Aus der AfD sind Interna zum Bundestagswahlkampf 2025 durchgesickert. Was da bekannt wurde, hat bei einigen Anhängern Wut ausgelöst. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen
Es wäre aufschlussreich zu erfahren, welche „Spitzenkreise der Partei“ diesen Strategieentwurf an Table-Briefings durchgestochen haben. Auf jeden Fall sind es Personen, die ganz konkret mit der Person Stephan Brandner so sehr auf Kriegsfuß stehen, dass sie ihn als einzigen namentlich als einen der „üblichen Knallköpfe“ nennen, der nicht in der Lage sei, sich einzureihen. Auch scheinen es zumindest Leute aus dem Weidel-Lager zu sein, da die Äußerungen doch sehr auf Weidel als Spitzenkandidatin zugeschnitten sind. Doch daraus mögen diejenigen ihre Schlüsse ziehen, die mehr Zeit für die parteiinterne Gerüchteküche haben als ich.
SPD als Hauptgegner
Schauen wir uns stattdessen einmal an, was denn hier für ein Kurs vorgeschlagen wird. Der ist nämlich für jeden sehr interessant, der sich doch ein bisschen mit dieser Partei und ihrem Innenleben auskennt. Weil ein zentraler Punkt darin besteht, dass SPD und Grüne als Hauptgegner markiert werden und explizit davor gewarnt wird, diesen Hauptgegner in der Union zu sehen, interpretierten dies einige Anhänger der Partei wütend schon als weiteren Versuch eines Anbiederungskurses an die CDU.
Und ja, die Urheber sehen die CDU als möglichen Koalitionspartner, einen von zweien allerdings, der andere ist das BSW. Beiden gegenüber will man anschlussfähig sein. Die eigene Wählerzahl will man dadurch maximieren, dass man vermehrt die Wählerschaft der SPD anspreche. Das AfD-Potenzial unter CDU-Wählern sei laut internen Analysen weitgehend ausgeschöpft. Wie will man das nun tun? Die praktischen Handlungsanweisungen aus dieser Strategie sind zweierlei: Erstens will man die Migrationskritik zwar weiter betreiben, aber ohne in einen Überbietungswettbewerb mit der CDU zu geraten, bei dem am Ende die CDU als „Alice Weidel light“ den längeren zieht. Stattdessen will man sich sozialpolitisch bei den Themen Renten und Mieten abrunden und damit der SPD Wähler abgraben.
Was nun die Praktikabilität dieser Strategie zur Wählermaximierung anbelangt, so hat der Wahlforscher Daniel Fiß diese internen Analysen gleich radikal infrage gestellt, sie seien von den öffentlich zugänglichen Zahlen jedenfalls nicht gestützt. CDU und AfD konkurrierten laut ihm um dieselben Wähler, die sich jetzt von der Ampel abgestoßen fühlen.
Solidarischer Patriotismus aus der LibKon-Ecke?
Aber etwas ist doch bemerkenswert an dieser Strategie: Sie geht gleich doppelt in eine sozialpatriotische Richtung, einmal in der Fokussierung auf soziale Themen, zum anderen aber darin, dass eben nicht nur die Union, sondern auch das Bündnis Sarah Wagenknecht als möglicher Koalitionspartner in den Blick gefasst wird. Diese doppelte Anschlussfähigkeit wird explizit als zentrales Ziel herausgehoben!
Aus beidem ergibt sich ein weiteres: Was hier präsentiert wird, ist der Sache nach auch eine Oststrategie. Denn ihre größten Erfolgsaussichten sind dort, wo das BSW stark ist, und das ist vor allem Ostdeutschland. Es scheint so, als hätten irgendwelche Leute um Alice Weidel herum mehr als nur ein bisschen Benedikt Kaiser gelesen. Gerade deshalb wäre es so interessant, Gewissheit darüber zu erlangen, wer denn da Table-Briefings angeschrieben hat. Denn was wir hier vor uns haben, sieht nach etwas aus, was man nur als solidarischer Patriotismus aus der liberalkonservativen Ecke bezeichnen kann.
Nun ist jedem, der nur irgendeinen Kontakt zur AfD hat, klar, dass die Partei nicht in Solpatler und Libkons geteilt ist. Was das Personengeflecht und die Loyalitäten anbelangt, war das nie so. Aber als Daumenregel kann man schon sagen, dass die dem bundesrepublikanischen Mainstream näherstehenden Kräfte in der AfD tendenziell wirtschaftsliberaler sind. Eine solche Wende ist gelinde gesagt interessant.
Denn was hier gezeichnet wird, ist eben auch keine Wende zum rechten Flügel der Partei, nur unter personeller Führung des Weidel-Kreises. Es geht explizit nicht darum, die CDU ausbluten und implodieren zu lassen, wie Maximilian Krah das fordert. Stattdessen sucht man die Koalition und erweitert aber den Kreis möglicher Koalitionspartner um das Bündnis Sarah Wagenknecht. Was wir hier sehen, ist eine solidarpatriotische inhaltliche Ausrichtung der liberalkonservativen Strategie, die eine Regierungsbeteiligung in einer Koalition mit Teilen des bestehenden Parteiensystems sucht.
Nun, wenn man diesen Koalitionsweg gehen möchte, dann ist die vorliegende Strategieskizze sicherlich der mit Abstand vernünftigste Vorschlag, der je dazu gemacht wurde. Denn wenn es der AfD gelingen sollte, sich zwei mögliche Partner warm zu halten, dann vermiede sie damit das Grundproblem jeder Koalition einer rechten Partei mit einer Partei des konservativen Establishments: Dass letztere andere Optionen hat, erstere nicht, sodass das Stimmenverhältnis der beiden irrelevant ist und die konservative Altpartei auf jeden Fall der stärkere Partner bleibt. Das erlebt gerade die FPÖ, die einen komfortablen Vorsprung vor der ÖVP hat und dennoch, wenn sie wirklich regieren wollte, sich deren Diktaten beugen müsste. Doch stimmen die Grundprämissen, auf denen diese Strategie beruht?
Beteiligung am, oder Zerfall des Parteiensystems?
Um diese Diskussion einmal vom Kopf auf die Füße zu stellen, schauen wir uns einmal die beiden möglichen Grundstrategien für die AfD an und sehen, worauf sie jeweils beruhen: Es gibt prinzipiell zwei Wege, auf denen eine rechte Partei heute hoffen kann, tatsächlich das Land zu verändern, den großen Austausch zu stoppen und Remigration einzuleiten. Der eine ist der, den die Urheber der in Table-Briefings veröffentlichten Strategie vorschlagen. Man strebt Koalitionen innerhalb des gegebenen Parteiensystems an. Das setzt zweierlei voraus, erstens die Bereitschaft einiger Altparteien, die Brandmauer einzureißen, zweitens die Möglichkeit, in diesen Koalitionen tatsächlich eine Remigrationspolitik zu fahren. Wenn nicht, wenn man nur die fortlaufende Masseneinwanderung unter blauem Fähnchen verwaltet, ist das Ganze herzlich sinnlos.
Die zweite Strategie setzt auf den Zerfall der Union. Mit der staatstragenden konservativen Altpartei zerfiele das derzeitige Parteiensystem. Auch diese Strategie hat zwei Voraussetzungen. Die erste ist die Annahme, dass man die Union in die Selbstzersetzung treiben kann. Der realistischste Plan dazu besteht darin, sie an der Brandmauer zu zerreiben. Starke AfD-Wahlergebnisse sollen die Union in immer abstrusere Bündnisse mit linken Parteien treiben, deren Ergebnisse dann weder dem Wähler noch den einfachen Parteimitgliedern noch erklärt werden können. Die zweite Voraussetzung ist weniger eine Voraussetzung als eine Hoffnung, der man sich aber nicht gewiss sein kann. Nämlich, dass ein Zerfall der Union und damit des gegenwärtigen Parteiensystems zu einer besseren Position für patriotische Kräfte führen würde. Wenn man freilich der durchaus begründeten Ansicht ist, dass sich mit dem gegenwärtigen Parteiensystem keine rechte Politik machen lässt, dann kann man es auf einen Münzwurf ankommen lassen.
Was tun?
Wie sollte die AfD nun handeln? Zunächst einmal: Dies ist die relevante Frage! Wie soll die AfD nun, also jetzt handeln? Die relevante Frage lautet nicht: „Was ist das wahrscheinlichste Szenario in fünf bis zehn Jahren?“ Wenn man so denkt, dann wird man sich darüber verstreiten, wer der bessere Hellseher ist. Stattdessen muss man vom eigenen Handlungsrahmen her denken. Und hier ergibt sich Folgendes: Wie ein guter Investor kann die AfD durchaus so handeln, dass sie beim Eintreten unterschiedlicher Zukunftsversionen profitiert.
Die Urheber des Table-Briefing-Plans unterliegen einem zentralen Irrtum. Sie glauben, sich durch Angriffe auf die CDU Möglichkeiten zu verbauen. Als ob man nicht koalieren könnte, nur weil man eine Partei im Wahlkampf beschimpft hat. Sollte sich die Koalitionsstrategie als praktikabel erweisen und die Union tatsächlich annehmbare Bedingungen anbieten, dann gut.
Sollte sie dies nicht tun, dann muss man die Union eben noch etwas weiter an die Brandmauer drücken. Sollte die Partei Adenauers und Kohls dabei den Weg alles Zeitlichen gehen, auch gut. Dasselbe gilt natürlich genauso für das BSW.
Beide werden umso eher bereit sein, die Brandmauer einzureißen, je mehr Schäden ihnen aus ihrer Aufrechterhaltung entstehen. Von der Union als Hauptgegner abzulassen und stattdessen auf die halbtote SPD einzuschlagen, ist deshalb kontraproduktiv, egal welche Möglichkeiten sich in der Zukunft eröffnen. Die Union als Hauptgegner ist der einzige Kurs, der sich auszahlen wird, unabhängig davon, wie stabil die Brandmauer ist.