Machtkämpfe zwischen Zentralregierung und Hisbollah sowie eine schwere Wirtschafts- und Migrationskrise erschüttern den Libanon. Die Ermordung eines christlichen Politikers durch eine syrische Straßengang droht die angespannte Lage völlig eskalieren zu lassen. Libanesen verlangen Abschiebungen – mit möglicherweise fatalen Folgen für Europa.
Die staatliche Ordnung im Libanon steht kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch. Seit Oktober 2022 scheiterten zwölf Versuche ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Im dadurch entstandenen Machtvakuum konnte die Hisbollah de facto einen Staat im Staat gründen. In diesem Chaos leben im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten Flüchtlinge weltweit.
30 Prozent Flüchtlinge
Sie machen mittlerweile mindestens 30 Prozent der 5,5 Millionen Einwohner des Libanons aus. Tatsächlich dürfte die Zahl noch höher sein, da die Regierung schon im Jahr 2015 verbot, Flüchtlinge zu registrieren. Die meisten der Illegalen sind Syrer, die Europa über das Mittelmeer erreichen wollen. Die Kosten in Höhe von 10.000 Euro für die Reise können sich allerdings nur wohlhabende Wirtschaftsmigranten leisten.
Geduld der Einheimischen am Ende
Im Libanon, der mehr Flüchtlingslager als Staat ist, herrscht mittlerweile Konsens, dass die syrischen Flüchtlinge eine der Hauptursachen für die seit 2019 andauernde Wirtschaftskrise sind. Diese wird von der Weltbank als eine der schlimmsten seit dem 19. Jahrhundert eingeschätzt. Die Währung verlor alleine im letzten Jahr 98 Prozent an Wert und Lebensmittelpreise stiegen um teilweise 600 Prozent. Nun erhitzt ein heimtückischer Mord die Gemüter in dem Land: der christliche Politiker Pascal Sleimain wurde von syrischen Bandenmitgliedern überfallen, schwer verwundet und erlag seinen Verletzungen. Als Reaktion auf den Mord kündigte der Innenminister an „die Präsenz von Syrern im Land einzuschränken“.
Abschiebung per App
Die Libanesen wollen die Belastung durch Syrer nicht mehr länger ertragen. Die Regierung versprach 15.000 Abschiebungen pro Monat, auch wenn diese nach UN-Angaben gegen das Völkerrecht verstoßen. Ein Abgeordneter präsentierte gar eine App, um illegale Syrer inklusive Foto zu melden. Der Hisbollah-Führer schlug vor, die Syrer legal mit Schiffen nach Europa fahren zu lassen, um die EU zu erpressen. Auch das UN-Hilfswerk erhöht den Druck auf die EU-Staaten. Über 250.000 besonders „vulnerable Flüchtlinge“ wurden von ihm identifiziert und sollen umgesiedelt werden.
Erste Anzeichen einer neuen Flüchtlingswelle
Der gestiegene Migrationsdruck macht sich bereits in Zypern bemerkbar. Im ersten Quartal diesen Jahres sind bereits über 2.000 Syrer auf der Insel angekommen. Dies veranlasste die Regierung bereits dazu, Asylanträge für Syrer auszusetzen. Der zypriotische Innenminister setzt sich nun dafür ein, dass die EU Teile Syriens als sicher anerkennt. Da die 1,5 Millionen Syrer im Libanon keine Perspektive haben, ist dieser Schritt dringend notwendig. Ähnlich wie den Libanesen wird es den Europäern auf Dauer nicht zu vermitteln sein, warum die Syrer, statt ihr Land wieder aufzubauen, Konflikte in ihr Land tragen.