Zwischen Brücke und Schlag – ein Abgesang auf das Wiener Ringervereinsleben

Erleben wir im Gefolge des Bevölkerungsaustausches auch den Untergang der Wiener Ringertradition? Ein Trainer gibt offen zu: „Der Verein besteht zu 99 Prozent aus Ausländern.“ Rudolf Preyer berichtet für den Heimatkurier von einem ernüchternden Besuch in einem geschichtsträchtigen Wiener Ringerverein.

Eine Reportage von Rudolf Preyer

„Unsere Leute haben zu 99 Prozent migrantischen Hintergrund“, erklärt mir der kahlrasierte Amir D., Trainer der Ü17-Mannschaft. Zu den Ringern fand er, so erzählt er mir, weil seine fußballerische Karriere ins Stocken geriet. Schön langsam trudeln die ersten Ringaspiranten ein – und, ja: Der Großteil begrüßt auch die einzige Dame per Handschlag.

„Die Radikalen wollen wir hier nicht haben“, überrascht mich der Nachwuchstrainer – fast so, als hätte er meine Gedanken gelesen, als ich die bärtigen Jugendlichen beobachte, die in ihre teuren Markenhallenschuhe schlüpfen; nur durch eine Mattenwand sind die Ringer von den Gewichthebern getrennt, in der Halle dröhnt Gangster-Rap.

Amir, der mich schon telefonierend auf dem Weg ins Ernst-Happel-Stadion abgepasst hatte – es war der Seniortrainer am Apparat, der ihm bestätigte: jawohl, da warte ein Journalist darauf, mehr über das Clubleben in einem Wiener Ringerverein zu erfahren –, Amir also kam meiner Neugierde zuvor: „Religion und Politik sind bei uns tabu!“ Gut, wollen wir das einmal so stehen lassen. Vorerst.

Die Ausländer haben übernommen

Anfang August ist es brütend heiß und das eingerostete Eisentor zwischen Sektor B und Sektor C, das zu den Trainingsfazilitäten der Ringer des Clubs Union West Wien, der Gewichtheber und der Wasserspringer führt, verbrennt die Handinnenfläche. Er, Amir, verstehe sich als jemand, der für die Öffentlichkeit unbemerkt große Integrationsleistungen vollbringe, versucht er, mir gegenüber zu renommieren. Wollen wir auch dies einmal so stehen lassen. Vorerst.

Wie gestaltet sich also das Vereinsleben in einem altehrwürdigen Wiener Ringerverein? Das war die Fragestellung, die ich mir naiverweise vor dem Betreten der drückend niedrigen Vereinstrainingshalle gestellt hatte. Immerhin gehört der Verein der in Wien zur „bürgerlichen Reichshälfte“ zählenden Sport Union an, neuerdings haben sich die Wiener Ringer das Motto „hartnäckig und unbeugsam“ gegeben.

Zugegebenermaßen: Ich war anfänglich regelrecht geschockt, als ich mir nur einzig diesen Reim machen konnte: Ein Vereinsleben im klassischen Sinne gibt es bei den Ringern in Wien gar nicht mehr, denn, so sagt Amir: „Ohne die Ausländer wären die Wiener Vereine längst ausgestorben.“

Gerlinde vertritt Österreich

Jetzt sind sie also alle da. „Wir haben viele Flüchtlinge!“, erklärt mir der Seniortrainer. Als da wären: die Syrer, die allzu jungen Afghanen, die bärtigen Tschetschenen, sowie die Mongolen, Perser und jetzt auch aus bekannten Gründen die ukrainischen Knaben. Sie entstammen allesamt bekannten Ringernationen. Wozu auch Österreich einmal gehört hatte. Das ist allerdings schon länger her.

Der Vereinsobmann und Teamchef über drei weitere Betreuer mahnt eingangs des Trainings Pünktlichkeit ein und zieht bald einen Ringer aus dem Verkehr, beim Aufwärmen musste der Trainingsleiter erkennen: „Du hast ja einen Gips! Raus mit dir! Du kommst erst in zwei Wochen wieder!“ Dieser leidgeprüfte Ur-Wiener erklärt also: „Wir haben nicht so viel Platz! Ihr seid zu viele! Bis Ende September müssen wir entscheiden, wer gehen muss!“

Als einzigen Österreicher mache ich tatsächlich eine Österreicherin aus – mit dem althochdeutschen Namen Gerlinde; sie trainiert mit den jungen Männern, man sieht schon bei den ersten Übungen: Die gepflegte 30-Jährige hat Ringerfahrung und dürfte sich im Alltag chauvinistischer Zudringlichkeiten zu erwehren wissen.

Wiener Vormachtstellung passé

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wien das Ringerzentrum Österreichs, zehn Vereine zeugten davon. Auch die Zentrale, der Österreichische Amateurringerverband (ÖARV), befand sich in Wien. Jener umfasste Vereine aus den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Burgenland. Letzteres und NÖ gründeten jedoch bald eigene Landesverbände. Obacht: Vom Show-Catchen, vornehmlich am Wiener Heumarkt, versuchte man sich damals schon und versucht man sich auch heute noch abzugrenzen, was auf Außenstehende durchaus verkrampft wirkt.

Die „Vormachstellung der Wiener“ ging schon Anfang der 50er Jahre verloren: Der bundesweite Dachverband wurde nach Salzburg verlegt. Was freilich im Jahr 2023 noch Konsequenzen zeitigt: en passant meint Amir zu mir, dass die Salzburger Zentrale die Bundeshauptstadt regelmäßig „schneidet“, weil: „Die lassen die überwiegende Mehrzahl unserer Leute gar nicht zu Bewerben antreten.“ Den wirklichen Grund verrät der Neotrainer im Nachsatz: „Die meisten unserer Leute haben nicht die österreichische Staatsbürgerschaft.“

„Bei uns wird gestohlen“

Jetzt üben sie die Brücke – und der eine halbstarke Tschetschene, der schon beim Kreislaufen stets über seine Schulter gelugt hat, muss dies auch jetzt zwanghaft nach jeder Übung tun: „Ist mein Zeugs noch da?“ Denn, so steckt mir Amir: „Es wird hier gestohlen.“ Sogleich versichert er mir hierauf: „Wir sind, was die Weltanschauung betrifft, komplett neutral“, auch der Erwerb der deutschen Sprache werde forciert. Ob das wohl stimmt? Lassen wir das wiederum so stehen. Vorerst.

Wieder kommt er auf „die Radikalen“ zu reden: „Wir wollen ,die Radikalen‘ von den Guten trennen.“ Eingangs hat er noch davon gesprochen, die Radikalen gänzlich ausschließen zu wollen. Jetzt möchte er sie nur von den anderen Trainingsteilnehmern absondern Wie die Radikalen aussehen? Gelernte Wiener wissen: diese begegnen uns in der U6. Oder in Floridsdorf. Oder in Favoriten. Oder vielleicht eben doch auch im Ringerverein? Aber das werden wir nicht herausfinden, bleiben die Österreicher heutzutage doch diesem schon in der Antike „olympisch“ geübten Sport fern.

Offenbar gibt es mittlerweile Wiener Vereinsringer, die die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen haben, denn wenige dürfen doch zu Bewerben antreten. Gemeinsam bilden sie die sogenannte „Kampfgemeinschaft“, die sowohl in der ersten als auch in der zweiten Bundesliga vertreten ist und jeweils die Tabellenführerschaft behauptet. Was dem Athleten Club Vollkraft Innsbruck, der KG Hötting und dem AC Vorwärts Graz naturgemäß gar nicht schmeckt. Den „Neuwienern“ dürfte es egal sein, heißt es doch auf deren Heimseite in der im Vereinsleben geübten Lingua franca: „No one likes us – we don’t care!“ Zu gut Deutsch: „Es ist uns wurscht, dass uns niemand mag!“

Viktor Fischer zum Andenken

Erleben wir also gerade „erste Reihe fußfrei“ den Niedergang des Wiener Ringerverbandes? Auf dessen Banner prangt tatsächlich auch der symptomatische und treffende Werbeslogan der Hauptstadt: Wien ist anders. In diesem Zusammenhang sei an den wohl größten heimischen Ringer erinnert: Der 1892 in Graz geborene Viktor Fischer begann als Jugendlicher mit dem Ringen und startete ab 1911 für den Wiener Sportklub. 1912 nahm er an den Olympischen Spielen in Stockholm und 1924 in Paris teil.

Seinen größten Erfolg feierte der muskelbepackte Fischer freilich bei der Weltmeisterschaft 1920 in Wien: Er gewann sechs Kämpfe und wurde in überlegenem Stil Weltmeister im Mittelgewicht. Im Jahr darauf siedelte Fischer aus wirtschaftlichen Gründen nach der heute viertgrößten Stadt Deutschlands. Für den Kölner Klub für Kraftsport wurde er 1922 deutscher Kampfspiel-Sieger in Berlin, 1923 in Erfurt deutscher Meister und 1926 erneut deutscher Kampfspiel-Sieger in Köln. Zurückgekehrt zu seinen Grazer Wurzeln, starb Viktor Fischer hochbetagt im Jahre 1977.

Ernst Happel rotiert

Selbst, wenn ich dem besuchten Wiener Ringerverein eine geringfügige Integrationsleistung nicht absprechen möchte, frei nach dem Motto „wenigstens dreschen sie sich nicht gegenseitig auf der Straße“, bleibt doch ein eisenhaltig-blutiger Nachgeschmack: Was aber, wenn dieser Verein faktisch die ausländischen Pubertierenden trainiert, die uns am nächtlichen Heimweg auflauern? Und was, wenn erwachsene Ringer ihre martialischen Griffe ausgerechnet hier, im dem „Nationaltrainer der Herzen“ gewidmeten Stadion, erlernt haben, um jenen gewalttätig entgegenzutreten, die ihnen nicht in den Kram passen? Einmal mehr wurde mir klar, dass unser Volk wehrhaft sein muss.

Im Geiste sehe ich Ernst Happel sich im seinem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Hernalser Friedhof – die Erde möge ihm leicht sein! – umdrehen, sich eine Tschick anzünden, und sagen: „Wir sind eine Mannschaft, die muss sich nicht anpassen an unsere Gegner.“

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