Auf Entdeckungsreise durch die Bretagne: Erbe, Ansprüche und Zukunft

Die Bretagne war die einzige keltische Nation in Europa, ehe sie im 16. Jahrhundert von Frankreich annektiert wurde. Seither sind die „Briten“ der französischen Verwaltung unterworfen, ohne Autonomie und ohne Anerkennung ihrer Sprache und Kultur. Doch seit dem 19. Jahrhundert gibt es Bewegungen, die das ändern wollen – bis heute. In seinem Gastbeitrag liefert Matisse Royer einen historischen Rückblick und stellt die Organisation An Tour Tan vor.

Ein Beitrag von Matisse Royer

Seit Jahrhunderten beherbergt das bretonische Festland eine reiche und vielfältige kulturelle Identität, die von Jahrtausende alten Traditionen und einer uralten Sprache geprägt ist. Es kann zu Verwechslungen zwischen „Bretagne“ und „Großbritannien“ kommen. Früher war „Britannien“ die Bezeichnung für Großbritannien. Die Römer benutzten „Britannia“ für diese Insel, die von den „Brittonen“ bewohnt wurde, woraus „Britannien“ und „Britannier“ entstanden. Die Bewohner der Bretagne, sowohl auf dem Festland als auch auf der Insel, sind also Briten.

Erbe: die Bretagne und ihre Geschichte

Die Ankunft der Bretonen in der Bretagne um das 5. Jahrhundert fällt mit den Angriffen der Germanen (Angeln, Sachsen und Jüten) auf den Westen Englands (East Anglia, Südosten) zusammen, die von Magna Germania und Dänemark ausgingen. Diese Wikingereinfälle zwangen die Bretonen zu einer verstärkten Migration in Gebiete wie Schottland, Wales, Irland, Cornwall und die Bretagne. Es gab mehrere aufeinanderfolgende Einwanderungswellen auf das bretonische Festland, die letzte von der Grafschaft Gwynedd (Wales) nach Bro-Gwened (Bretagne). Diese Bevölkerungsbewegungen wurden von mächtigen Kriegern, Bauern und Würdenträgern des bretonischen Klerus begleitet. In der Tat wurde die Bretagne von den Sieben Heiligen Bretonischen Gründern geprägt, die für ihre Rolle bei der Evangelisierung der Region und für ihren Beitrag zur Gründung der bretonischen Kirche in der Frühzeit des Christentums verehrt wurden. Ihr spirituelles und kulturelles Erbe lebt in der Region weiter.

Sprachliche Verwandtschaften

Es gibt eine gemeinsame Basis zwischen diesen verschiedenen Völkern, die sich in der sprachlichen Verwandtschaft der keltischen Sprachen zeigt. So ist zum Beispiel aus dem walisischen Llangollen das bretonische Langolen im Finistère hervorgegangen. Die Bretagne bewahrt das Erbe der keltischen Tradition in ihrer Sprache, ihrer Literatur, ihrer Musik – vor allem vertreten durch die „Bombard“, die „Binioù“ (dem Dudelsack verwandt) und die „Telenn Geltiek“ (keltische Harfe) – und ihren Tänzen wie dem „Gavotenn“ und dem „L’an Dro“. Dieser kulturelle Reichtum spiegelt sich auch in den „festoù noz“, den mit Stickereien und Holzschnitzereien verzierten Trachten, und in der Gastronomie mit Crêpes, Cidre und Kouign-amann wider. Auch keltische Legenden wie die von König Artus und den „Corriganed“ prägen das bretonische Erbe.

Die bretonische Identität: Von der unabhängigen Nation zur französischen Annexion

Im Zentrum dieser reichen Identität, die im Laufe der Zeit immer reicher geworden ist, steht das bretonische Volk des 21. Jahrhunderts. Früher war die Bretagne eine unabhängige und die einzige keltische Nation, fast 700 Jahre lang. Im 16. Jahrhundert wurde die Bretagne von Frankreich annektiert. Die Kelten in Frankreich sind der französischen Verwaltung unterworfen, ohne Autonomie und ohne Anerkennung ihrer Sprache und Kultur. Diese Situation führt zu Forderungen der bretonischen Bewegung nach Autonomie und Aufwertung der sprachlichen und kulturellen Identität ihres Volkes. Diese Bewegung, die unter dem Namen emsav bekannt ist, ist ein informeller Zusammenschluss von politischen Organisationen, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und kulturellen Vereinigungen, die sich für die Verteidigung und Entwicklung der Bretagne einsetzen. Die Wurzeln der emsav liegen also in einem konfliktreichen und von Spannungen geprägten Verhältnis zu einem Frankreich, das die bretonische Nation verachtet.

Die bretonische Bewegung: Die Emsav und der Identitätskampf für politische Autonomie

Im 19. Jahrhundert gab es eine starke kulturelle Erneuerungsbewegung in der Bretagne, die vor allem von Théodore de la Villemarqué und seinem Werk Barzaz Breiz, einer Sammlung bretonischer Gedichte und Lieder, verkörpert wurde. Zahlreiche Zeitungen, Vereine und Parteien setzen sich für die Verteidigung der bretonischen Freiheiten und die Bewahrung unserer Traditionen ein und decken dabei ein breites Spektrum politischer Sensibilitäten ab, wie beispielsweise Ar Bobl (Das Volk) und Breiz Atao, das emblematische Periodikum der bretonischen Bewegung von 1919 bis 1939. Zahlreiche Persönlichkeiten haben zu Breiz Atao beigetragen, von denen wir einige kurz vorstellen möchten.

Die großen Figuren der bretonischen Bewegung

Abbé Yann-Vari Perrot gründete die Zeitung Bleun-Brug (Heideblüte), die sich der Verteidigung des katholischen Glaubens und der bretonischen Traditionen, insbesondere der bretonischen Sprache, widmete. Der Schriftsteller, Dichter und Sprachwissenschaftler Roparz Hemon widmete sein ganzes Leben der Bereicherung der bretonischen Literatur. Zusammen mit Mordrel gründete er die Zeitschrift Gwalarn (Wind aus dem Norwegischen), die sich an die Elite der bretonischen Leser richtete, mit dem Ziel, die bretonische Literatur in den Rang der großen europäischen Literaturtraditionen zu erheben. 1941 wurde Roparz Hemon Direktor des Framm Keltiek Breizh (Keltisches Institut der Bretagne), unterstützt von dem deutschen Linguisten Leo Weisgerber, einem Spezialisten für keltische Sprachen. Das Institut, das sich am Modell der Deutschen Forschungsgemeinschaft orientierte, war ein Erfolg, da es die intellektuelle Elite der Bretagne zusammenführte. Morvan Marchal ist der Schöpfer der heutigen bretonischen Nationalflagge, die lange Zeit von den französischen Behörden verboten war. Diese Flagge verkörpert den Kampf für die bretonischen Freiheiten und Traditionen sowie für die Einheit der Bretagne. Olier Mordrel, Architekt und Schriftsteller, war Mitbegründer der Bretonischen Nationalpartei und der zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift Stur (Ruder), die der bretonischen Bewegung eine ideologische Grundlage geben sollte. Er ist Autor mehrerer Bücher und zählt zu den zentralen Figuren der bretonischen Bewegung des 20. Jahrhunderts.

Das Europa der hundert Flaggen

Yann Fouéré war ein hoher Beamter und Schriftsteller, der vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Als überzeugter Anhänger des europäischen Ideals ist sein bekanntestes Werk „L’Europe aux cent drapeaux“ (Das Europa der hundert Flaggen). In diesem Werk legt Fouéré seine Vision eines europäischen Föderalismus dar, in dem er die Autonomie von Nationen ohne Staat innerhalb eines europäischen Rahmens befürwortet. Er kritisiert auch die französische Verwechslung von Staatsbürgerschaft und Nationalität. Eine paneuropäische Zeitung, Peuples et frontières, wurde gegründet, an der bretonische Intellektuelle wie Mordrel oder Fouéré beteiligt waren. Neben den Bretonen gehörten auch Petru Rocca, ein korsischer Aktivist und Gründer der nationalistischen Bewegung A Muvra, Hermann Bickler, ein Vertreter aus dem Elsass, und der flämische Abbé Jean-Marie Gantois dazu. Ziel der Zeitung war es, die nationalen Minderheiten in Frankreich zu verteidigen, seien sie korsisch, bretonisch, deutsch oder flämisch.

Zukunft: War-sav E-Kreiz Ar Gorventenn – Aufrecht im Sturm

Heute ist Bretagne einer ihrer Regionen beraubt, in der sich ihre historische Hauptstadt befindet, und genießt keine Autonomie. Es gibt ein allmähliches Verschwinden der einheimischen Kultur, eine Invasion von Einwanderern, eine Überbesteuerung, eine Wohnungsnot und einen allgemeinen Rückgang des Lebensstandards. Hinzu kommt das Fehlen einer politischen Vertretung. Tatsächlich ist die bretonische Bewegung gespalten in eine realitätsferne linke Strömung und eine weichgespülte zentristische Strömung, die nicht in der Lage ist, die aktuellen Probleme anzugehen. Angesichts des Mangels an politischer Vertretung hat sich eine junge Emsav-Bewegung, An Tour Tan, gebildet. Diese Bewegung will in der bretonischen und europäischen Politik mitwirken und agieren und ist somit Teil der langen bretonischen Geschichte. Die Bewegung setzt sich ein für die Wiedervereinigung und Autonomie der Bretagne, für den Vorrang der Bretonen beim Zugang zu Wohnraum und Arbeitsplätzen, für ein Ende der Zuwanderungsflut, für Steuersenkungen und eine starke Förderung der bretonischen Sprache.

Europaweite Aktivitäten

Die Bewegung ist in Bro-Gwened (Vannettenland) aktiv und hat eine breite Basis von Aktivisten im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Die Aktionsmittel von An Tour Tan reichen von klassischer Militanz wie dem Kleben von Plakaten bis hin zu intellektuellen Aktivitäten wie der Organisation von Konferenzen. Sie ist auch eine Aktionsgruppe, wie die Aktion gegen den Abriss von tausendjährigen Menhiren, die Teil der tausendjährigen Geschichte der Bretonen sind, für ein Supermarktprojekt zeigt. An Tour Tan hat auch auf europäischer Ebene bereits an Aktionen teilgenommen. Insbesondere in der sächsischen Stadt Chemnitz bei der Konferenz von Martin Sellner oder bei der Demonstration in Antwerpen an der Seite von Flamen und Niederländern für die Gründung eines flämischen Staates.

An Tour Tan will die bretonische Kultur in all ihren Aspekten verteidigen und verbreiten, wie das Erlernen der bretonischen Sprache innerhalb der Organisation oder die Förderung des Feiz ha Breiz, einer bretonischen Pilgerfahrt, zeigt. Die Bewegung zählt mehrere hundert Aktivisten und Sympathisanten in der ganzen Bretagne. Sie ist ein Ort des Austauschs unter Bretonen, eine Gemeinschaft, die sportliche Aktivitäten wie Wanderungen organisiert. Schließlich verfolgt An Tour Tan einen europäischen Ansatz, indem sie sich für eine bretonische Bretagne in einem europäischen Europa einsetzt.

Matisse Royer studiert Medizin und ist in Frankreich, etwa auf Korsika und in der Bretagne, und darüber hinaus in ganz Europa politisch aktiv.

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