Es ist nicht der erste Fauxpas, der dem nordrein-westfälischen AfD-Landessprecher öffentlich unterläuft. Bekräftigungen der „historischen deutschen Schuld“ und das krampfhafte Betonen einer Brandmauer nach Rechts ließen bereits erahnen, dass es Martin Vincentz an Standhaftigkeit und nötiger Überzeugung mangelt. Mit der jüngsten, öffentlichen Androhung von Ordnungsmaßnahmen gegen Parteifreunde sei jedoch endgültig eine Grenze überschritten, so Lars Henrikson in seinem Gastkommentar.
Ein Gastkommentar von Lars Henrikson
Anmerkung: Die in Gastkommentaren geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder. Sie entsprechen nicht notwendigerweise denen der Redaktion.
Ängstlich, beinahe apathisch sitzt der Landessprecher der nordrhein-westfälischen AfD einem WDR-Journalisten gegenüber. Schon Blick und Körperhaltung zeugen davon, wer die argumentative Deutungshoheit innehat. Nicht nur habituell unterwirft sich Vincentz seinem Gesprächspartner, sondern auch verbal. Es ist keine Konversation auf Augenhöhe, vielmehr gleicht es einem Verhör, in dem Vincentz krampfhaft seine Unschuld gegenüber dem Establishment beweisen muss. In der Tat ist ihm dies eindrucksvoll gelungen, jedoch anders, als er es sich erhofft hatte. Denn statt vonseiten des Mainstreams endlich als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden, bringt er seine eigentlichen Mitstreiter immer weiter gegen sich auf.
„Dann fliegt er aus der Partei“
Längst hat Vincentz bewiesen, dass von ihm keine einigende Kraft ausgeht, die der Sprecher des größten AfD-Landesverbandes dringend nötig hätte. Gerald Christ, junger Kreissprecher der AfD-Bonn, erfuhr dies am eigenen Leibe, als er gestern Abend den Fernseher einschaltete. Sein Vergehen: er pflegte Kontakte zur Aktivistengruppe „Revolte Rheinland“, von der sich die AfD aus Sicht des Bundesvorstandes und liberalkonservativer Funktionäre distanzieren müsse. Christ hält sich zwar an den Unvereinbarkeitsbeschluss, distanziert sich jedoch nicht. Selbst auf Presseanfrage stand er weiter zur Aktivistengruppe. Damit vom WDR konfrontiert, unterstellte Martin Vincentz Christ jugendlichen Irrtum (ab Minute 4:35) : „Stehen sie einem jungen Mann zu, dass er selber sieht, dass er da zu radikal unterwegs war?“, um kurz darauf nachzulegen: „Und auf der anderen Seite sagt er: Nein, ich stehe dazu, ich finde das prima, genauso muss es sein – dann fliegt er aus der Partei“.
Peinliche Distanzierungsorgie
Ein weiteres Mal unterbietet sich der NRW-Landessprecher selbst und fällt eigenen Parteikollegen vor aller Augen in den Rücken. Stets ist die Gier nach Anerkennung durch die (noch) Mächtigen grösser als das Pflichtgefühl, sich schützend vor seine Mitstreiter zu stellen. Das weiss auch der WDR und hält ihm weitere Stöckchen hin, über die Vincentz umgehend springt. Angesprochen auf Björn Höcke (ab Minute 7:08), antwortet Vincentz: „Ich glaube daran, dass eine Demokratie stark genug ist, auch einen auszuhalten, der in dieser Art und Weise mit Themen kokettiert, die ich persönlich geschmacklos finde.“ Unzweifelhaft ist Vincentz auf dem besten Wege, als nordrein-westfälische Reinkarnation Jörg Meuthens in die politische Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
In jeder Hinsicht ungeeignet
Martin Vincentz gehört zu jenem Personenkreis, der dem Establishment bisher noch nicht angehört, es aber in Zukunft allzu gerne würde. Ohne eigenes Zutun in den Umfragen gestiegen, träumt er bereits von einem Ministerposten in einer CDU-geführten Koalition. Um diesen Traum zu verwirklichen, lässt er jeden Mitstreiter über die Klinge springen, der es mit seinen Überzeugungen ernst meint. Vor allem solche, die um mehr als nur ihre „bürgerliche Reputation“ fürchten müssen. Junge Aktivisten und das Vorfeld gelten lediglich als lästige Begleiter, für die man sich in Interviews rechtfertigen muss. Nach zwei Jahren Amtszeit als NRW-Landessprecher fällt Vincentz’ Bilanz mager aus. Vermutlich wird seine Ära allzeit mit mangelnder Solidarisierung, dem ständigen Ziehen von Brandmauern, dürftiger inhaltlicher Akzente sowie dem unerfüllten Wunsch nach Anerkennung durch den Mainstream verbunden sein.