Ungarns rechte Kulturrevolution – im Gespräch mit Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist einer der bekanntesten rechten Publizisten im deutschsprachigen Raum. Er ist Stichwortgeber des Solidarischen Patriotismus und Verfechter einer Zusammenarbeit von Partei und Vorfeld innerhalb der Mosaik-Rechten. Der Heimatkurier hat mit ihm über die rechte Kulturrevolution in Ungarn und das jüngst im Jungeuropa-Verlag erschienene Buch Nationaler Block gesprochen.

Häufig wird Ungarn unter Viktor Orbán von deutschen und europäischen Rechten als Vorbild angeführt. Doch die vielgepriesene „Orbanisierung“ passierte nicht von heute auf morgen – ihr ging ein jahrelanger Kampf um die kulturelle Hegemonie voraus. Im Jungeuropa-Verlag ist dazu jüngst ein Buch eines zentralen Akteurs dieser ungarischen Kulturrevolution, Márton Békés (der Heimatkurier führte bereits ein Interview mit ihm), erschienen. Wir haben mit Benedikt Kaiser darüber gesprochen.

Heimatkurier: Lieber Benedikt! Mach es kurz: Was unterscheidet das System Orban von rechtspopulistischen Parteien in Mittel- und Westeuropa? Warum regiert Viktor Orban seit mehr als einem Jahrzehnt, während rechte Regierungsbeteiligungen bei uns erfolglos geblieben sind?

Benedikt Kaiser: Zwei Hauptgründe sind anzuführen: Erstens ist dies natürlich die ungarische Sonderlage mit ihren politisch-historischen Rahmenbedingungen. Dafür kann Orbán nicht viel, aber er nutzte die dargebotenen Möglichkeiten außergewöhnlich klug. Zweitens – und das interessiert uns stärker, weil es Lehren für uns bereithält – ist Orbán lernfähiger als viele „Rechtspopulisten“ im deutschsprachigen Raum, die immer wieder dieselben Fehler begehen, wie zum Beispiel sich der „Mitte“ anzubiedern oder sich selbst programmatisch zu entkernen bzw. zu verharmlosen. Orbán ging, nach der ersten Koalition 1998 bis 2002, wieder in die Opposition, ja, und von dort aus entwickelte er eine arbeitsteilige Strategie, in der das A und O die Erlangung medialer und gesellschaftlicher Einflussmöglichkeiten gewesen ist. Das Parlamentarische wurde beackert, aber die zentrale Einsicht lautete: Die entscheidenden Hegemoniekämpfe werden woanders ausgefochten.

Heimatkurier: Orbans Erfolg ist also in der Umsetzung einer metapolitischen Strategie zu sehen. Was genau haben wir unter dem Begriff „Metapolitik“ zu verstehen?

Benedikt Kaiser: „Metapolitik“ (als Ideenpolitik) ist das, was der „Politik“ (als Realpolitik) vorausgeht, also jene vielgestaltige Arena, in der um Mentalitäten, Einstellungsmuster, Deutungen, Begriffe, Werte, Sprache usw. gerungen wird. Man könnte es auch so sagen: Metapolitik umfasst jene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, in denen Meinungen geprägt werden, die wiederum den Alltagsverstand bilden. Es ist also das entscheidende Feld. Denn Wahlentscheidungen, um ein Beispiel aus der Realpolitik zu nutzen, reifen im Bewusstsein heran; Politiker können nur das ernten, was andere gesät haben. Ist die Frucht nicht reif, helfen auch 100.000 Plakate und Infostände nichts. Eine realpolitische Botschaft kann nur verfangen, wenn sie an den Alltagsverstand der Vielen anschlussfähig erscheint, der nun mal metapolitisch, also vorpolitisch konstituiert wird.

Heimatkurier: Metapolitisches Handeln meint demzufolge, dass man das Denken der Gesellschaft beeinflussen will. Das setzt ja zunächst eine andere politische Idee voraus. Was sind deiner Meinung nach die weltanschaulichen Kernpfeiler des rechten Lagers?

Benedikt Kaiser: Die Idee, die Theorie und Praxis, Metapolitik und Realpolitik verbindet, ist der Solidarische Patriotismus. Aber als Kernpfeiler, wie Du es ausdrückst, also als den kleinsten gemeinsamen Nenner, sollte man – erstens – anerkennen, dass es uns an der Bewahrung unserer Heimat und unseres Volkes gelegen ist, und – zweitens – darauf beharren, dass wir entgegen der Auflösung aller Dinge an gemeinschaftsorientierten Standpunkten festhalten. Anknüpfen und fortschreiben, Herkunft wertschätzen und Zukunft aktiv gestalten – konservative Revolution im 21. Jahrhundert.

Heimatkurier: Der weltanschauliche Rahmen ist damit abgezeichnet. Wie erfolgt nun die Umsetzung der „Metapolitik“?

Benedikt Kaiser: Vielschichtig, natürlich. Da überall „Metapolitik“ im Spiel ist, wo sich Menschen begegnen und „vergemeinschaften“, kennt die Umsetzung viele Ebenen. Metapolitik heißt einerseits, um ein Beispiel zu nennen, sich fortwährend zu bilden und andere auszubilden, es heißt Lektüre zu betreiben, Seminare zu besuchen, den Geist zu schärfen und Wissen zu akkumulieren. Metapolitik heißt aber andererseits auch, die „Lufthoheit über die Stammtische“ nicht zu verachten, wie es sich elitär dünkende Altkonservative tun, sondern „ins Volk zu gehen“ und diese Lufthoheit zu erkämpfen. Und Metapolitik heißt in diesem eher praktisch-konkreten Kontext nicht zuletzt, dort authentische Präsenz zu zeigen, wo die Jugend ihren Alltag bestreitet, z.B. in den Kurven der Stadien oder in diversen Subkulturen.

Heimatkurier: Du selbst bist als Verfechter der Zusammenarbeit von Partei und Vorfeld bekannt. Was hat es damit auf sich?

Benedikt Kaiser: Der Zugang zur Macht und zum Machthaber ist für die authentische, nonkonforme Rechte versperrt, die Leitmedien (ob in privater oder staatsnaher Hand) sind gegnerisch positioniert. Der „Marsch durch die Institutionen“, wie ihn die Linksgrünen gingen, ist daher kaum möglich. Was wir also benötigen, ist das effektive und professionelle Zusammenspiel aus einer patriotischen Wahlpartei – AfD bzw. FPÖ – und ihrem außerparlamentarischen Vorfeld, das Du ansprichst. Es ist ein „Vorfeld“, kein „Umfeld“, weil es der Partei vorausgeht, weil seine Tätigkeitsfelder dem Parlamentarismus vorausgehen, weil seine Inhalte den Inhalten des Parteipolitischen vorausgehen. Ohne vielgestaltige Vorfeldstrukturen, welche die Positionen und Begriffe des eigenen politischen Lagers in die Gesellschaft tragen, hätte es beispielsweise – geschichtlich betrachtet – niemals eine erfolgreiche deutsche Sozialdemokratie gegeben, und die bundesdeutschen Grünen haben nie über 15 Prozent bei einer Bundestagswahl erzielt und geben doch den Ton an. Auf unsere Lage zugeschnitten heißt das: „Realpolitik“ (also: Parlamentspolitik) und „Metapolitik“ (also: Ideenpolitik bis Gesellschaftspolitik) schließen sich nicht aus, sie ergänzen sich. Parlamentarier und Außerparlamentarier müssen an einem Strang ziehen: Man sollte sich kennen, ergänzen, vertrauen. Dann geht’s gemeinschaftlich voran!

Heimatkurier: Zum Abschluss sei folgende Frage erlaubt: Warum ist es notwendig, sich als Rechter mit dem System Orban und dem Buch Nationaler Block auseinanderzusetzen?

Benedikt Kaiser: Es „drohen“ auch in Deutschland und Österreich, „rechte“ Regierungen zustande zukommen. Das heißt: Man muss bereits jetzt in der Lage sein, die kommenden Hürden und Herausforderungen zu verstehen, man muss bereits jetzt verstehen, dass Macht und Einfluss auch außerhalb der Parlamente verhandelt und ausgeübt wird. Spricht man hingegen mit bestimmten Abgeordneten und Verantwortungsträgern aus AfD und FPÖ, erlebt man auf frappierende Art und Weise eine nicht für möglich gehaltene Naivität im Zeichen eines reinen Parlamentspatriotismus. Man werde regieren und dann die Zustände ändern, gewissermaßen per Gesetzesinitiativen und dem Good Will der dann zugänglichen Staatsapparate. Nur: So einfach ist es nicht, und in der modernen Gesellschaft schon gar nicht. Die erste AfD-Regierung in Deutschland bzw. in einem deutschen Bundesland wird zum Beispiel massives Lehrgeld zahlen müssen, wenn sie nicht rechtzeitig entscheidende Weichen stellt. Was auf diesem Weg helfen kann, was nicht, welche Denkfehler man vermeiden muss und wo sich mehr Engagement lohnt als im einhundertsten Fachausschuss – Ungarns rechter Weg unter Orbán zeigt es auf. Es ist realpolitisch – derzeit! – das innereuropäische Maximum, also muss man es studieren. Márton Békés ist damit auch ein Lehrmeister für den deutschsprachigen Raum.

Lieber Benedikt, vielen Dank für das Gespräch und Deine Zeit!

In seinem neuesten Buch „Die Konvergenz der Krisen“ gibt Benedikt Kaiser die Richtung für theoretisches und praktisches Handeln vor. Zu erwerben ist es hier. Das besprochene Buch „Nationaler Block“ von Márton Békés zur Ungarischen Kulturrevolution gibt es hier.

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