Kräfteanalyse – wer ist die Rechte?

Viel wird in der Rechten darüber gesprochen, was falsch läuft – wenig darüber, wie man etwas ändern kann. Wir machen damit Schluss – der vierte Teil unserer Strategiereihe beschäftigt sich mit der Frage, aus welchen Teilen das rechte Lager besteht und welche spezifischen Aufgaben diese zu erfüllen haben.

Wir wissen nach den ersten drei Teilen, warum das rechte Lager eine Strategie benötigt, auf welches Ziel diese Strategie abzielen muss und wie das herrschende System funktioniert. Im vierten Teil widmen wir uns entlang des Buches von Martin Sellner („Regime Change von rechts“) dem rechten Lager – also uns selbst. Welche unterschiedlichen Akteure und Kräfte gibt es? Welche Aufgaben haben sie? Wer gehört nicht dazu? Wo liegen jeweils die Risiken?

Das rechte Lager

Sellner definiert zu Beginn den weltanschaulichen Kern des rechten Lagers als Bekenntnis zu einem ethnokulturell verstandenen Volk und die Forderung nach dessen Erhalt. Aus diesem Grund kann man das rechte Lager auch als „identitäres Lager“ bezeichnen: Es geht um den Erhalt der eigenen Identität und somit um eine fundamentale Alternative zur herrschenden Bevölkerungs- und Identitätspolitik – also der Politik des Bevölkerungsaustausches und des Schuldkults. Identität ist nicht abstrakt und Gegenstand einer freien, individuellen Entscheidung, sondern beruht auf abstammungsbedingten „unfreiwilligen Assoziationen“ (Michael Walzer), die letztlich eine exklusive Gemeinschaft mit einer „substanziellen Homogenität“ (Carl Schmitt) bilden. Wer diesen weltanschaulichen Kern zum wesentlichen Inhalt seiner politischen Arbeit macht, ist rechts – egal, ob er in anderen Bereichen tendenziell liberale, sozialistische oder konservative Standpunkte vertritt. Funktional betrachtet besteht das rechte Lager aus fünf Teilbereichen: Partei, Bewegung, Gegenkultur, Theoriebildung und Gegenöffentlichkeit. Diese verfolgen jeweils ein eigenes strategischen Ziel und haben daher auch unterschiedliche Aufgaben.

Die „Alte Rechte“

Die Rechte des 21. Jahrhunderts ist gemäß Sellner zudem von der sogenannten „Alten Rechten“ zu unterscheiden. Diese teilt zwar ebenso den oben ausgeführten inhaltlichen Kern, verbindet diesen aber – explizit oder implizit – untrennbar mit der Rehabilitierung und Restaurierung des historischen Nationalsozialismus. Die „Neue Rechte“ setzt dem die „Historisierung“ des NS entgegen und verbindet das mit einer klaren Distanz zur altrechten Subkultur. Diese dient dem System als „Schablone des Bösen“ und neigt strategisch sogar zur Stabilisierung der herrschenden Ordnung. Sie wird zur Waffe des „sanften Totalitarismus“, mit der Repression, Zensur und Unterdrückung moralisch gerechtfertigt werden kann. Das rechte Lager muss daher stets eine säuberliche Trennung zwischen identitären Forderungen und dem historischen Nationalsozialismus vornehmen – ohne sich jedoch in einer hysterisch und öffentlich zelebrierten Distanzierung von der „Alten Rechten“ zu ergehen.

Die Partei

Der erste Bereich des rechten Lagers ist die Partei als genuin politischer Akteur. Sie hat die strategische Aufgabe, zur Umsetzung des rechten Hauptziels parlamentarische Macht zu erlangen und zu halten. Um diese Änderung herbeizuführen, obliegt ihr zudem die programmatische Ausarbeitung einer alternativen Bevölkerungs- und Identitätspolitik. Neben dem politischen Aufgabenkern der Partei hat sie jedoch auch eine wichtige metapolitische Einflusswirkung: Sie kann andere Akteure des rechten Lagers juristisch schützen, materielle Ressourcen verteilen, wertvolle Informationen aus „dem Inneren“ des Systems gewinnen sowie bremsend auf den repressiven Staatsapparat einwirken. Entscheidend ist, dass die Partei die Bedeutung und Existenzberechtigung der Metapolitik sowie des eigenen Vorfeldes erkennt – ansonsten droht das Abgleiten in den ineffektiven „Parlamentspatriotismus“.

Die Bewegung

Der zweite Bereich des rechten Lagers ist die Bewegung als metapolitisch wirksamer Akteur. Sie unterteilt sich in avantgardistisch-jugendliche Aktionsgruppen und massenbasierte Bürgerbewegungen. Ihr strategisches Ziel besteht in der Beeinflussung der Meinungsklimaanlage, der Verschiebung des Overtonfensters und der Sabotage der herrschenden Ideologie und ihrer Staatsapparate durch Aktivismus und Kampagnenarbeit. Sie zielt damit auf eine soziale Veränderung der Gesellschaft und ihrer Begriffe und Ideologie ab. Durch verschiedene Aktionsformen sollen Fragen aufgeworfen und Themen gesetzt – also der herrschende Diskurs beeinflusst – werden. Ihr Mittel ist das der „anschlussfähigen Provokation“, durch die mittel- bis langfristig eine Normalisierung zuvor „geächteter“ Begriffe und Positionen bewirkt werden soll. Sie agiert damit als „Dammbrecher“ für die anderen Akteure des rechten Lagers und bildet eine kritische Masse, die der Partei als politischen Akteur zur Macht verhelfen soll. Bei der Bewegung besteht aufgrund ihres avantgardistischen Charakters die Gefahr der Selbstmarginalisierung durch fehlende Anschlussfähigkeit.

Die Gegenöffentlichkeit

Der dritte Bereich des rechten Lagers ist die Gegenöffentlichkeit. Sie umfasst alle rechten Medien, Plattformen, Influencer und sonstige Meinungsmultiplikatoren und weist darüber hinaus große Überschneidungen mit dem liberalen und konservativen Lager (Beispiel: Reichelt/NIUS) auf. Ihr strategisches Ziel ist der Aufbau einer signifikanten Reichweite, die anschließend zur Verbreitung und Popularisierung von genuin rechten Begriffen, Symbolen und Narrativen genutzt wird. Um eine tatsächliche Steigerung der Diskursmacht zu erreichen, darf sich die Gegenöffentlichkeit nicht auf „populistische Bespielung“ beschränken, sondern muss auf eine weltanschauliche Verschärfung des politischen Bewusstseins ihrer Zielgruppe abzielen. Darüber hinaus soll für das eigene Lager ein Resonanz- und Debattenraum geschaffen werden, der dem Wettbewerb und der Selektion der Ideen dient. Die Gefahr der Gegenöffentlichkeit liegt in einem klick- und reichweitenorientierten Populismus, der sich zwar monetär lohnt, politisch jedoch unwirksam bleibt.

Die Theoriebildung

Der vierte Bereich des rechten Lagers ist die Theoriebildung. Sie umfasst Intellektuelle und Theoretiker, die durch Zeitschriften, Verlage, Akademien und sonstige Kanäle Ideen rezipieren sowie Wissen vermitteln und damit die „geistige Einheit“ des rechten Lagers stiften. Das strategische Ziel besteht darin, das Hauptziel theoretisch zu erarbeiten und zu unterfüttern, um es anschließend nach innen zu vermitteln und nach außen zu verteidigen. Durch die Arbeit am Begriff soll die Partei bei der programmatischen Ausarbeitung einer alternativen Bevölkerungs- und Identitätspolitik unterstützt werden. Neben der weltanschaulich-inhaltlichen Arbeit muss die Theoriebildung auch eine „rechte Revolutionstheorie“ erarbeiten – das Buch von Martin Sellner versucht genau das zu leisten. Generell gilt: Fehlt bei der inhaltlichen Arbeit die strategische Dimension, drohen Irrwege, befördert durch intellektuelle Eitelkeit und Gefallsucht.

Die Gegenkultur

Der fünfte Bereich des rechten Lagers ist die Gegenkultur. Sie umfasst sämtliche künstlerisch-artistischen Akteure, also Musikgruppen, Maler, Dichter, Volkstänzer, Priester, Memes, digitale Subkulturen und Kommunen. Das strategische Ziel ist die Stiftung eines mobilisierenden Mythos, eines prägenden Stils sowie einer gemeinsamen „Stimmung“. Die Gegenkultur bildet den „ästhetisch-kulturellen Kontext“ für das restliche Lager und stellt deren „Seele“ dar. Sie ist am Besten dazu in der Lage, die Emotionen des Volkes zu erreichen und in ihm die Sehnsucht nach der Umsetzung der politischen Ziele des rechten Lagers zu wecken. Dazu gehört auch der gezielte Einsatz von Humor, Witz und Satire, um dem herrschenden System die Maske vom Gericht zu reißen. Gegenkultur kann niemals „geplant“ oder „konstruiert“ werden und bedarf einer gewissen Offenheit. Hier liegt jedoch auch gleichzeitig die Gefahr der gänzlichen Entkoppelung von der Sphäre der Politik.

Fazit

Das rechte Lager ist kein monolithischer Block, aber es gibt einen klar definierten inhaltlichen Kern: Der ethnokulturelle Volksbegriff, aus dem heraus der politische Wille zum Erhalt der Identität des eigenen Volkes erwächst. Wer diesen Kern zum Zentrum seines politischen Handelns macht und gleichzeitig nicht dem subkulturellen Fetisch der „Alten Rechten“ erliegt, ist ein Teil des rechten Lagers des 21. Jahrhunderts.

Wir wissen nun, warum das rechte Lager eine Strategie braucht (Teil 1), welches Ziel wir mit dieser Strategie verfolgen (Teil 2), wie das herrschende System seine Macht aufrechterhält (Teil 3) und aus welchen Teilen das rechte Lager besteht. Im nächsten Teil klären wir, welche möglichen Wege zur Macht es gibt und welche davon in die Irre führen.

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