Der französische Innenminister Gérald Darmanin verlangt ein neues Migrationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien. Grund: Die französische Polizei ist mit der Schlepperkriminalität am Ärmelkanal völlig überlastet.
Seit dem Brexit ist die illegale Migration über den Ärmelkanal eines der heißen Themen zwischen der Europäischen Union, insbesondere Frankreich, und der britischen Regierung. Angesichts der Tatsache, dass die einzigen Grenzen zwischen Frankreich und Großbritannien das Meer und der Tunnel von Calais nach Dover sind, ist die Grenzschutzhilfe zwischen beiden Staaten Gegenstand einer erstaunlichen Anzahl von Abkommen. Grund ist der gigantische Zustrom illegaler Migranten, die sich im britischen System bessere Bedingungen versprechen als in Frankreich oder anderen europäischen Staaten.
541 britische Millionen für den französischen Grenzschutz
Allein im Jahr 2021 unterzeichneten Frankreich und Großbritannien ein Abkommen, das die Briten verpflichtet, Frankreich 62,7 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um den Grenzschutz zu verstärken und den illegalen Kanalüberquerungen entgegenzuwirken. Die Gesamtsumme der bisher zugesagten Hilfen beträgt zurzeit 541 Millionen Euro.
Zweifelhafte Effektivität der Zusammenarbeit
Doch das reicht aus französischer Sicht hinten und vorne nicht. Auch die Zusammenarbeit der Behörden verläuft nicht zur französischen Zufriedenheit. Schon im Mai dieses Jahres hatte der französische Rechnungshof, der „Cour des comptes“, die „zweifelhafte Effektivität“ der Zusammenarbeit gerügt. Die britischen Behörden würden keine nützlichen Informationen über die Abfahrt der Boote liefern, sondern nur ungeprüfte, sehr allgemeine Informationen über die Schmuggler. Auch was die Nationalität der Migranten anbelangt, hielten sich die Briten bei der Informationsweitergabe zurück.
Darmanin verlangt neues Abkommen, diesmal auf EU-Ebene
Der Tod von zwölf weiteren Migranten, die Mehrheit davon junge Frauen aus Eritrea, auf einem der Boote im Ärmelkanal hat die Diskussion neu aufflammen lassen. Der französische Innenminister Gérald Darmanin verlangt nun ein neues Abkommen. Diesmal nicht zwischen Frankreich und Großbritannien, sondern zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. Die dutzenden Millionen Euro, die Frankreich jedes Jahr mit den Briten ausgehandelt hat, reichten nicht aus, um die illegale Migration zu stoppen.
Darmanin: Englands lasche Asylpolitik ist der Grund für die illegale Migration
Darmanin sieht aber nicht das Verhalten der britischen Grenzbehörden als den kritischsten Punkt. Viel schlimmer sei, dass Großbritannien Anreize für illegale Migration setze, die so in Frankreich nicht vorhanden seien. Vor allem sei es in England viel einfacher, ohne Papiere Arbeit zu finden. Menschen würden viel auf sich nehmen, um nach Großbritannien zu gelangen, weil sie wüssten, dass sie von dort aus kaum abgeschoben würden. Solange es gegen die Engländer geht, kommt der französische Innenminister also zu denselben Schlüssen wie der Heimatkurier: Migrationsanreize müssen abgestellt werden! Illegale dürfen überhaupt nicht erst in das Asylsystem gelangen! Die Frage ist nur: Setzt er das auch in Frankreich durch?
Schön, doch setzt Darmanin das auch in Frankreich durch?
Dort versucht Darmanins Chef, Emmanuel Macron, nun eine Regierung mit dem Linksbündnis zu bilden, nur ohne dessen Anführer Jean-Luc Mélenchon. Die Differenzen mit Mélenchon betreffen aber die Außenpolitik. Mélenchon ist gegen die Ukrainehilfen, für eine Verständigung mit Russland und für einen Austritt Frankreichs aus der NATO, wie schon unter de Gaulle. In der Migrationspolitik hätte Macron die Möglichkeit gehabt, sich an den Rassemblement National anzulehnen. Doch hier ist, aller Rhetorik zum Trotz, die wirkliche Regierungslinie dann doch offensichtlich.