Morgen wird in Österreich der Nationalfeiertag begangen – neben dem Staatsfeiertag am 1. Mai einer der beiden großen Tage der Republik. Doch auch der heutige 25. Oktober ist ein Grund zu feiern. Wir verraten unseren Lesern warum – und liefern nebenbei eine kurze Betrachtung der durchaus turbulenten Geschichte des österreichischen Nationalfeiertags.
Staatliche begangene Feiertage haben das Ziel das Bekenntnis zum Staat zu festigen und Ausdruck einer gemeinsamen Identität zu sein. Daher beziehen sich Staats- bzw. Nationalfeiertage meist auf ein Datum, das sich auf die Staatsgründung oder die Erlangung staatlicher Unabhängigkeit bezieht. Oder eben auf ein historisches Ereignis, das das kollektive Selbstwertgefühl des Volkes positiv beeinflusst. Für die Republik Österreich war es einst durchaus schwierig, ein hierfür geeignetes Datum zu finden.
Unfreiwillig frei
Gab es in der Monarchie noch den Geburtstag Kaiser Franz Josefs am 18. August, der dem ganzen Volke als Staatsfeiertag diente, war es nach 1918 nicht mehr ganz so leicht mit dem Feiern. Die Republik Österreich war keine Frucht zähen Kampfes oder selbstgewähltes Ziel der Bevölkerung. Sie war sowohl 1918 als auch 1945 ein Resultat weltpolitischer Entscheidungen, an denen die Österreicher selbst keinen gestalterischen Anteil hatten. Nach den verlorenen Kriegen war das Land Verwaltungsmasse der Sieger. Sie gaben Zugehörigkeit, Grenzen und zukünftige Staatsform vor. Die Bewohner des Landes hingegen waren Statisten. Für sie war sowohl die Gründung der Ersten wie auch der Zweiten Republik untrennbar mit dem Zusammenbruch der alten Ordnung und einer militärischen Niederlage verbunden. Die beiden Staatsgründungen wurden daher verständlicherweise als von außen bestimmt wahrgenommen.
12. November: Der Nationalfeiertag, der keiner sein wollte
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem damit einhergehenden Ende der Habsburgerherrschaft, wurde der Staatsfeiertag der Republik Österreich auf den 12. November, den Tag der Ausrufung der Republik, gelegt. 1919 beschloss diesbezüglich die Nationalversammlung: “Zum immerwährenden Gedenken an die Ausrufung des Freistaates Deutschösterreich wird der 12. November eines jeden Jahres als allgemeiner Ruhe- und Festtag erklärt.“ Die Bezeichnung Nationalfeiertag wurde allerdings bewusst vermieden. Denn der Staat Deutschösterreich verstand sich offiziell als „Bestandteil der deutschen Republik“ (Artikel 2 der Verfassung). Zwar verboten die Siegermächte aus strategischen Überlegungen heraus den Anschluss 1919 und machten Österreich so zum ersten Staat der Geschichte, der zur Eigenständigkeit gezwungen werden musste. Da der Großteil der Österreicher sich aber der deutschen Nation und dem deutschen Volk zugehörig ansah, blieb der Begriff „Nationalfeiertag“ weiterhin ungebräuchlich.
13. April: „Tag der Befreiung“ – von Bevölkerung nicht angenommen
Der völlige Zusammenbruch 1945 und die damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen für Österreich und sein Volk führten dazu, dass in dieser Zeit kaum jemand daran dachte, die „Befreiung Österreichs“ und die Wiederherstellung seiner staatlichen Existenz als Anlass zum Feiern zu nehmen. Nicht nur das bittere Gefühl der Niederlage war dafür verantwortlich. Die West-Alliierten hatten beim Einzug dezidiert kundgetan, nicht als Befreier zu kommen. Die Sowjetunion hingegen verfolgte propagandistisch eine andere Taktik: In der Bundeshauptstadt und dem von der UdSSR besetzten Ostösterreich musste der 13. April als „Tag der Befreiung“ gefeiert werden. An diesem Datum hatte die Rote Armee Wien eingenommen. In Folge der Jahr für Jahr andauernden alliierten Besetzung stieß diese „Feierlichkeit“ begreiflicherweise jedoch auf immer weniger Anklang. So hatte Österreich zwischen 1945 und 1955 keinen offiziellen Staatsfeiertag
25. Oktober 1955: „Tag der Fahne“ – Die Besatzer gehen heim
Erst die Ereignisse des Jahres 1955 – die Unterzeichnung des Staatsvertrages und die Wiederherstellung der vollen Souveränität – lösten ein Bedürfnis nach einer offiziellen Feier aus, wurden doch diese Ereignisse mit wesentlich mehr Gefühlen der Befreiung verbunden als jene des Jahres 1945. Als Frankreich als letzte der Besatzungsmächte den neuen Staatsvertrag am 27. Juli 1955 anerkannte, war Österreich offiziell wieder frei und unabhängig. Binnen neunzig Tagen hatten die alliierten Truppen das Land zu verlassen. Daraus errechnete sich der 25. Oktober als jener Tag, an dem „der letzte fremde Soldat Österreich verlassen musste“.
Auf Initiative des damaligen Unterrichtsministers Dr. Heinrich Drimmel, sollte der Tag der vollständigen Unabhängigkeit Österreichs in den Schulen feierlich begangen werden. Im Hinblick auf den bevorstehenden Abzug der alliierten Truppen wurde dafür der 25. Oktober ausgewählt. An die Bildungseinrichtungen der Republik erging folgender Erlass: „An dem Tag, da der letzte fremde Soldat den Boden Österreichs verlässt, wird die Jugend einen großen Augenblick der Geschichte unseres Vaterlandes erleben … am 25. Oktober findet in jeder Schule Österreichs eine feierliche Hissung der Flagge der Republik statt.“ Dieser „österreichische Unabhängigkeitstag“, auch „Tag der Flagge“ oder „Flaggentag“ genannt, wurde also erstmals am 25. Oktober 1955 in ganz Österreich gefeiert.
Gleichzeitig fanden im ganzen Land weitere Feierlichkeiten statt. Der Wiener Bürgermeister Franz Jonas rief zu einem „Tag der endgültigen Befreiung“ in der Bundeshauptstadt auf. Es gab ein Konzert am Rathausplatz, Feuerwerk am Heldenplatz und festliche Beleuchtung tauchte das Rathaus und den Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz sowie sonstige symbolträchtige Gebäude in glanzvolles Licht. An neun weiteren Plätzen in der Stadt wurden Konzerte gegeben, die alle mit dem Donauwalzer beendet wurden. Die Menschen tanzen auf der Straße. Und nicht nur Wien feierte. Auch in allen Landeshauptstädten fanden „offizielle Befreiungsfeiern“ statt.
26. Oktober – Tag der Neutralität
Schon im Folgejahr wurden die Feierlichkeiten jedoch verlegt. Um die Neutralität Österreichs und nicht den Truppenabzug zu unterstreichen, wurde das Datum 1956 auf den 26. Oktober verschoben. An diesem Tag trat der Neutralitätsbeschluss des Bundesverfassungsgesetzes in Kraft. Ziel war es, die Neutralität zu popularisieren, denn sie war keinesfalls unumstritten. Österreich wollte eigentlich ein „westlicher Staat“ werden. Moskau verlangte aber die absolute Neutralität, da es sonst seine Truppen nie abziehen würde.
Bereits 1956 wurde also nicht mehr der Abzug der alliierten Soldaten, sondern der Beschluss der immerwährenden Neutralität als Anlass des Fahnen-Festtages ausgegeben, was sich jedoch nur langsam im Bewusstsein der Bevölkerung durchsetzen sollte: Der Autor dieses Artikels etwa lernte noch in den 2000ern in der Volksschule, dass der Nationalfeiertag der Tag sei „an dem der letzte feindliche Soldat gehen musste“. Die Bedeutung von Truppenabzug und Neutralität dürfte sich in der volkstümlichen Erinnerung also stark vermischt haben.
Und nun?
Unseren derzeitigen Eliten aus Politik, Kunst und Medien gelten öffentliche Feierlichkeiten anlässlich historischer Eckpunkte derzeit lediglich als Bühne ihres nationalmasochistischen Schuldkultes. Gemeinsame Identität wird nur gesucht und betont, wenn sie als Gegen-Identität zum historischen, ethnokulturellen und weitgehend homogenen Österreich der Vorkriegszeit stilisiert werden kann. Doch das ist perfide: Gedenktage müssen positive Mythen stiften. Nur ein Volk das gut von sich denkt, kann auch positiv wirken. Unser höchster staatsbezogener Feiertag muss Jungen und Alten, dem Städter wie dem Landmensch über alle Schichten hinweg einen geistigen und politischen Wert verdeutlichen. Was also feiern? An was gilt es sich aufzurichten? Ist nun wirklich die staatspolitische Neutralität der Wesensinhalt unseres Vaterlandes? Oder sind es nicht doch eher unser Volkscharakter, unsere Identität und das Ziel, eine Gemeinschaft in einem freien Land zu sein?
1955 sollte uns als Jahr der Befreiung gelten. Es war der Moment, ab dem wir unsere Geschicke wieder selbst in die Hand nehmen durften. Unsere Eltern- und Großelterngeneration, unser Volk, konnten das Land aus Ruinen wieder aufbauen – zum Wohl der Nachkommen. Ob man nun den Truppenabzug am 25. oder die Neutralitätserklärung am 26. als wesentlicher in dieser Entwicklung erachten, ist eigentlich zweitrangig. Letztlich gilt für den „Tag der Flagge“ etwas ganz Ähnliches wie für den Muttertag: Er hat zwar ein festes Datum, aber wir sollten ihn jeden Tag ein bisschen feiern. Wie schon der österreichische Dichter Franz Stelzhamer schrieb: „Denn d’Hoamát is ehntá, dá zweit Muadáleib.“