In Deutschland gilt die personalisierte Verhältniswahl, auch in den meisten Landtagswahlen, so auch in Thüringen. Das könnte zu dem absurden Ergebnis führen, dass Björn Höcke aus dem Landtag fliegt, weil die AfD zu erfolgreich ist. Ein Professor aus Bochum hat eine Idee, wie das Altparteienkartell das bewerkstelligen könnte.
Die personalisierte Verhältniswahl soll dafür sorgen, dass die Stimmenverhältnisse der Parteien getreu im Parlament abgebildet werden und die Wähler trotzdem einen lokalen Kandidaten wählen dürfen. Deshalb gibt es Erst- und Zweitstimme. Die erste sendet einen Kandidaten mit einfacher Mehrheit ins Parlament, die Zweitstimme entscheidet darüber, wie viele Mandate einer Partei zustehen.
Ewiger Streitpunkt
Dieses Wahlsystem ist seit Jahrzehnten der umstrittenste Punkt des deutschen Wahlrechts. Immer wieder musste das Bundesverfassungsgericht dazu Stellung beziehen. Denn beides, Verhältniswahl und Direktwahl in jedem Wahlkreis, ist gar nicht so einfach unter einen Hut zu bekommen: Die Erststimme soll dem Sieger eines Wahlkreises ein Mandat garantieren, auf der anderen Seite soll sich die Sitzverteilung an den Zweitstimmen orientieren. Das Ergebnis sind Überhangmandate, Ausgleichsmandate und ein Bundestag, der inzwischen 733, statt wie vorgesehen nur 598 Sitze hat.
Zu erfolgreich für die Liste
In Thüringen bahnt sich für die AfD ein ganz anderes Problem an. Weil die Partei so erfolgreich ist, könnte die Liste bedeutungslos werden. Wenn alle der AfD nach Zweitstimme zustehenden Mandate bereits durch Wahlkreissieger belegt sind, rückt niemand von der Liste auf. Parteien sind aber darauf angewiesen, dass sie ihr Spitzenpersonal in die Parlamente bringen. Keine Fraktion kann arbeiten, wenn der Parlamentseinzug der Parteiführung vom Wahlergebnis im Wahlkreis Hinterhugelhapfingen II abhängt. Der AfD könnte aber in Thüringen genau das passieren.
Direktwahl untergräbt sich selbst
In Ländern wie Britannien, die eine reine Direktwahl haben, führt dies dazu, dass die Parteiführer, unabhängig von ihrem Wohnort, in sicheren Wahlkreisen antreten, die ihre Partei auf jeden Fall gewinnt. Die eigentliche Idee hinter der Direktwahl, die lokale Repräsentation, wird dadurch zwar untergraben, aber das ist die notwendige Konsequenz eines solchen Wahlrechts. Die Thüringer AfD hat genau dieselbe Vorkehrung getroffen, um Björn Höcke in den Landtag zu bekommen. Höcke tritt bei dieser Wahl im für die AfD günstigen Wahlkreis Greiz II an, nicht mehr wie vorher in Eichsfeld I, wo die CDU noch relativ stark ist.
Professor schlägt vor: „Parteiübergreifende Anti-Höcke-Mobilisierung in seinem Wahlkreis“
Damit könnte die Sache geregelt sein: Die CDU macht einen billigen Werbespot gegen den „Wahlkreisflüchtling“ Höcke und beweist einmal wieder, dass sie vor allem schlecht informierte Wähler anspricht, als wäre das noch nicht bekannt gewesen. Aber ein Politikwissenschaftsprofessor aus Bochum hat da andere Ideen: Gegenüber der Bild-Zeitung dachte Prof. Oliver Lembcke über die Möglichkeit einer „parteiübergreifenden Anti-Höcke-Mobilisierung in seinem Wahlkreis, um ihn gemeinsam zu verhindern“ nach.
Das wäre der nächste antidemokratische Präzedenzfall
Im Klartext kann man sich darunter nur vorstellen, dass alle Parteien, bis auf die nach der AfD stärkste, hier wohl die CDU, ihren Kandidaten entweder formell zurückziehen oder zumindest zur Wahl des CDU-Kandidaten aufrufen. Das wäre nichts weniger als der Missbrauch des Wahlrechts, um einen der erfolgreichsten Oppositionsführer Deutschlands gezielt aus dem Landtag zu schießen. Andererseits: Gäbe es für solch ein antidemokratisches Manöver ein passenderes Bundesland als Thüringen, wo die Wahl des Ministerpräsidenten schon mal rückgängig gemacht wird?