Die FPÖ ist erstmals in ihrer Parteigeschichte stärkste Kraft im Nationalrat. Aufgrund der Sitzverteilung wird es für Schwarz-Rot reichen. Die FPÖ hat Grund zum Feiern, aber das rechte Lager muss sich Gedanken machen: Wie kommen wir aus dem 30-Prozent-Ghetto? – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen
Bei Wahlen muss jeder Wähler sich für nur eine einzige Partei entscheiden. Der ORF hat stattdessen eine Umfrage in Auftrag gegeben, bei der man jede Partei ankreuzen kann, die man gerne an der Regierung sähe, dazu dann noch das eigene Wahlverhalten.
61 Prozent aller FPÖ-Wähler sind der Ansicht, dass die ÖVP in der nächsten Regierung vertreten sein soll. 26 Prozent aller ÖVP-Wähler wollen die FPÖ in der nächsten Regierung sehen. Diese Zahlen verraten eigentlich schon alles. Sie wiederholen sich im kleineren Rahmen im Verhältnis zur SPÖ. 17 Prozent aller FPÖ-Wähler wollen die SPÖ in der Regierung, 5 Prozent aller SPÖ-Wähler die FPÖ.
Die antipatriotische Mehrheit
Von der Gesamtheit aller Wähler haben 29,2 Prozent die FPÖ gewählt, und 37 Prozent wollen eine FPÖ in der Regierung. 96 Prozent aller FPÖ-Wähler wollen die FPÖ an der Regierung, macht 28,0 Prozent. Ganze neun Prozent der Wählerschaft, die nicht FPÖ gewählt hat, will die FPÖ also an der Regierung sehen.
Wie sieht es bei den anderen Parteien aus? Nun, 60 Prozent wünschen sich die ÖVP und 48 Prozent die SPÖ. Die NEOS kommen mit 33 Prozent aller Wähler direkt nach der FPÖ. Die Grünen erreichen immer noch 27 Prozent Zustimmung für eine Regierungsbeteiligung. Dabei haben die Grünen nur 8 Prozent der Wählerstimmen erhalten und die NEOS 8,9.
Bei allen Kartellparteien macht die Anzahl derjenigen, die die Partei gerne in der Regierung sähen, mehr als das Doppelte derjenigen aus, die die Partei tatsächlich gewählt haben. Bei den beiden kleineren Kartellparteien, den Grünen und den NEOS, liegt sie sogar über dem Dreifachen. Bei der FPÖ liegt diese Zahl bei einem Drittel ihrer Wählerzahl.
In Deutschland sind die Verhältnisse nicht so anders. Nach INSA-Umfrageergebnissen können sich 59 Prozent aller Befragten unter keinen Umständen vorstellen, die AfD zu wählen – mit Abstand der höchste Wert aller Parteien. An zweiter Stelle kommen mit 42 Prozent die Grünen, die SPD liegt nur bei 23 Prozent, und die Union gar nur bei 20 Prozent. Man muss eine Tatsache einmal feststellen: Es gibt eine Zweidrittelmehrheit gegen rechte Parteien. Dem scheint zu widersprechen, dass die Menschen gerade beim zentralen rechten Politikfeld der Einwanderungspolitik seit Jahrzehnten eine restriktive Einwanderungspolitik in der Mehrheit bevorzugen. Aber die Wahlergebnisse fallen seit Jahrzehnten mit dieser Präferenz auseinander. Die Fragen, die sich das rechte Lager überall stellen muss, sind zwei: Erstens, wie sollen Wahlerfolge in diesem 30-Prozent-Ghetto, in dem rechte Parteien stecken, kommuniziert werden? Und zweitens, wie kommt man aus dem 30-Prozent-Ghetto heraus?
Die Ereignisse in Thüringen führen zu falschen Schlüssen
In der ersten Angelegenheit droht die Rechte durch das Theater im Thüringer Landtag in die völlig falsche Richtung gedrängt zu werden: In Thüringen wurde jüngst, ungeachtet der Entscheidung des von den Kartellparteien besetzten Verfassungsgerichts in Weimar, gegen geltendes Recht verstoßen, um der AfD den ihr als stärkster Fraktion zustehenden Posten des Landtagspräsidenten zu verwehren. In Fortführung der gängigen Praxis, seit die AfD zum ersten Mal in ein deutsches Parlament einzog, gestand man ihr dann nicht einmal einen Landtagsvizepräsidenten zu.
Dieser Rechtsbruch hat das rechte Narrativ dahingehend geprägt, dass man zurzeit dem Kartell die Missachtung der Demokratie vorwirft, wenn man als stärkste Fraktion, aber ohne Koalitionspartner, nicht regieren darf. Eine solche Botschaft bespielt die Kernwählerschaft, muss aber auf alle anderen zutiefst befremdlich wirken. Sie ist insoweit verständlich, als man ja auf der anderen Seite tatsächlich einen großen Erfolg zu vermelden hat, wenn eine patriotische Kraft gegen alle Widerstände des Kartells und seiner Helfershelfer in zwangsfinanzierten Medien um die 30 Prozent holt.
Ein Erfolg ist nicht dasselbe wie ein Sieg
Aber ein Erfolg ist nicht dasselbe wie ein Sieg. Wenn ein Amateur gegen einen Profikämpfer in den Ring steigt und dann nach Punkten verliert, dann hat er einen großen Erfolg zu feiern. Verloren hat er aber trotzdem. In nichts spiegelte sich diese Tatsache so sehr wider wie in der Art, wie einige Aktivisten in Wien das Wahlergebnis feierten. Sie zogen in einer an die feiernden Jugendlichen des Syltskandals erinnernden Aufmachung und mit Gigi-d’Agostino-Musik zu den Wahlveranstaltungen der Kartellparteien. Auf dem Banner, das sie mit sich trugen, stand: „29 % für Remigration!“ Diese Aktivisten hatten allen Grund, den Erfolg der FPÖ auch für sich und ihre Arbeit zu reklamieren. Aber dennoch hätten sie eigentlich auf ihr Banner schreiben müssen: „71 % gegen Remigration“.
Diese Nationalratswahl war für die FPÖ und ihr gesamtes Vorfeld ein überwältigender Erfolg, aber eine Niederlage. Für das Parteienkartell, das 71 Prozent der Wähler bei sich halten konnte, war es ein Misserfolg, aber ein Sieg.
Das Kartell aufbrechen
Wie kommt man jetzt aus dem 30-Prozent-Ghetto heraus? Das wird die bestimmende Frage sein, sobald die Freude über das gute Wahlergebnis abgeflaut ist. Die erste wichtige Kennzahl ist, dass auch bei dieser Wahl die Alten weit überproportional für die Altparteien gestimmt haben. 38 Prozent aller über Sechzigjährigen stimmten für die ÖVP, darunter ist die ÖVP eine 20-Prozent-Partei. Aber selbst die 37 Prozent, welche die FPÖ bei den 35- bis 59-Jährigen, also der arbeitenden Alterskohorte, erreicht hat, wären immer noch von einer Alleinregierung weit entfernt. Die Alten werden sich nicht mehr groß ändern, das ist der Gang der Natur. Aber auch wenn beachtliche Teile der nachkommenden Generation gewonnen werden können, wird es wahrscheinlich nicht für 51 Prozent reichen, vor allem deshalb nicht, weil in dieser Generation auch die ethnische Wahl verstärkt zum wahlentscheidenden Faktor werden wird.
Aber: Jeder Sitz für FPÖ und AfD ist ein Sitz, der dem Parteienkartell für die Koalitionsbildung fehlt, jeder Sitz zwingt immer absurdere Koalitionen zusammen. Und jeder gewonnene Sitz bedeutet weniger Posten und Pfründe, die innerhalb des Kartells zu verteilen sind. Rechte Parteien sind zurzeit nicht in der Lage, einen Politikwechsel zu erzwingen, aber sie können das Kartell unter innere Spannungen setzen. Die Aufrechterhaltung des Kartells wird Verlierer erzeugen, und irgendwann wird das Kartell gebrochen.