Wintersonnwend: Ewig rollt das Rad des Seins

In wenigen Tagen ist Weihnachten – im Schatten der „stillen, heiligen Nacht“ steht ein Ereignis, das weit in die Geschichte zurückreicht und zu den ältesten europäischen Bräuchen gehört: Die Wintersonnenwende am 21. Dezember. Wir geben einen kurzen Einblick in die Hintergründe des Festes und die damit verbundenen Traditionen.

Der Winter hat Einzug gehalten in deutschen Landen – und mit ihm kamen nicht nur Frost und Schnee, sondern auch immer kürzere Tage und Dunkelheit. Heute schützen uns wärmeoptimierte, mit modernsten Materialen isolierte und intelligent beheizte Häuser vor der klirrenden Härte der vierten Jahreszeit. Die Dunkelheit lässt sich per Lichtschalter aus den Wohnstuben verbannen – und in unseren Städten, mit Straßenlaternen und Anzeigetafeln, ist es ohnehin nie ganz dunkel.

Geheimnisvolles Brauchtum

Ja, heutzutage sind die Auswirkungen des Jahreslaufes nicht mehr dieselben, wie einst für unsere Vorfahren. Doch wer sich vorstellen kann, was es bedeutet haben muss, in Kälte und langen Nächten in Bauernhäusern und Hütten auszuharren und zu hoffen, dass die eingebrachte Ernte und das eingelagerte Brennholz bis zum Frühjahr ausreichen, der wird auch die Freude darüber nachfühlen, die die Sonnenwende bei ihnen ausgelöst hat. Intuitiv können wir dabei begreifen, warum die Nächte um die Sonnen- und Jahreswende einst so von geheimnisvollem Brauchtum erfüllt und so voll der Mystik und des Zaubers waren.

Bild: Tristan Glaszwist

Alter europäischer Lebensbrauch

Der Jahreslauf der Sonne als Tod und Wiedergeburt des Lichts und damit der Fruchtbarkeit von Natur und Boden hat uns Europäer stets bewegt und zu religiöser Verehrung veranlasst. Und so war lange vor der Christianisierung Europas der Dezember schon ein Monat des „Geburtsfestes“. Die Empfängnis und Geburt von Göttersöhnen sowie der Kult um Göttermütter war Bestandteil vieler antiker Religionen. So finden sich unterschiedlichste Namen für den Tag des 21. Dezembers: Wintersonnwende, Saturnalien, Julfest, Mutternacht, … – allen gemein ist jedoch die Ausrichtung auf das „Wiedererwachen der Sonne“ und das Längerwerden der Tage. Aber was bedeutet die Wintersonnenwende eigentlich astronomisch?

Astronomische Betrachtung

Die Erdachse, die Rotationsachse der Erde, steht nicht senkrecht auf der Ebene der Erdbahn, sondern bildet mit ihr einen Winkel von etwa 66,56°. Dadurch steht unser Planet schief – man spricht von Erdneigung. Daraus folgt, dass im Verlauf der einjährigen Umkreisung der Sonne sich ihre Ausrichtung zu uns ändert. Bei einer Wintersonnenwende hat die Sonne im Laufe eines Sonnenjahres den größtmöglichen Abstand vom Äquator erreicht. Dies wirkt sich vor allem auf die Länge der Tage aus. In Wien ist es am 21. Dezember nur etwa 8 Stunden und 20 Minuten hell; in Berlin sind es sogar lediglich 7 Stunden und 40 Minuten. Diese Bewegung wird nun umgekehrt: Die Sonne nähert sich wieder dem Äquator an – die Tage werden länger, die Nächte kürzer. Die Wintersonnenwende ereignet sich auf der Nordhalbkugel immer in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember. Dieser Tag ist gleichzeitig der astronomische Winterbeginn.

Sonne als Mittelpunkt des Jahreslaufs

Auch den Menschen vor tausenden von Jahren waren die großen Wendepunkte im Verlauf eines Sonnenjahres bereits bekannt und konnten von ihnen sehr genau datiert werden. Sonnenkulte finden sich daher in der gesamten Frühgeschichte Europas. Tausende Jahre vor Christus hielten unsere Vorfahren Sonnwendfeste ab, dies lässt sich heute durch archäologische Funde belegen. Und mehr noch: Die ältesten bekannten menschlichen Kultursymbole sind Sonnenzeichen in verschiedenen Darstellungen. Meist als kreisrundes Rad, dessen Speichen ein Kreuz bilden, das den Kreis in vier gleich große Bereiche teilt. Die Kreuzstreben symbolisieren hierbei Winter- und Sommersonnenwende, sowie die Tag-und-Nacht-Gleiche in Frühjahr und Herbst; die vier Segmente des Rades die Jahreszeiten.

Unsre Ahnen, die Germanen

Auch wenn die Sonnenwende in allen Kulturkreisen Europas begangen wurde, sind gerade von unseren Vorfahren, den Germanen, viele Traditionen bekannt. So rollte man brennende Räder ins Tal, die den Lauf der Sonne am Himmel nachbildeten, schmückte das Haus mit immergrünen Pflanzen als Fruchtbarkeitssymbol, brachte Tieropfer dar und veranstaltete gemeinsame Feste mit üppigen Mahlzeiten. Bei der Christianisierung der Germanen wurden viele dieser Traditionen übernommen. Anstatt der Wiederkehr der Sonne feierte man nun die Niederkunft Jesus Christus in der Welt. In vielen Weihnachtstraditionen wie dem Tannenbaum oder in Lichterbräuchen sind die Überschneidungen zur vorchristlichen Sonnenwende gut sichtbar.

God Jul!

Spätestens seit der Werbung eines schwedischen Möbelhauses ist auch den meisten hierzulande bekannt, dass Weihnachten im nordeuropäischen Raum als „Julfest“ bezeichnet wird, dem alten Ausdruck für die Wintersonnwende. Je nach Land sind die Namen dabei etwas unterschiedlich. So heißt das Julfest im isländischen Jol, im Finnischen Joulu, im englischen Yule und im Niederländischen Joel. Und auch in Deutschland finden sich Wörter für das Fest: Auf Sylterfriesisch etwa heißt es Jööl. Die älteste Erwähnung findet sich in einem gotischen Kalender aus dem sechsten Jahrhundert. Der November wird darin mit fruma Jiuleis beschrieben, was „Der Monat vor der Julzeit“ heißt. Der Begriff selbst ist jedoch viel älter und sein Ursprung ungeklärt. Ableitungen von den urgermanischen Wörtern für „Götter“, „Fest“ oder auch „Rad“ werden vermutet.

Bild: Tristan Glaszwist

Jahrtausende alt, doch bis heute lebendig

Bis heute hat sich der Brauch, zur Wintersonnwende Feuer abzubrennen, in Europa gehalten. Vor allem im nördlichen Raum, aber auch in Deutschland – hier vor allem im süddeutschen Sprachgebiet – kommen Brauchtumsvereine, Dorfgemeinschaften oder Freundeskreise zusammen, um gemeinsam die längste Nacht des Jahres zu begehen. Auch wenn die Wintersonnwende in verschiedenen Teilen Europas und über die Zeiten hinweg unterschiedlich gefeiert wurde, lässt sich doch eine Gemeinsamkeit herausarbeiten. Im Mittelpunkt stand immer die soziale Zusammenkunft und der Stärkung der Gemeinschaft. Insofern ist auch unser heutiges Weihnachtsfest den alten Sonnwendfesten nicht unähnlich – und der Geist des geselligen Miteinanders und der sozialen Wärme lebt in anderer Form weiter.

Verstand und Gefühl

Mag unser entzauberter Verstand von heute zwar den Glauben an viele der alten Mythen abgestreift haben – im Gefühlsleben ist uns doch ein unbewusster Rest davon erhalten geblieben. Wer vermag sich schon dem Zauber der weihnachtlichen Lichtbräuche, der Mystik eines Sonnwendfeuers oder der Gewalt der Raunächte wirklich ganz zu entziehen? In den kommenden Tagen werden wir weitere Aspekte des Weihnachtsfestes und des Jahreswechsels betrachten. Bis dahin wünschen wir eine besinnliche Zeit!

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