Es hieß, es wäre eine Schicksalswahl. Was ändert sich jetzt eigentlich? Erst einmal nicht viel und dann doch alles. Das Altparteienkartell muss zu Allparteienkoalitionen greifen, um AfD-Regierungen noch zu verhindern.
Sicherlich werden die Altparteien auf Bundesebene weitermachen wie zuvor. Dass die BRD eine dysfunktionale Landesregierung in einem Bundesland oder zwei überstehen kann, haben allein die letzten fünf Jahre gezeigt, in denen Bodo Ramelow Thüringen mit Duldung der CDU regiert hat. Selbst auf Landesebene dürfte das unmittelbare Erdbeben ausbleiben, das viele sich erhofft haben. Björn Höcke wird nicht Ministerpräsident werden, denn von der absoluten Mehrheit ist die AfD selbst in Thüringen weit entfernt. Es gehört aber zu den Grundsätzen der Union, dass sie für jede Koalition nach links offen ist, während rechts von ihr „die Wand“ (Franz Josef Strauß) steht.
Volkspartei im Osten
Was also bedeutet das für die Zukunft? Zunächst einmal ist eine Veränderung in der AfD selbst festzustellen: Daniel Fiß hat für die Sezession im Netz aufgezeigt, dass die AfD, zumindest im Osten, den Weg von der Protestpartei zur milieuverankerten Volkspartei mit einer stabilen Kernwählerschaft geschafft hat. Was bedeutet das? Es heißt nicht weniger, als dass die AfD in diesen Milieus in Ostdeutschland – eher ländlich als städtisch, eher Handwerker als Akademiker – Teil des Lebensstils geworden ist und dazugehört, wie die freiwillige Feuerwehr. Diese Verwurzelung war es, die die alten Volksparteien einmal zu Volksparteien gemacht hat, nicht bloß Stimmenanteile über der 30%-Marke.
Das 30%-Ghetto
Darauf lässt sich aufbauen. Die entscheidende Frage wird sein, wie weit sich das AfD-Milieu ausdehnen lässt. Im Osten wird sich innerhalb der nächsten fünf Jahre herausstellen, ob die AfD zumindest dort absolute Mehrheiten auf Landesebene holen kann oder ob sie zwischen dreißig und vierzig Prozent verbleibt. In jeder funktionierenden Demokratie müsste eine Partei mit einem solchen Wahlergebnis eher früher als später die Regierung stellen, aber in einer gespaltenen Gesellschaft mit einem Parteienkartell auf der einen Seite kann man Jahre und Jahrzehnte erleben, in denen dreißig Prozent der Wählerschaft von der politischen Beteiligung ausgeschlossen bleiben. Das Schicksal des Rassemblement National in Frankreich lässt grüßen, auch wenn Frankreich aufgrund seines extremen Mehrheitswahlrechts noch ein anderer Fall ist (es gibt zwei Runden, für einen Parlamentssitz braucht man über 50% der Stimmen in der Stichwahl). Aber nach all diesen Erfolgen und all der Anstrengung droht der AfD erst einmal das 30%-Ghetto im Osten und das 15%-Ghetto im Westen.
Brandmauer gegen 30%? Das tut den Altparteien mehr weh als der AfD
Für den desillusionierten Wähler wird die Frage aufkommen, was denn der Unterschied zwischen dem 30%-Ghetto und dem 15%-Ghetto sei, außer dass mehr AfD-Abgeordnete und Mitarbeiter in den Landtagen arbeiten? Was die eigene Gestaltungsmacht anbelangt, gibt es keinen Unterschied. Das stimmt. Aber etwas anderes wird hier übersehen: Eine AfD mit 30% erzwingt die abenteuerlichsten und wackeligsten Koalitionen, um überhaupt noch Regierungen ohne die AfD zustande zu bringen. Eine Brandmauer gegen eine 30%-Partei tut den Altparteien mehr weh als der AfD. Auf lange Sicht kann das die Brandmauer zum Einsturz bringen.
Wenn die AfD im Osten an die Regierung kommt, dann als Seniorpartner
Fast seit Gründung der AfD ist immer wieder von einer Oststrategie die Rede. Nicht zu laut, damit sich die Landesverbände im Westen nicht auf den Schlips getreten fühlen, aber der Grundgedanke dahinter ist der, dass auf absehbare Zeit nur im Osten Ergebnisse erzielt werden können, mit denen sich nicht nur eine Regierungsbeteiligung der AfD erzwingen lässt, sondern eine Landesregierung unter einem AfD-Ministerpräsidenten. Das ist entscheidend. Denn als Juniorpartner eines Etablierten werden patriotische Parteien ausgesaugt und abserviert. Wer das nicht glaubt, der frage in Österreich nach. Die FPÖ kann davon ein Liedchen singen.
Letztes Etappenziel erreicht
Ein Mann verkörpert die Oststrategie wie kein anderer: Björn Höcke, der mit Abstand längstgediente Fraktionsvorsitzende und zusammen mit seinem Kollegen Stefan Möller der längstgediente Landessprecher der Alternative für Deutschland. Höcke steht jetzt seit einem Jahrzehnt an der Spitze der AfD Thüringen. Auf den Vorwurf, er sei nur ein Landespolitiker, antwortete er vor vielen Jahren einmal, er sei überzeugter Landespolitiker, weil der Weg zur politischen Macht in Deutschland nur über die Landesregierungen führe. Jetzt wird er mit 32% die mit Abstand stärkste Fraktion in der Opposition führen. Das ist das letzte Etappenziel der Oststrategie. Danach kommt nur noch die Ministerpräsidentschaft. Dieses letzte Etappenziel wurde nun in Thüringen erreicht. Ob die Oststrategie aufgeht, das wird sich in den nächsten fünf Jahren entscheiden. Für Höcke fällt bald das Urteil über sein Lebenswerk.