Einreiseverbot gegen Martin Sellner: „Die Sache ist noch nicht erledigt“

Das erste Kapitel in der Causa „Einreiseverbot gegen Martin Sellner“ ist gestern in Passau zu Ende gegangen. Wir haben seinen Anwalt, Dubravko Mandic, im exklusiven Interview um eine juristische Einschätzung der Lage gebeten. Für ihn ist die Sache noch lange nicht erledigt: „Ich rechne damit, dass Sellner verboten werden wird, einzureisen.“

Martin Sellner hat die Bundesrepublik und das ausgesprochene Einreiseverbot gestern auf die Probe gestellt – und konnte bei Passau nach einer intensiven Befragung durch die Bundespolizei prompt die Grenze überqueren. Also alles nur ein Bluff? Nein, so sein Anwalt Dubravko Mandic. Er rechnet damit, dass Sellner die Einreise verboten werden wird.

Sehr geehrter Herr Mandic! Martin Sellner und das vermeintlich gegen ihn ausgesprochene Einreiseverbot dominierten am Wochenende die Schlagzeilen. Nun konnte er gestern die Grenze nach Passau überqueren – war das Verbot also nur eine Medienente oder gar ein politischer Bluff? Oder haben die Verantwortlichen vielmehr kalte Füße bekommen?

Dubravko Mandic: Nein, das war kein Bluff. Aber es war so, dass man da hineingeschlittert ist. Alles begann mit einer Frage einer Linken in einem Bundestagsausschuss. Die Behörden ließen sich dann offensichtlich von der Antirechts-Stimmung im Land treiben und zu nicht haltbaren juristischen Äußerungen verleiten. Sellner hat das Beste daraus gemacht und den medialen Elfmeter souverän verwandelt. Das Ganze wird aber noch weitergehen. Ich rechne damit, dass Sellner verboten werden wird, einzureisen.

Sie selbst haben das Mandat von Sellner übernommen und daraufhin mehrere Behörden kontaktiert sowie einen Eilrechtsschutz beantragt. Eine Antwort der zuständigen staatlichen Stellen blieb bis zuletzt aus – was war aus Ihrer Sicht der Grund dafür?

Das Bundesministerium des Innern hat auf unsere Aufforderung hin gestern Mittag mitgeteilt, dass es für eine Einreisesperre nicht zuständig sei und auch nicht beabsichtigt ein Verbot zu erlassen. Da sich das Bundespolizeipräsidium auf unsere Anfrage nicht äußerte, stellten wir sogleich einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Potsdam mit den Anträgen, es zu unterlassen, Maßnahmen zur Verhinderung der Einreise unseres Mandanten oder Maßnahmen zur Abschiebung zu ergreifen und II. bis zur Entscheidung der Kammer über diesen Antrag eine Vorsitzendenentscheidung nach §§ 123 Abs. 2 S. 3, 80 Abs. 8 VwGO zu treffen. Das Gericht teilte uns gestern 17:00 Uhr mit, dass das Bundespolizeipräsidium gebeten wurde bis zu einer Gerichtsentscheidung keine (weitere) Vollziehung durchzuführen. Heute teilten wir dem Gericht ferner mit, dass die Sache sich nicht erledigt hat. Zwar konnte der Mandant gestern in das Bundesgebiet einreisen. Er wurde dabei jedoch weitgehenden polizeilichen Maßnahmen unterzogen, welche für Unionsbürger völlig unüblich sind. Seine Einreise hing wohl auch von der Frage ab, wie lange er sich im Bundesgebiet aufzuhalten gedenke. Die Bundespolizei hat sich dementsprechend anscheinend auch nicht an die Bitte des Gerichts gehalten, von der Vollziehung der medial breit rezipierten Ankündigung der Ausschreibung zur Fahndung abzusehen. Die polizeilichen Maßnahmen und das Ergreifen des Mandanten waren nämlich direkte Folge dieser Ausschreibung. 

Vor seiner Einreise wurde Martin Sellner intensiv von der Bundespolizei einvernommen. Thema waren vor allem die geplante Aufenthaltsdauer sowie etwaige politische Tätigkeiten. Könnte ihm in Zukunft möglicherweise die Einreise verwehrt werden – etwa wenn er zu einer Demonstration oder einer Veranstaltung anreist?

Ja.

Welche rechtlichen Grundlagen gibt es aus juristischer Sicht, einem EU-Bürger die Einreise in ein Nachbarland zu verwehren?

Soweit die Bundespolizei ihr Vorgehen auf § 6 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU stützt ist dies keine taugliche Ermächtigungsgrundlage. Laut eines Beitrags vom NIUS wurde in einer internen Mail festgestellt, dass dem Antragsteller die Einreise mit dieser Rechtsgrundlage zu verweigern ist. § 6 Asb. 1 S. 2 FreizügG/EU ist jedoch eine Vorschrift, welche schon nicht in den Kompetenzbereich der Bundespolizei fällt. § 6 FreizügG/EU bildet die alleinige Grundlage für die behördliche Ermessensentscheidung über den Verlust des Freizügigkeitsrechts (BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30/02 –, BVerwGE 121, 297-315, Rn. 19). Nach den bundesgesetzlichen Vorgaben fällt die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 FreizügG/EU in die Zuständigkeit der Ausländerbehörde. Dies folgt sowohl aus § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als auch mittelbar aus § 7 Abs. 1 FreizügG/EU.

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen die Ausländerbehörden zuständig. Eine solche anderweitige Bestimmung enthält § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, weil diese Regelung sich mit dem Zusatz „und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen“ auch für den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU Geltung beimisst (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2011 – 1 C 18.10 – BVerwGE 140, 72 Rn. 9 ff.). Welche Behörden Ausländerbehörden im Sinne des Aufenthaltsgesetzes (und des Freizügigkeitsgesetzes/EU) sind, hat der Bundesgesetzgeber nicht selbst bestimmt. Die Bestimmung, welche konkreten (Landes-)Behörden als Ausländerbehörden anzusehen sind, fällt deshalb gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG in die Regelungskompetenz der Länder (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 1 C 60/20 –, Rn. 21, juris). Folglich könnte die Bundespolizei ihre Maßnahme nur auf allgemeine Polizeivorschriften stützen, die jedoch angesichts der spezielleren Regelung nicht anwendbar sind.

Die Diskussion um das Einreiseverbot entlarvt die absurden Prioritäten der Bundesrepublik. Manch einer hat Sellner daher dazu geraten, an der Grenze einfach „Asyl!“ zu rufen und einen entsprechenden Antrag zu stellen. Könnte das – rein juristisch betrachtet – tatsächlich Aussicht auf Erfolg haben?

Man muss mit allen möglichen Schweinerein rechnen. Politisch aktive Bürger werden anders behandelt. Politische Justiz zeichnet sich durch die selektive Rechtsanwendung aus. Viele Paragraphen werden oft gar nicht angewandt und werden plötzlich aufgrund veränderter politischer Verhältnisse relevant. So gab es früher nie Verfahren im Zusammenhang mit falschen Gesundheitszeugnissen. In der Pandemie wurden damit dann aber Impfskeptiker bekämpft. Niemand kümmert sich heute darum, dass Asyl unter fadenscheinigen oder unrichtigen Gründen beantragt wird. Würde Sellner Asyl beantragen würde man wohl alles sehr genau prüfen. Es gibt § 84 AsylG: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen Ausländer verleitet oder dabei unterstützt, im Asylverfahren vor dem Bundesamt oder im gerichtlichen Verfahren unrichtige oder unvollständige Angaben zu machen, um seine Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zu ermöglichen.

Abschließend: Sie haben bereits mehrfach Aktivisten und Politiker rechtlich vertreten, zuletzt etwa den AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Halemba. Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, sich gegen die Repression des Staates auch mit handfesten juristischen Mitteln zu wehren?

„Alles Recht in der Welt ist erstritten worden, jeder Rechtssatz, der da gilt, hat erst denen, die sich ihm widersetzten, abgerungen werden müssen, und jedes Recht, das Recht eines Volkes, wie das eines Einzelnen, setzt die stetige Bereitschaft zu seiner Behauptung voraus. Das Recht ist kein logischer, sondern es ist ein Kraftbegriff. Darum führt die Gerechtigkeit, die in der einen Hand die Waagschale hält, mit der sie das Recht abwägt, in der anderen das Schwert, mit dem sie es behauptet.“ RUDOLF von JHERING, Der Kampf ums Recht

Sehr geehrter Herr Mandic, herzlichen Dank für das Gespräch!

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