Christian Stocker reagiert auf das Angebot Herbert Kickls. Seine Gegenforderungen sind scharf. Es ist klar: Nur die Not zwingt die ÖVP in diese Koalition. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen
Die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP werden mit steinernen Gesichtern geführt. Auf keiner Seite macht man sich auch nur die Mühe, in der Öffentlichkeit zu verbergen, wie sehr man den anderen hasst und dass man ausschließlich deswegen miteinander redet, weil die Situation so verfahren ist, dass sich keine andere Lösung bietet.
Zwang zur Zusammenarbeit
So erklärte Kickl gestern Abend, dass er mit der ÖVP eben zusammengehen müsse, weil das Wahlergebnis nun mal keine Alleinregierung hergebe und Österreich für Neuwahlen keine Zeit habe. Ebenso gab Stocker in seiner soeben gegebenen Antwort offen zu, dass er Kickls Gesprächsangebot nur deshalb annehme, weil im Falle von Neuwahlen nur Zeit verloren ginge, sich an der Konstellation für eine Regierungsbildung aber aller Voraussicht nach nichts ändern werde. Dass Stocker dabei die Tatsache überging, dass die ÖVP bei Neuwahlen aller Voraussicht nach verlieren, die FPÖ aller Voraussicht nach gewinnen würde, geschenkt.
Westeinbindung
Wichtiger ist aber, wie Stocker nun versucht, die FPÖ in seinem und der Volkspartei Sinne einzubinden. Seine Bedingung ist zunächst einmal ein Bekenntnis zur Europäischen Union und zur Westbindung, in seiner Diktion: an die „freie Welt“. Der ÖVP-Obmann will von Anfang an ausschließen, dass Österreich unter Kickl den ungarischen oder slowakischen Weg geht und versucht, sich im Ukrainekrieg für den Fall eines nun doch absehbaren russischen Sieges rückzuversichern.
Was die ÖVP unter „Rechtsstaat“ versteht
Dass ausgerechnet ein ÖVP-Obmann nun Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit fordert, dürfte erst mal Gelächter auslösen. Doch muss man sich klarmachen, was Stocker damit meint. In allen europäischen Staaten, in denen eine Rechtsregierung die Brandmauer durchbrach und an die Macht kam, folgte unvermeidlich der Kampf mit den noch von den alten Parteien eingesetzten Richtern. Ebenso mit dem staatlichen, halbstaatlichen oder „öffentlich-rechtlichen“ Rundfunk, der ebenfalls noch von den Günstlingen des alten Parteienkartells besetzt ist. Von beider Besetzung war die nun an die Regierung gekommene Rechtspartei ausgeschlossen gewesen. Die Strategie des Parteienkartells bestand jedes Mal darin, dass sich die neue Rechtsregierung an dieser doppelten Mauer aus Justiz und Medien totläuft. Die neue Regierung muss ja liefern, die nun in die Opposition gedrängten Kartellparteien müssen nur blockieren. Wenn sie das nicht mehr durch ihre Parlamentsmehrheit können, dann eben über Gerichte, die sie besetzt haben.
Opposition aus der Regierung
Wenn Stocker also von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit spricht, dann meint er damit zweierlei: Dass die FPÖ die Justiz nicht mit eigenen Leuten besetzt, sondern dass diese in der Hand des Parteienkartells bleibt. Damit hätte die ÖVP jederzeit das Messer am Hals der FPÖ. Und dann, dass der Sumpf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht trockengelegt wird.
Vorbereitung auf Kickls Sturz
Stocker versucht bereits, sich in eine Position zu manövrieren, von der aus er die Koalition platzen lassen und Kickl stürzen kann. Kickl wird das wissen. Doch wie gesagt, beide haben wenig andere Möglichkeit, als jetzt miteinander zu verhandeln. Wer hier als Sieger vom Platz geht, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Wie ich bereits Vorgestern gesagt habe: Innenministerium UND Justizministerium, darunter darf die FPÖ sich nicht verhandeln lassen.