Ist Deutschland tatsächlich von den USA besetzt, wie viele Kritiker transatlantischer Beziehungen behaupten? Und wie stark ist die militärische und wirtschaftliche Abhängigkeit der Bundesrepublik von den Vereinigten Staaten? Diese Fragen versucht der Ökonom Jurij Kofner in seinem Gastartikel zu analysieren.
Ein Kommentar von Jurij Kofner (Ökonom, MIWI Institut)
Die Aussage, Deutschland sei von den USA besetzt, wird oft als anti-amerikanische Verschwörungstheorie abgetan. Es gibt jedoch viele Hinweise darauf, dass Deutschlands Souveränität durch US-Interessen zumindest äußerst eingeschränkt ist. Diese Analyse für den Heimatkurier gibt einen kurzen Überblick über die transatlantischen Abhängigkeiten in Verteidigung, Wirtschaft, Finanzen, Digitales, Kultur und Politik.
Militär und Geheimdienst
2022 waren über 35.200 US-Soldaten in Deutschland stationiert, deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern. US-Drohnenangriffe in Jemen, Somalia, Afghanistan und Pakistan werden vom Stützpunkt Ramstein in Deutschland aus koordiniert. Deutschland sendet Waffensysteme in die Ukraine und kauft gleichzeitig neue von den USA. Die USA sind der größte Rüstungslieferant Deutschlands, wobei die US-Rüstungsexporte nach Deutschland zwischen 2021 und 2022 stark anstiegen. Die USA betreiben etwa 40 Militäreinrichtungen in Deutschland, darunter 20 Basen. Drohnenangriffe werden vom Stützpunkt Ramstein aus koordiniert. Ziele waren Länder wie Jemen, Somalia, Afghanistan und Pakistan sowie wahrscheinlich Syrien und die Ukraine. Deutschland schickt Waffen in die Ukraine und kauft gleichzeitig neue Rüstungsgüter von den USA. Die US-Rüstungsexporte nach Deutschland verdoppelten sich 2021-2022. Deutschland kaufte 35 F-35A-Kampfflugzeuge für 8,3 Milliarden Euro. US-Rüstungsexporte machten 26,4 Prozent der deutschen Waffenimporte 2011-2020 aus. Die NSA überwacht seit Jahrzehnten deutsche Politiker wie Angela Merkel und Walter Steinmeier. Eine bedeutende Abhörstation der NSA befindet sich in Bad Aibling, Bayern.
Wirtschaft, Finanzen, Digitales und Kultur
Die deutsche Industrie erlebt eine Deindustrialisierung und Abwanderung in die USA. Zwischen 2013 und 2022 betrug der Nettoabfluss von Direktinvestitionen über 636 Mrd. USD, wobei ein beträchtlicher Teil in die USA floss. 65 Prozent der deutschen DAX-Konzerne sind im Besitz von US-Investmentfonds, hauptsächlich BlackRock und Vanguard. Schlüsselakteure in der deutschen Wirtschaft sind Mitglieder transatlantischer Netzwerke. Beispiele sind Vorstandsvorsitzende von Deutscher Bank und BASF bei Bilderberg-Treffen und CEOs von Daimler und Allianz in der Trilateralen Kommission. Des Weiteren sind hochrangige Manager von Institutionen wie der Bundesbank, des IW Köln, Meta Deutschland, Google Deutschland, BMW, Hapag Lloyd, Rheinmetall, Airbus, RWE, Volkswagen entweder Vorstandsmitglieder oder “Young Leaders” der Atlantik-Brücke. 2018 machte der US-Dollar 80 Prozent der Devisenreserven des Westens aus. 2022 entfielen 72 Prozent der von der Bundesbank außerhalb des Euroraums gehaltenen Staatsanleihen und Aktien auf den US-Dollar. 43 Prozent der deutschen Importe und 26 Prozent der Exporte im Extra-EU-Handel erfolgten in US-Dollar. Deutsche Banken sind von der US-Zahlungsinfrastruktur CHIPS abhängig. 2022 lagerten fast 40 Prozent der deutschen Goldreserven immer noch in den USA. Digitale Abhängigkeiten zeigen sich in der Datenspeicherung auf US-Cloud-Diensten wie IBM und Microsoft. Der US Patriot Act und der CLOUD ACT ermöglichen den US-Geheimdiensten Zugriff auf Daten deutscher Unternehmen. Der deutsche Suchmaschinenmarkt und soziale Medien werden fast vollständig von US-Plattformen dominiert. TikTok ist eine Ausnahme. 2022 kamen neun der zehn umsatzstärksten Kinofilme in Deutschland aus den USA. Das Privatfernsehen wird von Bertelsmann und ProSiebenSat1 dominiert, die sich aktiv für engere transatlantische Beziehungen engagieren. Deutsche Printmedien sind auf transatlantische Interessen ausgerichtet. Der Springer Verlag bekennt sich offiziell zur „Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den USA“. Der Anteil von Anglizismen in der deutschen Sprache hat sich seit 1986 von 3,5 Prozent auf über 10 Prozent erhöht.
Verträge und Politik
Westdeutsche Staatsoberhäupter mussten ihre Kanzlerschaft von den Alliierten zumindest bis 1990 genehmigen lassen. Die „Feindstaatenklausel“ der UN-Charta könnte auch jetzt im Bedarfsfall gegen Deutschland reaktiviert werden. Viele deutsche Politikbereiche sind auf die europäische Ebene ausgelagert oder durch EU-Vorgaben eingeschränkt. Über 60 Prozent der größten Lobbyisten in Brüssel sind US-Konzerne. Die deutsche Elite ist in transatlantische Netzwerke eingebunden, einschließlich Politiker der CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP, die Mitglieder oder Stipendiaten pro-amerikanischer Denkfabriken und Organisationen sind.
Mannigfaltige Abhängigkeiten
Aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung als Handels- und Investitionspartner und der gemeinsamen historischen europäisch-christlichen Grundlagen von Freiheit und Tradition sollte Deutschland stets starke, für beide Seiten vorteilhafte Handels-, kulturelle, politische und militärische Beziehungen zu den Vereinigten Staaten unterstützen. Die in der Übersicht aufgezeigten Abhängigkeiten verdeutlichen jedoch die gegenwärtigen Einschränkungen der deutschen Souveränität im Interesse US-amerikanischer Einflussgruppen.