Mit seinen ersten Verordnungen geht Trump die Migration an. Doch seine Vorgehensweise hat erhebliche Einschränkungen. Remigration droht unter den Tisch zu fallen. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen
Ich möchte es die passiv-aggressive Art der Migrationsbekämpfung nennen, und es ist sehr gut möglich, dass dies die einzige ist, die in einem demokratischen Rechtsstaat langfristigen Erfolg haben kann.
Rufen wir uns das Problem einmal ins Gedächtnis: Die Migration hat nicht deshalb die Ausmaße eines großen Austausches angenommen, weil alle dafür gewesen sind, sondern deshalb, weil es juristisch sehr einfach ist, einen Einwanderer hineinzulassen. Ist er einmal da, hat er sehr schnell einen Rechtstitel auf Aufenthalt, bis hin zum Erwerb der Staatsbürgerschaft, der ihm dann kaum oder im Falle der Staatsbürgerschaft gar nicht mehr entzogen werden kann, ohne die Grundlagen der Verfassung selbst anzugreifen. In einer Demokratie aber kann immer auch die andere Seite einmal gewinnen. Wenn heute eine einwanderungskritische Mehrheit an der Macht ist, dann kann sie Einwanderung beschränken, aber sie kann – bis auf wenige Ausnahmen – weder die Einwanderer wieder loswerden, die die vorhergehende einwanderungsfreundliche Regierung hereingelassen hat, noch kann sie zukünftige einwanderungsfreundliche Regierungen daran hindern, in Zukunft weitere Einwanderer hereinzulassen. Ich habe dieses Dilemma einmal das „magische Dreieck der Migrationspolitik“ genannt.
In der Praxis der letzten Jahrzehnte kam noch hinzu, dass Menschen, die einwandern wollten, über die internationalen Asylabkommen sowie diverse Menschenrechtserklärungen einen Anspruch auf bestimmte prozessuale Formen hatten, welchen die Verwaltung schon aufgrund der Masse gar nicht nachkommen konnte, sodass in allen westlichen Staaten auf die eine oder andere Weise das Rechtskonstrukt der „Duldung“ entwickelt wurde. Dabei wird festgehalten, dass der Geduldete eigentlich das Land verlassen müsste, es aber dennoch nicht muss – jedenfalls nicht jetzt – und sich mit seiner Duldung schon auf dem Weg zum dauerhaften Aufenthaltstitel befindet, mit der Staatsbürgerschaft in Aussicht.
Migrationspolitik kann innerhalb dieses Rechtsrahmens tatsächlich nicht nach der Maxime „Ausländer raus“ praktiziert werden. Denn es geht nicht um ein Ziel, sondern um die Gestaltung des politischen und auch des juristischen Prozesses. Das ist ein Unterschied, der für viele, auch politisch aktive Menschen, schwer zu verstehen ist. Aber innerhalb des Rechtsrahmens eines demokratischen Rechtsstaates kann man so sehr gegen Einwanderung sein, wie man will – es wird weiter eingewandert und auch eingebürgert werden, es sei denn, man kann diesen politisch-juristischen Prozess so verändern, dass der Mechanismus, welcher bisher über die Zeit immer zu einer Steigerung der Migrantenzahlen führte, angehalten oder umgekehrt wird.
Ich lese Donald Trumps Verordnungen vor allem als einen Versuch, das zu tun. Ich bin kein Anwalt für amerikanisches Einwanderungsrecht, aber das ist es, was ich darin sehe. Lassen wir einmal seinen Versuch beiseite, auf dem Verordnungswege das Jus soli bei der Staatsbürgerschaft wenigstens teilweise zu kippen. Das wird mit Sicherheit angefochten werden und wahrscheinlich erfolgreich.
Im Wesentlichen beruht Trumps Vorgehen auf zwei Pfeilern. Der erste, publikumswirksamere, aber weit weniger wichtige, ist eine Kampagne gegen illegale Einwanderer. In diesem Rahmen soll tatsächlich abgeschoben und remigriert werden, bis hin zur Aufforderung an den Außenminister, Sanktionsmaßnahmen gegen Staaten zu ergreifen, die sich der Aufnahme ihrer eigenen Staatsangehörigen verweigern.
Wichtiger ist hingegen der Versuch, den politisch-juristischen Prozess so umzugestalten, dass einwanderungsfreundliche Initiativen gleich welcher Art sich eher im System festfressen. Die wichtigste Verordnung trägt deshalb einen sehr interessanten Titel: „Garantie für die Staaten zum Schutz gegen Einwanderung“. In dieser Verordnung beruft sich Donald Trump auf Artikel IV, Sektion 4 der Verfassung der Vereinigten Staaten. Diese garantiert den Einzelstaaten ein Recht auf Schutz vor Invasion von Seiten der Bundesregierung. Dieser Artikel gewährt dem Präsidenten eigentlich keinerlei zusätzlichen Rechte oder Befugnisse. Trump nutzt jedoch diesen Rechtsanspruch der Einzelstaaten, um so etwas Ähnliches wie einen Ausnahmezustand an der Grenze – eben eine „Invasion“ – zu begründen, der es ihm erlaubt, weite Teile des Asylrechtes zeitweilig außer Kraft zu setzen.
Eine solche Maßnahme ist, dass er den Einwanderern selbst die Pflicht auferlegt, vor ihrer Einreise medizinische Dokumente und Vorstrafenregister beizubringen. Wer das nicht rechtzeitig beibringt – und rechtzeitig heißt hier vor seiner Einreise –, der kann sich bis auf Weiteres nicht auf das Asylrecht berufen.
Da Trump hier mit einem Recht der Einzelstaaten auf Schutz vor Invasion argumentiert, stärkt er damit gleichzeitig die Position derjenigen Bundesstaaten, wie Texas oder Arizona, die in der Vergangenheit gegen die Bundesregierung wegen zu laxer Grenzpolitik geklagt haben. Jetzt ist zwar Trump selbst und nicht mehr Biden die Bundesregierung, aber er stützt damit trotzdem seine eigene Position, weil er auf diesen Anspruch der Einzelstaaten verweisen kann. Da jeder der einzelnen Staaten dieses Recht hat, kümmert es nicht, dass das liberale Kalifornien sich darüber nie beschweren würde. Es genügt, dass ein eher rechts regierter Bundesstaat sich beschwert.
Wenn es gelänge, das zu etablieren, dann wäre ein politisch-juristischer Mechanismus geschaffen, in dem Einwanderungsgegner per se im Vorteil sind, weil sie ihn in Bewegung setzen können, sobald sie nur in einem Bundesstaat die nötige Macht dafür haben.
Eine andere Maßnahme, die fast ein bisschen untergegangen ist, ist die Erklärung der mexikanischen Kartelle und ähnlicher lateinamerikanischer krimineller Organisationen zu terroristischen Vereinigungen. Das Hauptgeschäft dieser Kartelle ist und bleibt der Drogenhandel. Aber sie kontrollieren genauso die Schlepperrouten durch Mexiko an die US-Grenze. Doch wer diese Verordnung durchliest, wird nur wenige Erwähnungen von Rauschgiften und viele Erwähnungen des INA, des Immigration and Nationality Acts, finden. Sobald derartige Organisationen als terroristische Organisationen klassifiziert sind, eröffnet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, die sonst verschlossen wären.
Trumps Vorgehensweise ist angesichts der Machtsituation wie der Rechtslage klug. Aber man darf über den Tagesjubel nicht aus dem Auge verlieren, dass dies keine Remigrationspolitik ist, die hier beginnt. Auch dann nicht, wenn jetzt einige oder auch eine ganze Reihe von Illegalen abgeschoben werden sollten. Der ganze Stil der passiv-aggressiven Migrationsbekämpfung geht in eine andere Richtung: Diese Richtung ist eine, in der die Massenmigration grundsätzlich weiterläuft; vor allem aber wird ihre Unumkehrbarkeit anerkannt.
Statt Remigration werden in den Verwaltungsstrukturen und im politisch-juristischen Prozess Strukturen verankert, die die schlimmsten Auswüchse unkontrollierter Migration ausbremsen sollen.