Nayib Bukele – der coolste Diktator der Welt?

Spätestens seit der unbarmherzigen Zerschlagung der kriminellen Banden, die El Salvador jahrzehntelang im Würgegriff gehalten haben, erfreut sich Nayib Bukele in seiner Heimat einer beispiellosen Popularität. In diesem Beitrag beleuchten wir ausführlich die Hintergründe des Aufstiegs des selbsternannten „Philosophenkönigs“.

Dort wo sich die Pazifikwellen an den grünen Hängen der Vulkane brechen, markieren sie ein fruchtbares, aber von Gewalt gezeichnetes Land. El Salvador drängt auf einer Fläche von der Größe Hessens 6,5 Millionen Einwohner, die höchste Bevölkerungsdichte des amerikanischen Festlandes. Schon die spanischen Konquistadoren trafen auf entwickelte Reiche der indianischen Indigenen, die dem Druck der spanischen Feuerwaffen, Pferde und Krankheiten nicht standhielten.

Kultur- und Verteilungskämpfe

Europäische Siedler wanderten ein und so ist das zentralamerikanische Land seit Jahrhunderten von Kultur- und Verteilungskämpfen geprägt. Diese kulminierten im 20. Jahrhundert einerseits in der Matanza, „dem Massaker“, bei dem das Militär einen ländlichen und in erster Linie von den indigenen Pipil geführten Aufstand so blutig niederschlug, dass ein großer Teil der Pipil umkam und der Rest in die spanisch-mestizische Mehrheitsgesellschaft assimiliert wurde. Andererseits, im großen Bürgerkrieg von 1979 bis 1992, geführt in klassisch lateinamerikanischer Manier: Die Regierung mit Unterstützung rechtsgerichteter, paramilitärischer Gruppierungen gegen linke Guerillatruppen.

Bandengründung in den USA

Neben den tiefen Narben, die der Bürgerkrieg in der Bevölkerung hinterließ, bedingte er zugleich die nächste Plage, die das Land im 21. Jahrhundert heimsuchen sollte: Während des Bürgerkrieg flüchteten Teile der Bevölkerung außer Landes und wanderten in die Ghettos US-amerikanischer Großstädte ein. Dort schlossen sich einige von ihnen bestehenden Banden an oder gründeten eigene. So insbesondere die Mara Salvatrucha (MS13) und die Barrio 18, beide aus Los Angeles. Unter Bill Clinton wurden in den 90er Jahren viele der salvadorianischen Gangmitglieder in ihr Heimatland remigriert.

Gewaltherrschaft der Banden

In der instabilen Nachbürgerkriegsordnung in El Salvador konnten die Pandilleros, wie die Bandenmitglieder bezeichnet werden, ihre eigenen Machtzentren aufbauen und bald das Gewaltmonopol in großen Teilen des Landes stellen. Dabei stützt sich ihr Wirtschaftsmodell auf die Abwicklung des kolumbianisch-US-amerikanischen Kokainhandels einerseits und auf die systematische Auspressung der salvadorianischen Zivilbevölkerung anderseits. Schutzgeld, Erpressungsgelder, Raubüberfälle, der Bewegungsradius der Menschen beschränkt sich häufig auf einige Straßenzüge oder auf ihr Dorf. Wie ein blutsaugender Parasit sitzen die Gangs auf dem Land. Im Jahr 2015 wies El Salvador als Resultat mit 104 Morden pro 100.000 Einwohner die höchste Mordrate der Welt außerhalb von Kriegsgebieten auf.

Bukele – Der Erretter

Auftritt: Nayib Armando Bukele Ortez. Seit 2019 Präsident des Landes fiel der politische Außenseiter anfänglich durch innovative Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft auf: Der Bitcoin wurde als gesetzlich anerkanntes Zahlungsmittel anerkannt, Bukele holte die lateinamerikanische Zentrale von Google nach El Salvador. Jüngst gelangt der junge Präsident jedoch auf einer ganz anderen Ebene zu Ruhm. Blieben die Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung in den ersten Jahren noch zögerlich, so führt Bukele seit zwei Jahren einen fulminanten Siegeszug gegen die Macht der Banden. Auslöser war ein Blutwochenende im März 2022, an dem mehr als 80 Morde gezählt wurden.

Bis zu 75.000 Festnahmen

Bukele verhängte den Ausnahmezustand – an sich nichts Ungewöhnliches, auch in der Vergangenheit hatten verschiedene Präsidenten alibihaft für einige Tage Härte gezeigt, die aber keine Veränderung brachte. Diesmal sollte es anders werden: Mit ungeahnter Vehemenz griff Bukele durch: Polizei und Militär führten Razzien im ganzen Land durch, ganze Großstädte, so Soyapango, wurden abgeriegelt nach Bandenmitgliedern durchkämmt und diese festgesetzt. In wenigen Wochen wurde über 50.000 Pandilleros festgenommen, eine Zahl, die sich bis 2023 auf 75.000 hochschrauben sollte.

Die Exekutive leistete Folge

Das entspräche auch ungefähr der geschätzten Mitgliederzahl: ein Prozent der Bevölkerung. Die Identifikation der Pandilleros ist an sich auch kein schwieriges Unterfangen. Die Maras (Banden) waren derart dominant, dass man die Zugehörigkeit zur Gang offen zur Schau stellte: Großflächige Tattoos mit den Initialen M und S für die Mara Salvatrucha oder den Ziffern 1 und 8 für die Barrio 18 prangen auf den Gesichtern. Erstaunlich ist eher, dass die Exekutive staatlichen Anweisungen in ganzem Ausmaß Folge leistete und die Maras auch nicht durch Informanten vorgewarnt wurden. Bei einer derartigen Präsenz der Banden wäre eine Infiltration von Polizei und Militär durch Pandilleros naheliegend.

Die Macht der Banden ist gebrochen

Ganz gleich ob diese nie standgefunden hatte oder Bukele die Agenten der Maras im richtigen Augenblick ausschalten konnte: die Macht der Banden ist gebrochen. Der Ausnahmezustand wurde konsekutiv verlängert und gilt nun seit zwei Jahren. 2023 war die Mordrate auf 2,4 gesunken – auf kanadisches Niveau. Das absolute Gros der Mitglieder sitzt im Gefängnis. Bukele eröffnete im Januar 2023 nach einer Bauzeit von nur 7 Monaten das CECOT, das Zentrum zur Eindämmung des Terrorismus, das größte Hochsicherheitsgefängnis Lateinamerikas mit Platz für 40.000 Insassen. Filmaufnahmen aus dem Innern gehen um die Welt: Gebückt im Laufschritt, nur mit einem weißen Lendenschurz bekleidet, werden Hunderte Pandilleros von hocharmierten Wächtern durch die Gänge gejagt. La mara anda suelta – Die Mara geht aufrecht – lautet der Titel eines MS13-nahen Rapliedes. Nicht mehr.

Ein neuer Ausnahmezustand

El Salvador befindet sich nun in einem neuen Ausnahmezustand: Die Sicherheitslage ist so gut wie noch nie. Das Volk kann sein Glück kaum begreifen und befindet sich im Begeisterungstaumel. In seinem Resumen 2023 gibt uns der salvadorianische Präsident einen Eindruck von der Stimmung, die in seinem Land herrscht.

In dem erstklassigen Propagandavideo werden die Erfolge der Regierung Bukele unterlegt mit epischen Musik dem Zuschauer präsentiert: Kriminalitätsbekämpfung, die Errichtung des CECOT, neu eröffnete Schulen und was in Lateinamerika natürlich nicht fehlen darf: Die fußballerischen Erfolge und die Ausrichtung von Miss Universe in El Salvador. Der Enthusiasmus und der Stolz mit dem die salvadorianische Kandidatin nach ihrem Namen ihr Vaterland in das Mikrophon schrie, symbolisieren die Stimmung einer ganzen Nation. Die US-amerikanische Veranstalterin kann den Wettbewerb nur den kennedyschen Worten schließen: Ahora todos somos Salvadoreños – Jetzt sind wir alle Salvadorianer.

Der Heiland aus Bethlehem

Paradiesische Zustände hat Bukele gebracht. Dabei scheint schon sein persönlicher Hintergrund der biblischen Heilsgeschichte entsprungen zu sein. Seine Großeltern waren arabische Christen aus Bethlehem, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach El Salvador ausgewandert waren. Sein Vater Armando konvertierte später zum Islam und gründete die erste Moschee von El Salvador. Nayib Bukeles Frau hat ebenfalls levantinische Wurzeln. Das Präsidentenpaar mit seinen zwei jungen Kindern, die für die Weihnachtsbotschaft dem salvadorianischen Volk zuwinken, wirkt wie von einem anderen Stern. Bukeles schlaksiger Gang, die weichen Gesichtszüge mit dem Grinsen eines Honigkuchenpferds und seine lispelnde Stimme konterkarieren seine Politik der harten Hand. Und doch war der Erfolg gegen die Banden nur der erste Schritt zu seinem idealem Staat.

Der „coolste Diktatur der Welt“

Bukele erschien in den ersten Jahren seiner Karriere als Opportunist – in seinen früheren Positionen als Bürgermeister vertrat er die linksradikale FMLN; vor der Präsidentschaftswahl gründete er seine eigene Partei, Nuevas Ideas, mit der er aber nicht rechtzeitig zugelassen werden konnte, also ging er für die Mitte-Rechts-Partei GANA ins Rennen; nun herrscht er mit der Nuevas Ideas und gefällt sich in der autokratischen Herrscherrolle. 2021 tauschte er einen bedeutenden Teil der Richter aus. Mit den neu eingesetzten Verfassungsrichtern verabschiedete er eine Verfassungsänderung, die eine zweite konsekutive Legislaturperiode ermöglichte. Vor der Wahl 2024 wurde die Anzahl der Abgeordnetensitze reduziert – wohl zur Marginalisierung kleinerer Oppositionsparteien. Resümierend bezeichnet sich Bukele als der „coolste Diktator der Welt“.

Der Philosophenkönig

Jüngste Äußerungen des Präsidenten vermitteln zumindest den Anschein über machiavellsche Machtpolitik hinauszugehen. So tritt Bukele auf X als „Philosopher king“ auf. Der Tweet „Power is either vested in kings or it inevitably ends up with the merchants.“ – Die Macht liegt entweder bei Königen oder sie landet unweigerlich bei Händlern. – lässt aufhorchen. Auch spricht Bukele von der „wahren Demokratie“, die nun beginne. Ob der neue Staat nach den Idealen der Politeia gestaltet sein wird, muss sich erst zeigen. Dass Bukele sich bei solchen Äußerungen einerseits und seiner harten Hand gegen Kriminelle andererseits der Feindschaft der Westpresse sicher sein kann, bedarf wenig Fantasie. Spätestens seit seinem jüngsten Vorgehen gegen die Gender-Ideologie an salvadorianischen Schulen ist er der neue Buhmann des Westens.

Ist das Modell übertragbar?

Das salvadorianische Modell auf Westeuropa übertragen zu wollen ist müßig. Die Ausgangslage ist kaum vergleichbar und El Salvador hat das Privileg nicht im Rampenlicht der Weltpolitik zu stehen. Erstaunlich bleibt, dass sich in einem Land, das über Jahrzehnte von gut organisierten Banden durchwirkt wurde, der Turnaround doch möglich ist. Der große Unterschied zwischen El Salvador und Westeuropa ist allerdings, dass das zentralamerikanische Land eines der autochthonsten weltweit ist und der gebündelte Volkswille mit der richtigen Führung zum richtigen Zeitpunkt die Wende bringen kann. In Westeuropa schwindet diese Möglichkeit zunehmend.

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