Die vier Ebenen des inszenierten Skandals um Maximilian Krah

Als Folge des inszenierten Skandals rund um AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah wurde die Partei gestern aus der EU-Fraktion „Identität und Demokratie“ ausgeschlossen. Doch was steckt wirklich dahinter? Und was haben Le Pen, Meloni und Orbán damit zu tun? Heimatkurier-Chefredakteur Philipp Huemer skizziert in seinem Leitartikel die vier unterschiedlichen Ebenen des vermeintlichen Skandals.

„Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher!“ – mit diesem Satz sorgte Maximilian Krah (AfD) vergangenen September für einen metapolitischen Meilenstein. Damals kommentierte ich: „In weniger als einer Minute rechnet Krah rhetorisch gekonnt mit dem herrschenden Schuldkult ab und erklärt seinen Zusehern, warum wir als Deutsche allen Grund haben, auf unsere Vorfahren stolz zu sein […] dahinter gibt es nun kein Zurück mehr. Hier verläuft die Front.

Schuld ist individuell

Mit diesem nunmehr legendären TikTok-Video markierte Krah seinen identitäts- und erinnerungspolitischen Markenkern, dem er in den kommenden Monaten stets treu blieb – auch in direkter Konfrontation mit dem politischen Gegner. Als ihm vergangene Woche eine italienischen Zeitung diesen Satz vorhielt und eine Stellungnahme zur SS abnötigte, blieb Krah seinem Standpunkt treu: Schuld ist individuell, keine Pauschalurteile, unterstrichen mit eindrücklichen Beispielen wie etwa Günter Grass.

Es geht um mehr

Der weitere Ablauf des Skandals bis zum Ausschluss aus der ID-Fraktion ist bekannt. Ist Krah und mit ihm die gesamte AfD also letztendlich über einen unklugen Satz im Wahlkampf gestolpert? Keineswegs. Der Konflikt, der sich seit Dienstagabend bis zum gestrigen Donnerstag abgespielt hat, muss vielmehr auf mehreren Ebenen betrachtet und analysiert werden. Dann wird klar: es geht um weitaus mehr als eine differenzierte Aussage zur Waffen-SS.

Erste Ebene: Die Aussage selbst

Wie bereits erwähnt, ist Maximilian Krah mit seiner Antwort im Grunde seinem seit Monaten immer wieder geäußerten Standpunkt treu geblieben: keine Pauschalurteile, Schuld ist individuell; ein positives Verhältnis zu unseren Vorfahren und unserer Geschichte ist notwendig und negative Aspekte dürfen unsere Identität nicht determinieren. Der auch im eigenen Lager erhobene Vorwurf, Krah hätte anders (im Sinne von taktischer/klüger) antworten müssen, ist zwar nachvollziehbar, verkennt aber die Authentizität und das Selbstverständnis von Krah als Politiker. In einem viralen Tweet (85.000 Aufrufe), der viel Zustimmung gefunden hat, habe ich das umfassend skizziert:

Fazit: Krah hätte sicherlich anders antworten können, gewundener, zaghafter, vielleicht auch schlauer – gerade deswegen ist ihm seine Aussage nicht vorzuwerfen. Er hat kein „Fass aufgemacht“, sondern lediglich eine Frage so beantwortet, wie es seiner authentischen Auffassung entspricht. Dabei ist er – wie man es von ihm gewohnt ist – trotz des heiklen Themas anschlussfähig und differenziert geblieben. Warum also die scharfe Abgrenzung von der Parteispitze?

Zweite Ebene: Interne Partei- und Machtpolitik

Wer sich in den letzten Wochen mit Funktionären oder engagierten Mitgliedern der Partei unterhalten hat, wusste: dieser Wahlkampf läuft alles andere als professionell ab. Plakate und sonstiges Material wird nicht oder viel zu spät geliefert, Agenturen sitzen auf Stunden von Videomaterial des Spitzenkandidaten, das von der Partei nicht freigegeben wird und auf inszenierte Skandale des politischen Gegners (Stichwort: chinesischer Spion) wird nicht mit Rückhalt, sondern mit Auftrittsverboten geantwortet. Ich selbst war vergangene Woche mehrere Tage in Sachsen und Brandenburg unterwegs und habe während der mehrstündigen Autofahrten kein einziges AfD-Plakat zur Europawahl entdeckt.

Kein Interesse am Wahlkampf

Es scheint fast so, als hätten Parteispitze, Bundesvorstand sowie einige Landesverbände der AfD von Anfang an kein großes Interesse daran gehabt, einen engagierten Wahlkampf zu führen und ihre in Magdeburg aufgestellten Kandidaten einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Krah musste deshalb zwangsläufig eigene Akzente setzen, was unter anderem in einem sechseinhalbstündigen Interview-Marathon mit Tilo Jung resultierte. Eine Glanzleistung, die wohl kaum ein anderer AfDler so hätte vollbringen können – doch auch dieser erste Wahlkampf-Triumph wurde von der Partei nicht weiter genutzt. Stattdessen verhinderte man, wie bereits erwähnt, die Freigabe von Videomaterial und verhängte ein Auftrittsverbot des Spitzenkandidaten beim Wahlkampfauftakt.

Warten auf nächsten „Fehltritt

Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig – von bereits lange schwelenden parteiinternen Konflikten über persönliche Befindlichkeiten und Eifersüchteleien bis hin zu fehlender Professionalität und Organisation kursieren viele Erklärungen dafür. Am Ende macht es wohl die Mischung. Unabhängig davon ist jedenfalls klar: nicht nur externe Akteure, sondern auch Teile der AfD dürften lediglich auf den nächsten vorgeblichen „Fehltritt“ von Krah und Konsorten gewartet haben, um weiter Druck aufbauen und schließlich entsprechende Konsequenzen ziehen zu können. Eine ernsthafte Verteidigung des Angriffs von Le Pen war daher nicht zu erwarten.

Dritte Ebene: Europäische Partei- und Fraktionspolitik

Moment – ein Angriff von Le Pen? Ja, denn es ist kein Zufall, dass das von der italienischen La Repubblica publizierte Interview plötzlich bei der weit links stehenden französischen Zeitung Libération aus Frankreich landete und kurz darauf von Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National genutzt wurde, um den endgültigen Bruch mit der AfD zu verkünden. Wir erinnern uns: bereits im Jänner hatte sich Le Pen nach dem inszenierten Potsdam-Skandal erstmals von der AfD distanziert – auch damals hatte Libération als erstes die passende Meldung parat. Alice Weidel musste schließlich als Konsequenz eigens zu einem Krisengespräch nach Paris reisen – doch endgültig geklärt konnte der Konflikt damit nicht werden. Ende April gab es dann eine äußerst gekünstelt wirkende Aufregung wegen der angeblich in Frage gestellten Zugehörigkeit der Insel Mayotte zu Frankreich. Nimmt man all das zusammen, gibt es allen Grund zu vermuten, dass man im Team von Le Pen lediglich auf den nächsten Vorwand gewartet hat, um sich der AfD zu entledigen. Zum Vergleich: als Harald Vilimsky die Einsetzung eines Remigrationskommissars forderte, gab es vonseiten des RN keine Reaktion.

Ziel der französischen Präsidentschaft

Doch warum versucht Le Pen seit Monaten, einen Keil zwischen sich und die AfD zu treiben? Hier gibt es aktuell zwei zusammenhängende Erklärungen. Zum einen sieht sich Marine Le Pen bei den nächsten Wahlen als einzige aussichtsreiche Herausforderin für Emmanuel Macron und will sich dort ihren politischen Lebenstraum, französische Präsidentin zu werden, erfüllen. Dafür gilt es aus ihrer Sicht vor allem weiter „anschlussfähig“ zu werden. Ihrem selbst gesteckten Ziel ordnet sie hartnäckig und rücksichtslos alles andere unter – auch wenn darunter Inhalte oder die Beziehungen zu anderen Parteien leiden. Als Vorbild und Beispiel soll ihr Giorgia Meloni dienen – womit wir beim zweiten Punkt angekommen wären: Le Pen will ihre Partei auch auf europäischer Ebene neu positionieren und sucht dafür potenzielle Bündnispartner.

Le Pen, Meloni und Orbán

AUF1-Chefredakteur Stefan Magnet postete dazu gestern Abend passende Insiderinformationen: „Von meinen direkten Kontakten in Berlin, Wien, Paris und Budapest weiß ich: Was wir gerade bezüglich der europäischen ,Rechtsparteien’ erleben, ist eine Polit-Show. Es geht nicht um die beanstandeten Äußerungen von Krah. Es geht um Politik: Le Pen und Meloni wollen mit Orban eine eigene ,nicht radikale‘ EU-Fraktion gründen. Dabei steht die AfD im Weg. So einfach ist das. Also montiert man die AfD ab.“ Eine durchaus plausible Erklärung, wenn man sich etwa die Einladungsliste vergangener „rechter“ Konferenzen auf europäischer Ebene ansieht: Mitglieder unterschiedlicher rechter EU-Fraktionen nahmen daran teil – doch stets fehlte die AfD. Es ist müßig zu klären, ob Le Pen tatsächlich die Gründung einer eigenen Fraktion anstrebt oder sich lediglich der EKR-Fraktion annähern möchte (zu der neben Melonis Fratelli d’Italia auch die spanische VOX und die polnische PiS zählen): die AfD ist beziehungsweise war für sie ein Störfaktor.

Vierte Ebene: Nationale Interessen und europäische Machtpolitik

Ausgehend davon sollte man sich einmal ganz grundsätzlich die Frage stellen, ob andere europäische Rechtsparteien überhaupt ein Interesse an einer erfolgreichen und weltanschaulich agierenden deutschen Rechtspartei und in weiterer Folge einem starken und souveränen Deutschland in Europa haben. Es sollte angesichts der europäischen Geschichte der letzten Jahrhundert bekannt sein, dass Frankreich, Italien, Deutschland, Polen und so weiter jeweils eigene und zum Teil sogar gegensätzliche Interessen besitzen. Kann es einer rechten Allianz gelingen, diese Unterschiede und Gegensätze auf der Grundlage einer gemeinsamen Ideologie und im Kampf für ein freies und souveränes Europa auszubalancieren? Oder überwiegen letztlich doch die „Fliehkräfte“, die einen solchen „europäischen Nasserismus“ (J.K. Poensgen) verunmöglichen?

Die Krux mit der EU

Schon ganz konkret könnte ein solches Deutschland Probleme verursachen: die Bundesrepublik steht mit 19,7 Milliarden Euro unangefochten auf Platz eins der Nettozahler der Europäischen Union. Frankreich folgt mit fast der Hälfte (10 Mrd.) auf Platz zwei, Italien mit 3,9. Mrd. auf Platz drei. Zu den davon profitierenden Nettoempfängern zählen hingegen Länder wie Polen, Ungarn, Spanien und Portugal. Hat man dort tatsächlich ein Interesse daran, dass Zahlungen Deutschlands an die Europäische Union zurückgehen oder es einen neuen europäischen Staatenbund gibt, in dem ein souveränes Deutschland eine führende Rolle einnimmt? Eine solche Frage mag unangenehm sein, doch der im Fall Krah sichtbar gewordene konzertierte Angriff auf die AfD vonseiten anderer Rechtsparteien muss Anlass sein, sie zu stellen.

Das sicherheitspolitische Problem Europas

Grundsätzlich geht es auf dieser Ebene um jenes sicherheitspolitische Problem in Europa, das spätestens seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges virulent ist: die deutsche Stellung in Europa und das sogenannte „Gleichgewicht der Kräfte“. Nach 1945 wurde dieses Problem durch das Aufkommen zweier außereuropäischer Hegemonialmächte gelöst, seit 1989 gibt es nur noch eine davon: die Vereinigten Staaten. Die daraus resultierende Westbindung hat der deutsche Publizist Johannes Konstantin Poensgen in einem lesenswerten Artikel treffend als „deutsches Dilemma in Europa“ beschrieben: „Die Abhängigkeit der Europäer von den Vereinigten Staaten betrifft nur zweitrangig den Schutz vor äußeren Feinden. Zuvörderst beruht sie darauf, daß Amerika den Frieden zwischen den europäischen Staaten garantiert.

Realismus statt Illusionen

Das Fazit dieser durchaus abstrakten und weitreichenden Überlegungen? Man sollte sich als deutsche Rechte hinsichtlich seiner europäischen Verbündeten keinen Illusionen hingegeben. Die politische Großwetterlage in Europa und der Welt muss realistisch und nüchtern betrachtet werden – fernab ideologischer Wunschgebilde. Nur dann findet man Bündnispartner, auf die im Ernstfall Verlass ist. Doch ungeachtet dessen – was bleibt nun vom vermeintlichen Skandal rund um Maximilian Krah, dessen Rückzug aus dem Bundesvorstand und dem Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion?

Kühlen Kopf bewahren

Klar ist: wer geglaubt hat, Potsdam oder der chinesische Spion waren alles, hat sich getäuscht. Erst jetzt brechen für die Partei die wirklich harten Zeiten an. Im Gegensatz zur FPÖ dürfte man darauf jedoch nicht oder nur unzureichend vorbereitet sein. Umso wichtiger ist es, das Spiel jetzt zu durchschauen und sich nicht mit Oberflächlichkeiten aufzuhalten: „Es geht um Politik, nicht um die SS“, bringt es Stefan Magnet (AUF1) prägnant auf den Punkt. Viele haben nur auf diesen Vorwand gewartet, um ihre eigene Agenda durchzusetzen – egal ob parteiintern oder auf EU-Ebene. Als rechtes Lager dürfen wir uns jetzt nicht am Sündenbock-Spiel beteiligen, sondern müssen vielmehr einen kühlen Kopf bewahren und erkennen: wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere.

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