Am 9. November 1989 fällt jene Mauer, die das deutsche Volk über Jahrzehnte in „Ost“ und „West“ gespalten hat. „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“, so lautete damals die Erwartung. Doch was ist 34 Jahre danach von dieser Hoffnung übrig geblieben? Dr. Anna Rathert erinnert sich für den Heimatkurier an den Tag zurück und zieht Bilanz.
Eine Erinnerung von Frau Dr. Anna Rathert
Ich weiß heute gar nicht mehr warum, aber als Kind mochte ich Dieter Hallervorden. Es muss irgendwann im September oder Oktober 1989 gewesen sein, als ich in meiner Heimatstadt ein Poster entdeckte, dass er am Donnerstag, den 9. November 1989 um 19:00 Uhr ins Recklinghäuser Ruhrfestspielhaus kommen würde. Und ich muss daraufhin so geningelt und gebettelt haben, dorthin zu gehen, dass sich mein armer Vater irgendwann geschlagen gab und die Eintrittskarten kaufte, obwohl er sich für Dieter Hallervorden eher weniger interessierte.
Die Macht des linken Unrechtsstaats
Wie es dazu kam, dass ich als 12-jähige unbedingt Dieter Hallervorden sehen wollte, kann ich mir heute nicht mehr richtig erklären. Vielleicht brauchte ich ein bisschen Ablenkung, denn kurz zuvor und nur wenige Monate nach seinem Bruder, meinem Großvater, war der Lieblingsonkel meiner Mutter in Dresden gestorben. Meine Mutter hatte als ehemaliger Dissident, Häftling und Republikflüchtling keine Einreisegenehmigung bekommen, um zur Beerdigung zu gehen. Das Ohnmachtsgefühl, das diese Entscheidung auslöste, habe ich bis heute in intensiver Erinnerung. Die Macht dieses linken Unrechtsstaates reichte bis kurz vor ihrem Ende immer noch bis in die privatesten Winkel deutscher Familien.
Der 9. November 1989 kam und mit ihm Dieter Hallervorden. Parkett rechts, Reihe 10, ich habe noch die Karten. Und eine vage Erinnerung an das Bühnenbild und den anschließenden Rückweg vom Theater zum Auto durch den dunklen herbstlichen Stadtpark. Ansonsten hatte mich der Abend – Herr Hallervorden möge mir diese Bemerkung verzeihen – insgesamt eher weniger beeindruckt. Aber eins ist ziemlich sicher – auch er als alter Dessauer wird heute noch wissen, dass er an diesem 9. November im Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen war.
Die Mauer ist auf!
Zu Hause angekommen, war das Haus taghell erleuchtet. Meine Mutter saß wie gebannt vor dem Fernseher: Die Mauer ist auf! Günter Schabowski habe kurz vor 19 Uhr einen Zettel aus der Tasche gezogen und ihn vorgelesen. Die Reisefreiheit gelte „ab sofort“. Nicht einmal die Heute-Sendung um 19 Uhr sei darauf vorbereitet gewesen und habe spontan reagieren müssen.
Meine Eltern, damals so alt wie ich heute bin, freuten sich wie Kinder. Am Freitag nach der Schule wollten wir nach Berlin fahren und hatten uns dort mit einem Cousin meiner Mutter verabredet. Doch kurz vor Helmstedt mussten wir die Reise abbrechen, denn auf der Autobahn fuhr niemand mehr. Die Menschen standen auf der Straße und feierten – ich weiß nicht, wie viele überhaupt noch fahrtüchtig waren.
Die Rückkehr der Gerechtigkeit?
Die Tage und Wochen danach waren vor allem von Reisen geprägt. Familie und Freunde kamen zu uns. Wir fuhren zum Gegenbesuch. Meine Eltern besuchten nach fast 20 Jahren wieder die Orte ihrer Kindheit. Das Haus meiner Großeltern, die Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins. Die alten Freunde aus der Kinder- und Studentenzeit. Und immer war da der naive Glaube daran, dass jetzt – unbehelligt von ausländischen Interessen – zusammenwachsen würde, was zusammengehört.
Dass es rasch zu einem Wirtschaftswunder im Osten käme, weil die Deutschen unschlagbar seien. Weil niemand so fleißig, tüchtig und strebsam wie die Deutschen seien, niemand so gut organisiert und tatkräftig. Dass jetzt das eingetreten sei, was rechtens sei. Die unmenschliche Teilung unseres Volkes überwunden, genauso wie Unrecht und Unrechtsstaat. Die Rückkehr zur Normalität unaufhaltsam. Dem deutschen Volk würde von jetzt an die Gerechtigkeit widerfahren, die ihm seit Kriegsende vorenthalten worden war. Und was würde aus Schlesien werden, der Heimat meines Vaters?
Das Volk als entseelte Masse
Heute, 34 Jahre später, scheint alles anders gekommen zu sein. Unser Volk wird als Gruppe ohne politischen Willen und politisches Bewusstsein betrachtet. Als Gruppe – und nicht als gewachsenes, lebendiges Organ, das souveräne Entscheidungen für seine eigene Zukunft fasst. Als verschiebbare, entseelte Masse, die nicht mehr Grund und Quelle für staatliche Legitimation und Herrschaft ist; als eine aufgrund einer behördlichen Entscheidung zusammengesetzte Gruppierung, ein zu steuerndes und zu kontrollierendes Objekt, alle vier Jahre zur Stimmabgabe berufen, um staatlichen Funktionären Macht, Einfluss und Geld zu sichern. Und seine Souveränität übertragen auf Brüsseler Beamte, die es in Gebäuden aus Stahl und Spiegelglas verwalten.
Vergessen wir nicht, dass Volk Leben ist und dass Verwaltung nicht Zweck sein, sondern allenfalls dort vorkommen darf, wo sie als vom Volk legitimierte Notwendigkeit erkannt wird. Lasst uns auch diesen 9. November begehen in dem Bewusstsein, dass der Staat seine Legitimation vom Volk abzuleiten hat und nicht das Volk seine Legitimation vom Staat!
Dr. Anna Rathert ist stellvertretende Sprecherin des AfD-Kreisverbandes Recklinghausen und Sprecherin des AfD-Stadtverbandes Recklinghausen. Darüber hinaus ist sie Rechtsanwältin, Patriotin, Ehefrau und Mutter.