Sind bundesdeutsche und österreichische Verhältnisse so ähnlich, wie man glaubt? Wer in der Bundesrepublik AfD wählt, wählt sie auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Bei der FPÖ in Österreich ist das anders. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen
Ein Geständnis zunächst an unsere österreichischen Leser: Beim Heimatkurier wird hin und wieder auch von Piefkes über Österreich berichtet, tut uns leid. Einer dieser Piefkes bin ich, und als Rheinpreuße auch noch einer von der schlimmsten Sorte. Als solcher musste ich mich jetzt das erste Mal in meinem Leben mit Kommunal- und Landtagswahlen in Österreich auseinandersetzen.
Bevor mit Herbert Kickl nun der erste Freiheitliche Bundeskanzler der Republik Österreich wird, gab es bereits zahlreiche Regierungsbeteiligungen der FPÖ auf Landesebene – und zwar sowohl mit der ÖVP als auch mit der SPÖ. Eine Brandmauer, wie in der Bundesrepublik, hat es in Österreich nie wirklich gegeben, und der Versuch Karl Nehammers, sie um der Person Kickls willen zu errichten, ist gescheitert.
Nun konnte die FPÖ am 19. Januar bei den Wahlen im Burgenland gehörig zulegen und ihr Ergebnis im Vergleich mit der letzten Wahl 2020 mehr als verdoppeln. Mit 23 Prozent liegt die FPÖ aber immer noch deutlich unter dem Ergebnis bei der letzten Nationalratswahl. Da holte sie im Burgenland 28 Prozent. Noch expliziter wird die Differenz, wenn man bedenkt, dass die FPÖ seit den Nationalratswahlen in den Umfragen noch einmal deutlich zugelegt hat, weil die Wähler das Taktieren und Geschacher um eine österreichische Ampelregierung offenbar nicht goutierten.
Einige haben das vergleichsweise schlechte Ergebnis der FPÖ im Burgenland als Klatsche für Norbert Hofer und seinen, verglichen mit Kickl, liberalen Kurs gewertet. Aber das ist sehr offenkundig nicht der Fall, wenn wir uns einmal das Gesamtergebnis der Wahl anschauen und vor allem das Ergebnis der SPÖ. Diese erreichte im Burgenland in den Landtagswahlen satte 46,4 Prozent – ein leichter Rückgang von den 49,9 Prozent, die bei der letzten Landtagswahl nach Abzug der Sonstigen für die Alleinregierung ausgereicht hatten. Nun will Doskozil mit den Grünen koalieren, um explizit einen Gegenpol zur FPÖ/ÖVP-Bundesregierung aufzubauen.
Was ich aber zunächst nicht glauben konnte: Bei den Nationalratswahlen war die SPÖ im Burgenland mit 27 Prozent nur auf Platz drei gekommen, und auch bei der Nationalratswahl 2019 wurde sie mit 29 Prozent nur Zweiter hinter der ÖVP.
Das ist für die neue Regierung Kickl unangenehm. Viel grundsätzlicher ist aber, dass Nationalratswahl und Landtagswahl offenbar überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Ich konnte das erst nicht glauben und habe es mehrfach geprüft! Ich dachte, ich müsste da die falschen Wahlergebnisse gefunden haben. Vielleicht hatte ich mich im Bundesland geirrt? Aber es stimmt schon so. Danach war meine erste Vermutung, dass wohl bei Landtagswahlen die Wahlbeteiligung deutlich niedriger sein müsse als bei Nationalratswahlen. Wahrscheinlich, so dachte ich, haben bei der Landtagswahl überwiegend die Alten gewählt, und deren traditionelle Anhänglichkeit an die SPÖ im Burgenland beschert ihnen diesen Wahlerfolg.
Aber falsch gedacht! Die Wahlbeteiligung unterscheidet sich kaum. Bei der Landtagswahl wurden 79 Prozent der Stimmen abgegeben, bei der Nationalratswahl 83 Prozent. Das kann nicht der Grund für einen solch gewaltigen Unterschied sein. Und das Burgenland ist kein Einzelfall: Gestern fanden in Niederösterreich Gemeinderatswahlen statt. Die FPÖ konnte sich dazu beglückwünschen, das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren zu haben: magere 13 Prozent! Der ÖVP hingegen gelang es, ein Ergebnis von 47 Prozent auf sich zu vereinen. Bei der Nationalratswahl 2024 hatte die ÖVP ganz knapp unter 30 Prozent erreicht, und die FPÖ lag keinen vollen Prozentpunkt hinter ihr.
Es führt kein Weg daran vorbei: Es haben eine ganze Reihe von Menschen im September Kickl gewählt und nun im Januar Doskozil oder irgendeinen ÖVP-Landrat in Niederösterreich. Man vergleiche das einmal mit den Verhältnissen in Thüringen: Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die AfD 24 Prozent der Stimmen.
Die Landtagswahl im Oktober 2019 sah die AfD bei 23 Prozent; im September 2024 waren es 32 Prozent.
Bei den Kommunalwahlen im Mai 2019 hatte die AfD 18 Prozent. Im Mai 2024 waren es dann 25 Prozent für die AfD.
Es gibt in Thüringen das Phänomen, dass die Linkspartei auf Landesebene deutlich besser abschneidet als sowohl auf Kommunal- als auch auf Bundesebene, aber das ist ein anderes Thema. Wichtig hier ist, dass diese Zahlen der AfD eine Wählerbindung zeigen, die über die einzelne Wahl hinausgeht. Und das ist nicht verwunderlich, denn die Wahl der AfD wird in der Bundesrepublik als Bruch mit dem alten Parteienkartell wahrgenommen. Ein Bundesdeutscher kann einmal CDU, einmal SPD und einmal Grün oder FDP wählen, auch Links, wenn er lustig ist, aber die Wahl der AfD ist in der Eigen- wie Fremdwahrnehmung ein Sprung über die Brandmauer.
Nun hat sich, besonders seit Kickl den Parteivorsitz übernommen hat, die politische Rhetorik in der Alpenrepublik den bundesdeutschen Verhältnissen angenähert. Bis dahin, dass eben genau das Konzept einer Brandmauer auch in Österreich angewandt werden sollte, um Kickl von der Kanzlerschaft fernzuhalten. Dieser Versuch ist gescheitert.
Aber die Wahlen im Burgenland und in Niederösterreich zeigen auch: Auf der Ebene der Wählerschaft gibt es diese Brandmauer nicht, und das heißt: Sie existiert in beide Richtungen nicht. Ein österreichischer Wähler kann ganz offenkundig einmal Kickl und einmal Doskozil wählen, ohne seine politischen Einstellungen ändern zu müssen. Trotz allem Geschrei: Die Distanz zwischen der FPÖ auf der einen, der SPÖ und der ÖVP auf der anderen Seite wird von sehr viel weniger Österreichern als so unüberbrückbar angesehen, wie sie gerade im letzten Nationalratswahlkampf dargestellt wurde.
Für die FPÖ hat das Vorteile und Nachteile. Der wichtigste Vorteil ist, dass sie leichter neue Wähler dazugewinnt und vor allem leichter das nötige Gewicht erreichen kann, um ihre Bedingungen zu diktieren. Ich weiß nicht, ob in der Bundesrepublik ein vergleichbarer Zugewinn in den Umfragen für die AfD möglich gewesen wäre, wie der, der letztlich die ÖVP zur Koalition mit der FPÖ gezwungen hat. Auf der anderen Seite sind die Wahlergebnisse der FPÖ auch fragiler. Die plötzlichen Zusammenbrüche von 2002 und 2019 sollte die Partei auch während der jetzigen Hochphase nicht vergessen.
Vor allem aber zeigt diese Gegenüberstellung eines: In den letzten Monaten haben viele Leute die Bundesrepublik und Österreich miteinander verglichen und aus den Ereignissen im einen Land Lektionen für das andere ableiten wollen. Das ist auch naheliegend. Sowohl die Verfassungen als auch die Parteiensysteme beider Länder sind einander sehr ähnlich. Wir sehen aber hier, dass dieser Vergleich Grenzen hat, die man auf den ersten Blick nicht sieht.
Die Brandmauer ist in der Bundesrepublik eine Tatsache, in Österreich ist sie mehr Gerede und Wunschtraum der Grünen. Das hat sehr tiefreichende Folgen.
Man muss sehr genau prüfen, welche Lektionen der AfD für die FPÖ und welche Lektionen der FPÖ für die AfD Geltung haben.