Am vergangenen Donnerstag gedachte der Südtiroler Schützenbund mit einer „Sepp-Kerschbaumer-Gedenkfeier“ der Tiroler Freiheitskämpfer der 1950er und 1960er Jahre – rund 2.000 Menschen folgten der Einladung nach St. Pauls. Die Festrednerin, FPÖ-Landtagsabgeordnete Gudrun Kofler, appellierte an die Teilnehmer: „Liebe Landsleute! Wir haben einen Auftrag!“
Der Heimatkurier veröffentlicht hiermit mit freundlicher Genehmigung die am 8. Dezember in St. Pauls gehaltene Festrede von Gudrun Kofler.
Hohe Geistlichkeit, liebe Schützen und Marketenderinnen, Tiroler Landsleute!
„…Und plötzlich waren sie da und haben mich mitgenommen. Die folgenden Tage und Nächte waren grausam. 60 Stunden ohne Essen, Trinken und Schlaf. Die meiste Zeit in Habtachtstellung und zeitweise mit erhobenen Händen. Das Radio wurde auf volle Lautstärke aufgedreht, damit die Schreie der Gefolterten nicht nach draußen drangen. Sie hatten es verstanden, uns körperlich zu quälen, uns durch Verhöhnungen seelisch fertig zu machen und durch schlimmste Methoden unseren Willen zu brechen… Unsere Peiniger hatten keine Ahnung, warum wir das taten. Sie hatten nicht im Geringsten begriffen, worum wir kämpften. Dass wir aufgestanden waren, um unser Volkstum zu verteidigen und für die Freiheit unseres Landes zu kämpfen.“
Das ist ein Auszug eines Erinnerungsberichtes eines Süd-Tiroler Freiheitskämpfers zu den Geschehnissen nach der Feuernacht 1961. Nicht geschehen in einem Land, das keine Rechte und Strukturen kennt. Nicht geschehen in Zeiten eines tobenden Krieges, wo nahezu alle Menschenrechte ausgehebelt werden. Nicht geschehen weit, weit weg und vor langer, langer Zeit. Nein. Genau hier. Auf dem Boden dieses Landes, auf dem wir stehen. Verbrochen von Vertretern eines Staates, der sich selbst so gern als demokratisch und weltoffen bezeichnete. Und – vor noch gar nicht so langer Zeit. Erst ein paar Jahrzehnte ist es her.
Die Wucht dieser Geschehnisse und unserer Geschichte bebt bis heute nach. Sie sind tief ins Volksgedächtnis eingegraben. Dort bewegen und berühren sie. Dort werfen sie Fragen auf und lassen uns nach Antworten suchen. Dort erinnern wir uns – ganz egal, wie lange Ereignisse zurückliegen. Die Seele eines Volkes ist immer in Bewegung und rührt sich – besonders auch dann, wenn Veränderungen anstehen – und: sie lernt, achtsam zu sein.
Wo stehen wir heute?
Wir stehen heute in Südtirol vor einer möglichen Regierung mit offen autonomie-und minderheitenfeindlichen Parteien. Wir stehen heute vor der Situation, dass ein großer Teil der Südtiroler Bevölkerung ganz deutlich gemacht hat, was er von der politischen Entwicklung in diesem Land hält und wie er sich die Zukunft vorstellt. Die politisch Verantwortlichen haben sich aber dazu entschieden, den Volkswillen mit Füßen zu treten und gehen vor gleich mehreren italienischen Parteien auf die Knie, um an der Macht zu bleiben. Aus reinem Kalkül und zum Machterhalt werden Allianzen geschlossen, die neben unstabilen Verhältnissen wohl auch alles andere als rosige Zeiten für diesen Landesteil versprechen.
Mit einem bekennenden Feind der Südtirol-Autonomie und geistigen Nachfahren Tolomeis, wurde nicht nur ein mehr als fragwürdiger Experte als Präsident der Sechserkommission an die Spitze des für die Umsetzung der Autonomie zuständigen Ausschusses gesetzt, sondern dieser wird aus Rom künftig auch beiden Regierungsgeschicken in Südtirol ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Schon jetzt sind die deutsche Schule, unsere Kultur und das Ehrenamt in Südtirol in Gefahr. Schon jetzt werden Autonomierechte immer und immer wieder beschnitten. Schon jetzt geraten Volkstum und Identität immer wieder in arge Bedrängnis.
Es gibt nur einen wirksamen Schutz davor: WISSEN und AKTIVE ERINNERUNGSKULTUR. Ihr, wie ihr hier steht, habt es in euren Herzen – das Volk dieses Landes in seiner Seele – in seiner DNA, wenn man so will. Der Freiheitswille und der Wunsch nach Gerechtigkeit, wie sie unsere Freiheitskämpfer verspürt haben, ist weiterhin und deutlich spürbar -aber die Menschen brauchen Wissen und Sicherheit. Wissen um die eigene Geschichte, die Vorfahren, das Geschehene: Aus diesem Grund sind solche Gedenkfeiern wie die heutige so wichtig.
Es reicht nicht, die Geschichte Südtirols auf ein paar Seiten in einem Buch in seiner Stube zu wissen. Es reicht nicht, Männer wie Kerschbaumer und seine Mitstreiter in einem Geschichtsbuch zu verewigen und zu hoffen, dass immer mal wieder jemand darüber liest und sie nicht vergisst. Es reicht nicht, ihre Frauen und Familien in eben jenen Geschichtsbüchern in einem Nebensatz zu erwähnen und deren Einsatz und das Leid, das über so viele Menschen in diesem Land gebracht wurde, damit abzuhaken.
Liebe Landsleute! Wir haben einen Auftrag! Die Geschichte unserer Landes und Volkes ist nichts, was wir bei Bedarf herausholen und nachschlagen können, sie ist IN UNS. Sie bewegt uns, sie erzürnt uns, sie enttäuscht uns, sie bekümmert uns – und manchmal lässt sie uns auch hoffnungslos zurück. ABER: Schaut euch hier um. Schaut in diese Reihen junger und alter Männer und Frauen, Kinder, schaut in die Augen eures Kameraden und ihr werdet in jedem von ihnen auch ganz andere Dinge sehen: Entschlossenheit. Mut. Hoffnung. Stolz. Und ungebrochener Wille, sich nicht geschlagen zu geben – ganz egal, wie die Gefahr, die in diesen Zeiten aus Rom und aus weniger geschichts-und pflichtbewussten Reihen innerhalb der eigenen Landsleute auch lauten mag.
„Die Hartnäckigen gewinnen die Schlachten!“ Ausgerechnet von einem der größten Widersacher der Tiroler in ihrer Geschichte, stammt dieses Zitat, Napoleon Bonaparte. Aber es ist wahr: Auch wenn Schlachten heute anders geschlagen werden, sind sie dennoch da. Selbst über 100 Jahre Fremdbestimmung haben es nicht geschafft, dieses Feuer auszulöschen. Selbst Folter, Mord, Gewalt, Unterdrückung, Verrat und politische Untaten und Verfehlungen haben es nicht geschafft, den Mut und Willen dieses Volkes zu brechen.
„Die Hartnäckigen gewinnen die Schlachten!“
Wir WISSEN um unsere Geschichte. Und mit dem Wissen darum, die Kenntnis über Menschen und Geschehnisse, kommt auch die Sicherheit. Die Sicherheit darüber, auf der richtigen Seite zu stehen. Die Sicherheit darüber, für eine gerechte Sache zu kämpfen – und die Sicherheit darüber, dass diese Sache gewiss nicht verloren ist. Diese Sicherheit finden wir im Geist jener, derer wir heute hier gedenken und in den Herzen der Freiheitskämpfer der 60er-Jahre, die noch unter uns weilen – aber auch in den Herzen all jener, die heute hier stehen. Stark verwurzelt in der Heimat und in der Identität dieses Volkes.
Wir SIND auf der richtigen Seite – IHR seid auf der richtigen Seite! „Im Sinne der Freiheit und Gerechtigkeit sei Du uns Vorbild!“ stand damals bei der Beerdigung Sepp Kerschbaumers auf dem Kranz der ehemaligen politischen Häftlinge – und so wollen wir es auch heute halten: Im Sinne der Freiheit und Gerechtigkeit sollen die Südtiroler Freiheitskämpfer uns Vorbild und deren selbstloser Einsatz für Volk und Heimat uns steter und unermüdlicher Auftrag sein!
Alles für Tirol! Schützen Heil!