Bootsmigranten stehen oft im Fokus der Migrationskritik. Der britische BBC hat nun Zahlen zur Situation im Ärmelkanal veröffentlicht, einem Brennpunkt der Bootsmigration in Europa: Sie ist beachtlich, aber sie verblasst im Vergleich zur legalen Einwanderung. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen
Mit 45.000 illegalen Überquerungen über den Ärmelkanal war das Jahr 2022 bisher einsame Spitze. 2020 und 2021 lagen bei knapp unter 30.000. 2024 wird die Zahl wohl wieder höher ausfallen. Das sind beachtliche Zahlen, bedenkt man, dass keiner der Bootsmigranten ein Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich hätte und notwendigerweise durch eine ganze Reihe sicherer Drittstaaten gekommen ist.
Bootsmigranten sind unter 5 % aller Einwanderer
Doch zum Vergleich: Die Gesamteinwanderung ins Vereinigte Königreich betrug im Jahr 2023 ganze 1.218.000, und die Nettozuwanderung, die für die Einwanderung ein besserer Maßstab ist, weil dabei im Durchschnitt über die Jahre Austauschstudenten, Au-pairs und andere, die tatsächlich nur für einen Lebensabschnitt ins Land kommen und danach remigrieren, herausgerechnet werden, betrug immer noch 685.000. An der Gesamteinwanderung machten die 29.437 Bootsmigranten des Jahres 2023 also einen überschaubaren Anteil von 4,3 % aus.
… aber ein Drittel bis die Hälfte aller Asylanten
Unter allen Arten der Einwanderung ist die Asylmigration eine der problematischsten. Das liegt daran, dass man Asylanten selbst und gerade bei schweren Straftaten nicht abschieben kann, weil die Gerichte die Gefängnisse in den Herkunftsländern vielfach für „menschenunwürdig“ erklären. Wie sieht es also bei ihrem Anteil unter der Gesamtzahl der Asylanten aus? Im Zeitraum von September 2022 bis September 2023 (so werden die Daten von den britischen Behörden erhoben) gab es 75.340 Asylanträge, die sich aufgrund von Angehörigen manchmal auf eine Gesamtzahl von 93.296 Asylanten bezogen. Bootsmigranten machen also, je nachdem, ob man die Zahlen für 2022 oder die für 2023 verwendet, zwischen 31 % und 49 % aus.
Quantitativ sind Bootsmigranten nicht so wichtig, weder in England …
Doch relativiert sich dieser Anteil wieder, wenn man bedenkt, dass Britannien eine Insel ist. Niemand kann über die grüne Grenze kommen und Asyl beantragen. Niemand kann einfach in einen Bus steigen und Asyl beantragen. Wer illegal die Grenze überqueren will, kommt um die Boote gar nicht herum, es sei denn, er will sich für die Tunnelfahrt von Calais nach Dover in einem Container verstecken. Trotzdem machen die Bootsmigranten nicht einmal die Hälfte aller britischen Asylanten aus.
… noch in Europa als Ganzem
Damit liegt der Anteil der Bootsmigranten an den Asylanten in Britannien übrigens noch deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Im Jahr 2023 gab es in ganz Europa 263.048 registrierte Bootsmigranten. Im selben Jahr beantragten 1,14 Millionen Asyl! Und in diese Zahl sind die 4,4 Millionen im Westen lebenden Ukrainer nicht mit einbezogen. Die 1,14 Millionen Asylanten sind in überwältigender Mehrheit Leute, die auch über das Mittelmeer zu uns kommen könnten. Nur 23 % tun es tatsächlich.
Bootsmigranten sind ein Symbol
Trotz ihrer relativ geringen Bedeutung für die Gesamtzahl der Migranten und ihrem zwar wichtigen, aber immer noch untergeordneten Anteil an den Asylforderern sind Bootsmigranten ein Symbol. Keine andere Kategorie von Einwanderern ist so erbittert umkämpft wie sie. Es hat seinen Grund, dass die aufsehenerregendsten Aktionen der Asyllobby-NGOs die Schlepperfahrten auf eigens dafür angeschafften Schiffen im Mittelmeer sind. Und es hat denselben Grund, dass die bis heute mit großem Abstand aufsehenerregendste Aktion der Identitären Bewegung die „Defend Europe“-Aktion war, in der Aktivisten aus ganz Europa durch Fundraising ein Schiff anmieteten, um das Treiben eben jener Schlepper-NGOs zu dokumentieren.
Hilfloser Flüchtling für die einen, moralischer Erpresser für die anderen
Der Grund ist: Bootsmigranten nutzen die humanitären Bestimmungen europäischer Rechtssysteme so offen aus wie sonst niemand. Sie begeben sich ganz bewusst in Lebensgefahr, um dann nach Seerecht gerettet und nach Europa gebracht zu werden. Gleichzeitig sind sie im Moment ihrer Überfahrt tatsächlich vom Tode bedroht. Immer wieder versinkt eines der seeuntüchtigen Boote, bevor Hilfe eintrifft, und reißt die Glücksritter an Bord mit in die Tiefe. Die Bootsmigranten zwingen die europäischen Behörden in eine Situation, in der man sie entweder sterben lässt oder aber die illegale Einwanderung zumindest fürs Erste unterstützt. Die Migrationslobby zeichnet Bootsmigranten als Paradebeispiel des Flüchtlings, der aus rechtlichen wie moralischen Gründen nicht abgeschoben werden darf. Für Migrationskritiker sind sie der Gipfelpunkt moralischer Erpressung.
Der Fokus auf Bootsmigranten führt oft zu Scheinlösungen
Aus diesen Gründen beansprucht die Bootsmigration einen ungebührlichen Teil der politischen Aufmerksamkeit. Das kann seine Vorteile haben, etwa wenn Aktivisten durch eine Aktion dagegen die Aufmerksamkeit auf das Migrationsproblem im Allgemeinen lenken.
Es kann aber genauso gut zu politischen Scheindebatten und Scheinlösungen führen. Auch das kann man in Britannien beobachten: Die Idee der Konservativen, alle Asylanten nach Ruanda zu verfrachten, hatte manchen Fehler und wurde am Ende nicht umgesetzt. Aber die Grundidee dahinter war prinzipiell auf eine Lösung des Problems ausgelegt. Wenn man die Bootsmigranten nicht ertrinken lassen will, dann bleibt nur, sie aus dem Wasser zu fischen und sofort in ein Flugzeug außer Landes zu setzen. Die neue britische Regierung hat dieses Programm nun gestrichen und durch das Versprechen besserer Überwachung der Küste und härterer Bekämpfung der Schleuserbanden ersetzt. Dabei liefern sich dann britische und französische Politiker einen sinnlosen Wortkrieg darüber, wer nicht genug für die Überwachung des Ärmelkanals tue, wer wie viel zahlen solle und wer überhaupt schuld sei.
Die Bootsmigranten sind ein Symbol für die Absurdität unseres gegenwärtigen Asylrechts: De facto erhält man in Europa einen Anspruch auf lebenslange Vollpension, wenn man sich selbst absichtlich in eine Lage gebracht hat, in der er fast ertrunken wäre. Aber der Fokus auf sie kann auch vom Thema ablenken. Denn weil man sie aus moralischen wie rechtlichen Gründen ja nicht ertrinken lassen kann, kann eine Lösung der Migrationskrise und eine echte Remigrationspolitik nicht Aufgabe der Küstenwache sein. Das kann nur die konsequente Weigerung leisten, ein Asylverfahren überhaupt zu eröffnen und die unverzügliche Rückführung in die Herkunftsländer.
Jede Maßnahme gegen illegale Einwanderung, die auf dem Wasser stattfindet, stinkt nach Scheinmaßnahme, die die Bevölkerung beruhigen sollen.