Als vermeintliche Alternative zur aktuellen europäischen Migrationspolitik wird von liberal-konservativer Seite häufig das kanadische Einwanderungssystem angeführt. Dieses sei ökonomisch gewinnbringend, kulturell bereichernd und sozial verträglich. Diese Illusion wird nun durch die jüngsten realpolitischen Maßnahmen in Kanada erschüttert.
Kanada plant für die kommenden Jahre, die Einwanderungszahlen um mindestens 20 % zu senken. Premierminister Justin Trudeau und Einwanderungsminister Marc Miller gaben die Änderungen in einer Live-Konferenz am Donnerstagmorgen bekannt. „Einwanderung ist entscheidend für unsere Zukunft, und als Regierung müssen wir dafür sorgen, dass das Vertrauen in dieses System nicht untergraben wird.“ Nichtsdestotrotz kann sich der kanadische Premier nicht verkneifen, den liberalen Migrationsmythos zu betonen. „Die Kanadier sind zu Recht stolz auf unser Einwanderungssystem. Es hat unsere Wirtschaft zu einer der weltweit bewunderten gemacht. Es ist der Grundstein für starke, vielfältige Gemeinschaften und zeigt, dass Unterschiede eine Quelle der Stärke und nicht der Schwäche sein können“, so Trudeau.
Minimale Reduktionen
Die kanadische Regierung hatte zuvor ein Ziel von 500.000 neuen ständigen Einwohnern pro Jahr für die nächsten Jahre gesetzt. Mit den nun angekündigten Änderungen wird dieses Ziel für das nächste Jahr minimal auf 395.000 gesenkt und soll 2026 weiter auf 380.000 und 2027 auf 365.000 reduziert werden. Zudem plant die Regierung eine Verringerung der Zahl temporärer Bewohner um 5 % bis Ende 2026. Laut Trudeau wird dadurch die Bevölkerungszahl in den nächsten Jahren stabilisiert, indem mehr temporäre Bewohner entweder in den Status des ständigen Aufenthalts wechseln oder das Land verlassen. „Diese Maßnahmen sollen das Bevölkerungswachstum stabilisieren und allen Regierungsebenen die nötige Zeit geben, in Gesundheitsversorgung, Wohnraum und soziale Dienste zu investieren, um künftig mehr Menschen aufnehmen zu können“, erklärte Trudeau.
Beschwichtigung der Bürgerwut
Diese Ankündigung ist strategisch und realpolitisch eine notwendige Maßnahme von Trudeau. Die sinkenden Umfragewerte sowie die zunehmende Kritik an der liberalen Einwanderungspolitik sind der wahre Hintergrund dieser Entscheidung. Dies wird jedoch in der Kommunikation der Regierung nicht widerspiegelt. Man sei nach „intensiven Gesprächen und Rückmeldungen der kanadischen Bevölkerung“ zu diesem Entschluss gekommen. Dass keine nachhaltigen Änderungen zu erwarten sind, kann seinen Worten ebenso entnommen werden. „Wir waren immer ein sehr großzügiges Land und werden das auch bleiben“, so der Migrationsminister.