kulturelle Elite – dirigierte als Puppenspieler die Medienanstalten und kulturellen Strukturen – sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privaten. Langsam aber sicher ist die Kulturhegemonie in den letzten anderthalb Jahrzehnten umgeschwungen – als Resultat einer zweifachen kulturellen Kriegsführung. Einerseits erlangten rechte politische Kräfte die Staatsmacht, sodass sie die politisch-kulturelle Landschaft (Staatsmedien, nationale Museen, Regierungsinstitutionen und große Universitäten) umgestalten konnten. Auf der anderen Seite – bereits mit Anfängen vor 2010 und hauptsächlich danach – gedieh auf rechter Seite ein enormes „intellektuelles Organ“. Dieses besteht aus Intellektuellen, privaten Medienanstalten und einem Ökosystem verschiedener Think-Tanks. All das ist das Ergebnis kontinuierlicher politischer und kultureller Arbeit.
In Ungarn gab es bereits zwischen 1990-1994 sowie 1998-2002 jeweils eine rechte Regierung – diese waren letztlich erfolglos. Was war das Problem und was hat sich zwischen 2002 und 2010 – dem Regierungsantritt der Fidesz unter Viktor Orbán – geändert?
Die nationalkonservativen Kräfte – unter ihnen die Wähler, Parteien, Intellektuellen und natürlich Viktor Orbán – haben eine Menge aus der Wahlniederlage von 2002 gelernt. Von 2002 bis 2010 brachte die Fidesz das Volk hinter sich, formte ein strategisches Bündnis mit den Christdemokraten und suchte nach den Themen, die dem Volk am wichtigsten waren. Nach dieser achtjährigen Arbeitsphase war die Rechte in Ungarn die größte politisch-soziale Macht des Landes. Ich denke, es ist dieser Arbeit zu verdanken, dass wir seit 2010 in Ungarn nicht nur ein anderes politisches Regime haben, sondern in einer ganz neuen Epoche leben.
Das Beispiel Fidesz aus den 90ern zeigt, dass man in einer Regierung sein kann, ohne tatsächliche Macht zu besitzen. Auch die FPÖ war in Österreich bereits mehrmals in der Regierung, zuletzt zwischen 2017 und 2019. Das endete abrupt mit einem medial inszenierten Putsch und dem Ende der Koalition. Hat die FPÖ es verabsäumt, zuvor die kulturelle Hegemonie zu erringen?
In Ungarn lässt sich unser großes Problem folgendermaßen beschreiben: Von 1990 bis 1994 und von 1998 bis 2002 hatten wir zwar Macht aber keine Herrschaft. Ihre Frage bezieht sich auf dieses gemeinsame Problem. Die liberale kulturelle Hegemonie und der steigende Einfluss auf innere Angelegenheiten durch externe Mächte (Amerikanische Außenpolitik, EU-Bürokratie, Soros-NGOs) sind sowohl in Österreich als auch in Ungarn dieselben. Damit wir 2010 unseren Sieg erringen konnten, mussten wir als ungarische Rechte zwei Probleme erkennen und lösen, die letzten Endes gleicher Natur sind. Zuerst mussten wir den sogenannten Konformitätszwang vergessen und unseren eigenen politischen und kulturellen Weg kreieren. Die zweite Mission war es, die Instrumente kultureller Hegemonie zu ergattern. Ich denke die Rechte in Österreichs ist nicht zu spät dran, aber es gibt noch eine Menge Arbeit. Österreich hat sein eigenes Erbe und muss stolz darauf sein.
In Deutschland erzielt die AfD aktuell historische Umfragewerte (22 Prozent bundesweit, über 30 Prozent in einigen Regionen). Umfragen in Österreich weisen die FPÖ als stärkste Kraft aus. Welchen Tipp würdest du beiden Parteien jetzt geben? Wie kann man diese Werte konkret in politische und kulturelle Macht umwandeln? Welche Fehler sind zu vermeiden?
Ich stehe den Projekten der AfD und der FPÖ mit großer Sympathie entgegen und unterstütze sie beide. Ich bin ein langjähriger Abonnent der „Sezession“ und habe bereits zwei Artikel dafür geschrieben. In Deutschland haben die Systemparteien die politische und kulturelle Hegemonie. Zusätzlich ist die gesamte Bundesrepublik von US- und EU-föderalen Kräften besetzt. Meiner Meinung nach besteht in einer solchen Situation die einzige Lösung in einer stetigen politisch-kulturellen Mobilmachung des ganzen Volkes. Und mit welchem politischen Programm? Gegen Einwanderung, gegen Euroföderalismus, gegen amerikanische Stellvertreterkriege – ja, auch für einen solidarischen Patriotismus, für den Nationalstaat und für die eigene deutsche Kultur.
Das Ungarn unter Viktor Orbán ist für viele europäische Rechte zum politischen Vorbild geworden. Doch die meisten sehen nur die machtpolitische „Oberfläche“ und ignorieren die kulturelle Dimension. Was sollte die Rechte in Europa vom ungarischen Kulturkampf lernen?
Unser ungarischer Kampf wird für unsere Kultur ausgetragen, nicht gegen eine andere. Arthur Moeller van den Bruck sagte einst: „Jedes Volk hat seinen eigenen Sozialismus„. So sage auch ich, dass jedes Volk seinen Kampf für seine eigenen Kultur austragen muss. Wir können jedoch kooperieren und voneinander lernen sowie Taktik und Strategie besprechen. Wir Ungarn können für die Rechte in Europa mit unserer starken Identität und unserem Kampfesmut als Vorbild dienen.
Abschließend: Wie lautete deine Botschaft an die Rechte in Deutschland und Österreich?
Mein Motto lautet: Zurück zur Kultur. Wenn man effektive Metapolitik ausübt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man auch politische Macht erlangt. Je länger man dann regieren kann, desto tiefer kann man in das kulturelle Feld vordringen. Daher ist Kultur entscheidend!
Lieber Márton, herzlichen Dank für das Gespräch!