In keinem Land wurden 2023 mehr Aufenthaltsanträge für Deutschland gestellt, als in der Türkei. Knapp die Hälfte der jungen Türken wollen das Land hinter dem Bosporus verlassen und drängen nach Westen. Der massive Wanderungsstrom sorgt in beiden Ländern für unterschiedliche Probleme.
Etwa die Hälfte der Türken zwischen 18 und 29 Jahren möchte laut einer Umfrage des Instituts Habitat verlassen – ein Rekordwert. 2019 war es noch lediglich ein Viertel. Besonders beliebt als Zielort ist Deutschland, das bereits die größte türkische Diaspora in Europa beherbergt. Etwa drei Millionen Türken leben hier, seit in den Sechzigern die Gastarbeiterabkommen abgeschlossen wurden. Aufgrund der Sogwirkung sogenannter ausländischer „Communitys“, die kürzlich wissenschaftlich nachgewiesen wurde, steigt der Anteil türkischer Migranten wieder an.
16.000 Visa in nur fünf Monaten
Belege dafür liefern Zahlen des Auswärtigen Amtes (AA), das mit der Bearbeitung von Visaanträgen betraut ist: im letzten Jahr wurden 46.000 nationale Visa erteilt und knapp 200.000 Schengenvisa. Erstere gelten für ein längere Zeiträume, zweitere für maximal 90 Tage. Dazu kommen noch 17.000 Einreiseerlaubnisse für Betroffene des Erdbebens vom 6. Februar 2023. Die Zahl der überhaupt gestellten Anträge liegt verständlicherweise noch darüber, doch gibt das AA darüber keine Auskunft. Seit Beginn des Jahres 2024 bis Ende Mai wurden beinahe 16.000 nationale Visa bewilligt. 2019 waren es im gleichen Zeitraum weniger als 8.000.
Überfremdung und Brain-Drain
Für viele der ausreisewilligen Türken ist nicht nur die Aussicht auf ein Leben unter ihresgleichen in Deutschland die Motivation, sondern auch die erhofften besseren wirtschaftlichen Umstände. Die Türkei erlebt momentan ökonomische Turbulenzen, unter anderem mit einer erhöhten Inflationsrate. Auch Ärzte, ausgebildete Arbeiter und Künstler wollen sich dieser schwierigen Situation entziehen. Das führt einerseits in Deutschland zu noch mehr Überfremdung sowie Ersetzungsmigration und andererseits schaden die Emigranten ihrem Heimatland durch den Entzug ihrer dringend vor Ort benötigten Arbeitskraft – der sogenannte Brain-Drain. Der Migrationsforscher Murat Erdogan meint dazu, dass dieser ein „außerordentliches Unglück“ sei. Bilaterale Remigrationsabkommen können diese schädliche Entwicklung verhindern.