Anlässlich des #Stolzmonats blickt der politische Kommentator Johannes Konstantin Poensgen auf die Geschichte der deutschen Nationalfarben zurück – und kommt zu einer ungewöhnlichen Erkenntnis: Folgt man der gewohnten Argumentation des Verfassungsschutzes, müssten die Farben „Schwarz-Rot-Gold“ als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Denn diese stehen für die Dauerhaftigkeit des deutschen Volkes über politische Veränderungen hinweg – und damit für den ethnischen Volksbegriff.
Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen
Schwarz-Rot-Gold steht für die Dauerhaftigkeit des deutschen Volkes über politische Veränderungen hinweg. Es steht für den ethnischen Volksbegriff, das Gegenteil dessen, was Verfassungsschutz und Verfassungsgericht uns als Verfassungspatriotismus gerade noch erlauben wollen. Blicken wir einmal zurück auf die Geschichte der deutschen Nationalfarben:
Der unmittelbare Grund dafür, daß die Weimarer Republik 1919 und die Bundesrepublik wie auch die Deutsche Demokratische Republik im Jahre 1949 Schwarz-Rot-Gold als Nationalfarben annahmen, liegt darin, daß dies die Farben des Aufstandes von 1848 gewesen waren. Alle drei Systeme, nach einer Niederlage als Gegenbild des jeweiligen Vorgängersystems installiert, wollten dessen Fahne nicht mehr weiterführen, und bedurften daher eines anderen Anschlusses an die deutsche Tradition. Alle drei entscheiden sich für die letztlich gescheiterte Revolution von 1848 und die Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt.
Die Aufständischen von 1848 selbst haben die schwarz-rot-goldene Fahne aber nicht erfunden, wie dies heute bei den Farbschemata einer durch ausländische Agenten gesteuerten Farbenrevolution der Fall ist, für welche im Zweifel eine Marketingfirma verantwortlich zeichnet. Das Schwarz-Rot-Gold war in den Jahrzehnten seit den Befreiungskriegen die Farbe nationaler und demokratischer Bewegungen geworden.
Die Herkunftsgeschichte ist allgemein bekannt: Während der Befreiungskriege trug das Freikorps Lützow, in welchem eine Reihe künstlerisch veranlagter Jugendhelden jener Zeit, vor allem der 1813 gefallene Theodor Körner, dienten, schwarze Uniformen mit roter Naht und goldenen Knöpfen. Das Farbschema übernahm bald darauf die Urburschenschaft zu Jena. Von dort aus setzte sich Schwarz-Rot-Gold als Symbol der demokratischen Nationalbewegung durch und war spätestens auf dem Hambacher Fest 1832 fest etabliert, wie die unten abgebildete zeitgenössische Darstellung zeigt, auf der die Farben aber noch umgekehrt zur heutigen Reihenfolge angeordnet waren.
Auf die Gefahr hin einen Burschenschafter oder einen Veteranen des Freikorps Lützow zu beleidigen: Ich halte es nicht für die wichtigste Frage, wer Schwarz-Rot-Gold wiedereingeführt (!) hat. Weit wichtiger ist die Tatsache, daß man sich damit für die Farben entschied, welche in der Heraldik des offiziell ja erst 1806 untergegangen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation die bedeutendste Rolle gespielt haben. Die Abbildung Kaiser Heinrichs VI. (1165-1197), des Sohnes Kaiser Friedrich Barbarossas und Vaters Kaiser Friedrich II, aus dem um 1300 herum entstandenen Codex Manesse ist die älteste überlieferte Darstellung des deutschen Wappens in seiner bis heute gültigen Grundform. Ab dem 15. Jahrhundert ist das Wappen kontinuierlich auf goldenem Grund ein schwarzer Adler mit roten „Waffen“ (heraldischer Ausdruck für Schnabel und Klauen), wobei oft zusätzlich Umrandungen oder Wimpel in rot gehalten sind, so daß sich die Farbverteilung einigermaßen die Wage hält.
Interessanterweise und in besseren Zeiten wäre es ein schönes Thema für eine Doktorarbeit zu untersuchen, inwieweit sich die Nationalgesinnten des Vormärzes dieser Tatsache bewusst waren, dass das schwarz-rot-goldene Adlerbanner seine Geschichte als persönliche Fahne der deutschen Könige begann. Das seit der Kreuzfahrerzeit gebräuchliche Reichsbanner, weißes Kreuz auf rotem Grund, führen bis heute die Schweizer als Zeichen der Reichsunmittelbarkeit gegen die Ansprüche des Hauses Habsburg. Nach einigen Ansichten wurde es ihnen von Kaiser Sigismund gegen Habsburg verliehen, als letzteres beim Kaiser in Ungnade gefallen war. (Auch wenn die Habsburger sich nicht, wie es bei Wikipedia steht, in der Reichsacht befanden, siehe hier).
Ob sie sich dessen bewusst waren oder nicht, die nationaldemokratische Bewegung des Vormärzes wählte sich ein Farbschema, welches zunächst ausdrücklich für das deutsche Königtum gestanden hatte, bevor es im Verlauf der Jahrhunderte zum Symbol des Reiches wurde. Zu keinem Zeitpunkt scheint es den Versuch gegeben zu haben, für das angestrebte demokratische Deutschland eine Fahne zu entwerfen, welche den Bruch mit der Vergangenheit symbolisiert. Aus einem einfachen Grund: Auch der radikalste Demokrat war zunächst einmal Deutscher und dann Demokrat.
In ihrer überwältigenden Mehrheit aber war die Generation der Freiheitskriege diejenige unserer Geschichte, die sich der geschichtlichen Kontinuität des deutschen Volkes am bewusstesten war. Ob einer nun Demokrat, Monarchist oder irgendetwas dazwischen war: Eine Nation der Staatsangehörigkeitsbesitzer, welche ihren Geburtstag auf die Inkrafttretung einer Verfassung datiert, wäre ihnen schon allein deswegen absurd erschienen, weil es dann ja zu ihrer Zeit, seit der Reichsauflösung 1806, gar kein deutsches Volk mehr gegeben hätte.
Für das deutsche Volk, welches ihnen aus der Geschichte aufgegeben war, wollten die Nationaldemokraten des Vormärzes einen neuen Staat und eine neue Verfassung: Eine bürgerlich-parlamentarische, von welcher wir heutigen Deutschen übrigens nicht weniger weit entfernt sind, als ein Bürger des Jahres 1830 von einem Ritter Kaiser Heinrichs VI. Niemand kam auch nur auf den Gedanken, diese Verfassung über das deutsche Volk zu stellen, ein Gedanke, in dessen Konsequenz ja tatsächlich der heutige Versuch liegt, für die Verfassung ein neues Volk zu basteln. Man begriff es als eine Selbstverständlichkeit, daß das Volk allein schon in der Zeitlinie vor der Verfassung liegt.
Aus dieser Erkenntnis folgt dann allerdings eine Konsequenz, die allen Verfassungspatrioten unerträglich ist. Wenn es ein Volk gibt, das älter ist, als die gegenwärtige Epoche und ihre politischen Einrichtungen, dann ist die eigene Zeit mit ihren politischen Einrichtungen auch nur eine Epoche in der Geschichte dieses Volkes. Durch seine bloße Existenz relativiert das Volk die Verfassung! Die Akzeptanz dieser Tatsache liegt hinter Friedrich Eberts berühmten Ausspruch:
Ebert spricht hier wohlgemerkt über eine gerade erst verabschiedete Verfassung, an deren Entstehen er selbst maßgeblich beteiligt war. Er trug sich mit keinerlei Plänen, diese Verfassung wieder abzuschaffen. Er spricht nicht als jemand, der sich gegen die gegenwärtige Verfassung Macht aneignen will, sondern als oberster Repräsentant des zu jener Zeit herrschenden Systems. Als solcher aber sagt er, daß der Fortbestand des Volkes im Zweifel über dem des gerade herrschenden Systems zu stehen hat. Daß keine Herrscherschicht das Recht hat, um des Erhalts der eigenen Ideologie willen das Volk zu opfern. Erst recht aber nicht zum bloßen Erhalt der eigenen Macht.
Verfassungspatriotismus ist die Verschleierung der gegenteiligen Absicht. Hinter allen Prinzipien und Werten steht im besten Fall die Forderung, das Volk dürfe das Ende der eigenen Ideale nicht überleben. Zumeist aber die, dass das Volk das Ende der eigenen Herrschaft nicht überlebe.
Unter den schwarz-rot-goldenen Farben hat das deutsche Volk seit mindestens sieben Jahrhunderten viele Herrscher und viele Systeme kommen und wieder gehen sehen. Vielleicht ist das der Grund, aus dem die Verfassungspatrioten nie mit diesen Farben warm geworden sind, die doch in der jüngeren Geschichte die Farben derjenigen politischen Ideale waren, in deren Tradition sie sich immerhin selbst sehen.
Dieser Artikel von Johannes Konstantin Poensgen ist zuerst auf dessen Substack-Blog „Fragen zur Zeit“ erschienen und wurde von uns mit freundlicher Genehmigung übernommen. Poensgen ist Politologe vom Bildungsweg, Aktivist vom Lebensweg. Auf seinem lesenswerten Blog schreibt er über Politik und Kultur in Umbruchszeiten.
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