Obwohl er 9,2 Prozentpunkte hinter der AfD liegt, will Thüringens CDU-Chef Mario Voigt Ministerpräsident werden. Mit allen Mitteln. Das Bündnis mit dem BSW war von Anfang an eingeplant. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen.
Mario Voigt ist politisch der illegitime Sohn von Sahra Wagenknecht. Das wird immer wieder übersehen. Dieser Mann wäre gar nicht in der Nähe der Erfurter Staatskanzlei, ohne Sahra Wagenknecht. Linkspartei und Bündnis Sahra Wagenknecht holten gemeinsam 28,9 Prozent der Stimmen in Thüringen. Das ist weniger als die AfD mit 32,8 Prozent und auch weniger, als die Linkspartei noch 2019 holen konnte: 31,0 Prozent.
Wagenknechts Sohn
Aber zweifellos: Wenn Sahra Wagenknecht die Linkspartei nicht gespalten hätte, dann stünde nun wieder Ramelow gegen Höcke, und die CDU würde die nächsten fünf Jahre Ramelow absegnen, so wie sie schon die letzten fünf abgesegnet hat.
In Thüringen, anders als in Brandenburg oder Sachsen, wo das BSW die Linkspartei verdrängt hat, verläuft die Spaltung der Linkspartei auch direkt durch die Mitte der linken Wählerschaft. Mit 15,8 Prozent für BSW und 13,1 Prozent für die Linkspartei sind sie in etwa gleich stark. Darin hat Mario Voigt seine Chance gesehen.
In der Gewissheit, dass er auf einmal die stärkste Fraktion hinter sich haben wird, die nicht die AfD sein wird, hat er die Landtagswahl in Thüringen als ein Duell zwischen sich und Höcke inszeniert. Sein Ziel ist jetzt: Bodo Ramelow beerben. Nicht einfach dessen Posten als Ministerpräsident übernehmen. Das will Höcke auch.
Mario Voigt will sich innerhalb der Anti-AfD-Konstellation, die Thüringen seit 2019 bestimmt hat, an die Stelle Ramelows stellen. Die Anti-AfD-Konstellation, zu der notwendigerweise auch das BSW und zumindest Teile der Linkspartei gehören (CDU, SPD und BSW haben exakt 44 von 88 Sitzen), soll dabei erhalten werden, nur anstelle von Bodo Ramelow soll Mario Voigt Ministerpräsident werden.
Ramelows Erbe
Wie schon beim letzten Mal ist dies eine Konstellation, der die eigene politische Mitte fehlt. Sie war schon die letzten fünf Jahre ein Zweckbündnis zwischen CDU und Linkspartei. Die Mitte zwischen CDU auf der einen, BSW und Linkspartei auf der anderen Seite, das wäre in etwa die SPD. Die hat jetzt gerade einmal sechs Abgeordnete. Nichts hält solche Konstellationen zusammen, außer der Feindschaft gegen die AfD und der persönliche Ehrgeiz von Männern wie Ramelow oder Voigt.
Deshalb sprach Voigt selbst kürzlich bei Markus Lanz selbst von „Konstellation“ anstelle von „Koalition“. Denn eine klassische Koalition mit Koalitionsvertrag und Aufteilung der Ministerposten dürfte für ihn kaum praktikabel sein. Voigts Auftritt bei Lanz ist viel beachtet worden, weil er darin zugegeben hat, sich mit Wagenknecht in Berlin über ein Essen getroffen zu haben. Und dass Michael Kretschmer aus Sachsen dasselbe getan hat. Nun zeigt, wie Lanz feststellte, die Tatsache, dass die Landesfürsten der Ost-CDU zu Wagenknecht nach Berlin kommen und nicht umgekehrt, die Machtverhältnisse auf, oder doch zumindest, wer jetzt wen braucht. Was fast, aber nicht ganz dasselbe ist.
Aber es ist falsch, darin ein Scheitern der Politik von Mario Voigt zu sehen. Das war von Anfang an eingeplant. Die Wahl hätte ein paar Prozentpunkte in diese oder jene Richtung anders ausgehen können, aber selbst wenn die Grünen doch noch in den Landtag eingezogen wären – bei der FDP konnte man das von Anfang an ausschließen –, hätte es niemals für eine Regierung Voigt ohne AfD, Linkspartei und BSW gereicht. Das war völlig ausgeschlossen, und Voigt hat das gewusst, schon bevor er in das bekannte Fernsehduell mit Höcke gegangen ist und im Kampf um die Ministerpräsidentschaft seinen Hut in den Ring geworfen hat.
Merkels Enkel
Mario Voigt, das ist kein Betriebsunfall, das ist die neue Normalität der CDU im Osten und wahrscheinlich ihre Zukunft in der ganzen Bundesrepublik. Mit dem erwartbaren Exitus der FDP und der zunehmenden Schwäche der SPD werden CDU-Regierungen ohne eine Beteiligung oder Duldung von ganz links außen kaum noch möglich sein, wenn gleichzeitig die Brandmauer zur AfD aufrechterhalten werden soll. Mario Voigt ist wahrscheinlich sogar einer der geschickteren CDU-Politiker für genau diesen Kurs. Bei Lanz erklärt er, wie er sich das Regieren mit dem BSW vorstellt: Als sachorientierte Verhandlung, die sich von Punkt zu Punkt entlang der Tagesordnung hangelt. Die meisten Einwände von Lanz bezüglich der Gegensätze zwischen CDU und BSW wischte er mit der Bemerkung vom Tisch, dass diese Themen sowieso nicht auf Landesebene entschieden werden.
Es ist ein Politikstil, der einmal im politischen Jargon nach der Frau benannt war, die die heutige CDU geprägt hat: „Merkeln“. Durch Merkeln konnte Merkel sich mit absolut jedem an einen Tisch setzen und Punkt für Punkt zumindest irgendein Ergebnis herausarbeiten. Das ist auch eine politische Kunst, aber eine, die, wenn sie zum bestimmenden Modus der Politik wird, zu genau dem führt, was Merkels Erbschaft ist: Stagnation.
Mario Voigt ist Wagenknechts Sohn, will Ramelows Erbe werden und ist genau darin Merkels Enkel! Die Frage ist, ob das funktioniert. Merkel konnte auch deshalb merkeln, weil ihr Deutschland noch viel mehr Substanz hatte. Die ist aufgebraucht. Auf Landesebene mag Voigt noch insoweit durchkommen, als er dort ja tatsächlich vor allem Sach- und Verwaltungsfragen zu entscheiden hat – vom Schulwesen bis zum Verkehr. Aber ein Friedrich Merz wird in einem Jahr nicht merkeln können. Und selbst auf Landesebene gerät Voigt gerade jetzt, wo ich dies schreibe, an die Grenzen seiner Merkelei. Zur Stunde, da ich das schreibe, wirft seine Partei im Erfurter Landtag sämtliche parlamentarischen Gepflogenheiten, Verfahrensregeln und den allgemeinen Anstand aus dem Fenster.
Was aggressiv und kämpferisch wirkt, ist in Wirklichkeit ein Versuch der Schadensvermeidung: Voigt scheint zu der Überzeugung gelangt zu sein, dass es für die CDU ein geringerer Schaden sei, den Thüringer Landtag in ein Affenhaus zu verwandeln, als eine Landtagspräsidentin der AfD zu dulden. Diese Holzhammermethode mag aus seiner Sicht notwendig sein, aber sie ist unmerkelianisch und passt nicht zu dem ruhigen, konstruktiven Staatsmann, als der er sich sonst inszeniert.