Nachgefragt: Thorsten Weiß

Thorsten Weiß ist stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Gründer des Debattennetzwerkes „Idearium“. Wir haben ihn zu Partei, Vorfeld und der zukünftigen Rolle von Idearium befragt.

  1. Lieber Herr Weiß, der Alltagsbetrieb von Berufspolitikern setzt meist auf schnelle und kommunikativ leicht verdauliche Kernbotschaften. Insofern ist es eher eine Seltenheit, wenn sich Politiker auch zum Aufbau von Plattformen entschließen, die sich mit Grundsatzfragen zu Theorie und Strategie auseinandersetzen. Was war Ihre Motivation zur Gründung des Projekts „Idearium“? Und welche Zielsetzung hat das Projekt?

Eine Partei, die sich eine grundlegende politische Wende auf die Fahnen geschrieben hat, braucht über die tagespolitisch-taktischen Fragen hinaus ein Forum, um inhaltliche und strategische Themen zu diskutieren. Natürlich hat die AfD hierfür auch schon parteiinterne Institutionen und Gremien – wie Bundesvorstand, Konvent und Fachausschüsse –, aber als „basisdemokratische“ Partei bedarf es zusätzlich eines eher informellen Gesprächsrahmens, um verschiedene Positionen den Parteimitgliedern und Anhängern transparent zu machen und sie an den Diskussionen teilhaben zu lassen. Und zwar ohne Abstimmungsdruck und Machtakrobatik, wie man sie aus der Partei normalerweise kennt. Das offene, respektvolle Gespräch untereinander ist für den Zusammenhalt einer so heterogenen Partei wie der AfD wichtig.

  1. Die AfD hat doch eine Reihe von Grundsatz- und Wahlprogrammen sowie Positionspapieren der Landtagsfraktionen. Warum denken Sie, braucht es dennoch einen Binnendiskurs über grundsätzliche Fragen?

Auch wenn uns als patriotisch-freiheitliche Partei die Grundausrichtung im Sinne einer nationalen Erneuerung eint, so sind doch viele programmatisch-inhaltliche und strategisch-taktische Fragen noch ungeklärt. Erschwerend kommt hinzu, dass die politischen Verhältnisse eine ungeheure Dynamik entwickeln und flexible Reaktionen erfordern. Die teilweise etwas diffuse Positionierung der AfD kann durchaus vorteilhaft sein – umso größer ist nämlich die Projektionsfläche für potenzielle Anhänger und Wähler –, sie kann aber auch nachteilhaft sein, wie man das beispielsweise bei dem unsicheren Herumrudern der Bundes-AfD in Sachen „ethno-kultureller Volksbegriff“ und dem Thema „Remigration“ gesehen hat. Wenn wir nicht klar definieren, was wir mit diesen Begriffen meinen, macht es der Gegner in diskreditierender Absicht. Nicht nur die Parteibasis braucht eine Orientierung, auch der Wähler möchte wissen, wo und wofür die Partei steht. Das Idearium kann hier zur innerparteilichen Klärung einen Beitrag leisten.

  1. Wie sehen die künftigen strukturellen Pläne von „Idearium“ aus? Können wir mit einer Expansion und neuen Schwerpunktsetzungen des Projektes rechnen?

Wir haben in diesem Jahr unseren Studiobetrieb aufgenommen und einen YouTube-Kanal mit zwei verschiedenen Formaten gestartet. Diese wollen wir jetzt fest in der Partei etablieren. Darüber hinaus fand im März dieses Jahres die erste alternative Buchmesse des Idearium mit zahlreichen Akteuren aus der Partei und dem Vorfeld statt. Diese soll im nächsten Jahr noch deutlich wachsen. Ich stehe außerdem mit zahlreichen Parteifreunden und Mandatsträgern in Kontakt, die das Projekt unterstützen wollen. Wie das Idearium davon strukturell profitieren kann, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

  1. Bisher hatte die Partei immer ein ambivalentes Verhältnis zum politischen Vorfeld. Für manche ist es überflüssig und unkontrollierbar, und für andere wichtiger Bestandteil zur programmatischen und strategischen Profilschärfung der Partei. Eine dritte Gruppe schmückt sich gegebenenfalls sogar gerne mit dem Titel „Vorfeldunterstützer“, verfolgt dann aber doch meist nur eigene innerparteiliche Interessen. Wie findet die AfD ein gesundes Verhältnis zum Vorfeld, das sich gegenseitig befruchten und unterstützen kann? Was entgegnet man Vorfeldkritikern, die um die programmatische und strategische Autonomie der Partei besorgt sind?

Um synergistisch zusammenwirken zu können, braucht es zunächst das Bewusstsein und Verständnis einer gewissen „Arbeitshygiene“: Eine Partei hat grundsätzlich andere Aufgaben als das Vorfeld, auch wenn es natürlich immer wieder Überlappungen und temporäre Kooperationen geben kann. Es darf aber keine Vereinnahmung, Kontrolle oder Kannibalisierung stattfinden. Warum diese mehr oder weniger strikte Trennung? Im heutigen Parteienstaat hat eine Partei zwar relativ viel Geld und Personal zur Verfügung und könnte vieles alleine stemmen, es werden aber auch gleichzeitig große Ressourcen für Organisation und parlamentarischen Betrieb abgesaugt. Der Vorteil des Vorfelds ist vor allem, dass es entlastet ist von den einengenden Funktionsmodi einer Partei und entsprechend freier agieren und auch radikaler formulieren kann. Diese Freiheit muss man dem Vorfeld auch lassen, nur so kann es wertvolle Impulse von außen geben. Dazu muss man nicht alles und jeden aus diesem Bereich goutieren, aber auf dieses kreative Potenzial zu verzichten, wäre strategisch dumm. Marie-Thérèse Kaiser bemüht sich in unserem Format MOSAIK, innerparteiliche Vorbehalte abzubauen, indem sie verschiedene Projekte und Personen aus diesem Umfeld vorstellt, sodass sich jeder ein eigenes Bild machen kann – jenseits der üblichen medialen Verzerrungen. Und den Parteifreunden, die sich um die parteiliche Autonomie sorgen, kann ich Entwarnung geben: Letztlich entscheidet die Partei, welche Ideen und Gedanken in welcher Form sie in die Parteiprogrammatik und -strategie aufnimmt. Da ist die Partei vollkommen souverän, das läuft über ihre Gremien und Entscheidungsinstanzen.

  1. Bis heute fehlt es der Partei an einem eigenständigen Schulungsbetrieb und Theoriefabriken, die rechtes Denken auch auf ein intellektuell solides Fundament stellen. Gewiss hat man einzelne Institutionen wie Schnellroda oder die Bibliothek des Konservatismus, die aber zuvorderst vom Idealismus weniger und vielen Einzelspendern leben. Insbesondere die fehlende Parteistiftung ist ein großes Defizit. Wie sehen Sie hier die Zukunft und inwieweit können Projekte wie Idearium auch innerparteilich und im Vorfeld an der rechten Elitenbildung und Talentförderung mitwirken?

Als einen innerparteilichen Schulungs- und Theoriebetrieb versteht sich das Idearium nicht direkt. Das ist u. a. Aufgabe einer parteinahen Stiftung und auch der gerade genannten Vorfeld-Institutionen. Indirekt aber schon, denn wir verweisen in unserem Format ja auf diverse Zeitschriften und Denkfabriken, die für Theoriebildung zuständig sind. Ziel des Ideariums ist es, das ungezwungene innerparteiliche Gespräch zu fördern und der Partei bei ihrer Positionsfindung Hilfestellungen zu geben. Die offene Frage der Parteistiftung ist sicher unbefriedigend, aber auch schwierig zu beantworten, denn es gibt gute Argumente dafür und dagegen. Das wäre übrigens ein spannendes Thema für eine künftige Folge des Idearium.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert