Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) untersuchte das Ausmaß der Kooperation zwischen den Altparteien und der AfD auf kommunaler Ebene in Ostdeutschland. Bei 20 Prozent der gestellten Anträge konnte eine Unterstützung anderer Parteien nachgewiesen werden.
Die Forscher des WZB untersuchten 2452 Sitzungen, in denen die AfD insgesamt 2348 Anträge einbrachte. In 484 Fällen konnten die Forscher nachweisen, dass inhaltliche Zusammenarbeit mit der AfD stattfand, bei der mindestens ein Abgeordneter außerhalb der AfD einem AfD-Antrag zustimmte. In 244 dieser Fälle, also etwa 10 Prozent, unterstützten sogar mindestens fünf Nicht-AfD-Abgeordnete einen Antrag der AfD. Fälle, bei denen die AfD als Mehrheitsbeschaffer toleriert wurde, wurden trotz der entstehenden Abhängigkeit nicht als Kooperation gewertet, da die Unterstützung auch ohne Absprache erfolgt sein könnte.
Regionale und inhaltliche Unterschiede
Es zeigen sich deutliche regionale Unterschiede, jedoch sind es nicht zwingend die Regionen mit der stärksten AfD-Präsenz, in denen die meiste Zusammenarbeit erfolgt. Dort scheint die Sorge vor einer künftigen Dominanz der AfD die Altparteien disziplinierter kämpfen zu lassen. Die höchste Kooperationsrate wurde in Sachsen-Anhalt verzeichnet, wo 27 Prozent der AfD-Anträge von anderen Parteien unterstützt wurden. In Sachsen lag dieser Wert bei etwas über 22 Prozent, während Thüringen mit 16 Prozent die niedrigste Kooperationsrate aufwies.
In ländlichen Gebieten kooperieren Parteien häufiger mit der AfD als in städtischen Regionen. In den Landkreisen kam es bei 26,5 Prozent der AfD-Anträge zu Zusammenarbeit, während dies in kreisfreien Städten nur bei 16 Prozent der Fälle der Fall war.
Die Kooperationen bezogen sich oft lediglich auf Themen wie Verkehr, Sport, Kultur oder den Haushalt. Bei kritischen Themen wie der Einwanderungspolitik kam es vermutlich aus Sorge vor bundesweiten Schlagzeilen seltener zu Zusammenarbeit.
Demokratiefeinde diskutieren die Brandmauer
Die Forscher des WZB werteten die lediglich 20 Prozent als Erfolg, müssen allerdings selbst eingestehen, dass die Brandmauer künftig stark gefährdet ist. Folgende drei Optionen, die die Wissenschaftler im Umgang mit der AfD vorschlagen, sind besonders interessant:
Erstens das sogenannte „Muddling through“, wobei die bisherige Praxis bestehen bleibt und trotz Ablehnung durch Parteiführungen gelegentlich Kooperationen mit der AfD auf Kreisebene stattfinden. Diese Vorgehensweise könnte die Normalisierung der AfD fördern und zu mehr Kooperationen auf höheren Ebenen führen, obwohl die Brandmauer in den meisten Fällen hält.
Zweitens die Praxisanpassung, bei der die Brandmauer noch konsequenter umgesetzt wird, was jedoch unwahrscheinlich ist, da sie trotz klarer Beschlüsse schon jetzt durchbrochen wird. Eine starke gesellschaftliche Mobilisierung könnte den Druck erhöhen, aber es bleibt die Möglichkeit, dass Kooperationen inoffiziell weitergehen.
Drittens die Neujustierung, mit einer Aufrechterhaltung der Brandmauer in bestimmten Bereichen und einer Lockerung in unwichtigeren Themen. Dies könnte die Umsetzung erleichtern und die AfD in weniger kontroversen Bereichen wie Infrastruktur einbeziehen, während bei Themen wie Asyl und Migration strikt geblieben wird. Jedoch besteht das Risiko, dass diese Flexibilität zu weiteren Kooperationen in sensiblen Bereichen führt.
AfD muss sich strategisch positionieren
Die AfD muss jede dieser Strategien analysieren und eine eigene klare Position entwickeln. Kooperationen bieten die Chance, die Brandmauer zu durchbrechen und Zwietracht im Lager der Altparteien zu säen. Die Studie zeigte auch, dass es bei mehr Anträgen auch zu mehr Kooperationen kommt. Liegen inhaltlich wertvolle Anträge der AfD vor und der Konkurrenz gelingt es nicht, mit eigenen Vorschlägen zu kontern, entsteht besonders auf kommunaler Ebene ein hoher Druck, im Sinne der Bürger eine pragmatische Lösung zu finden. Sollte dies jedoch aufgrund der Brandmauer verhindert werden, müssen diese Fälle skandalisiert werden. Unter dem Strich darf die Zusammenarbeit jedoch nicht unter Preisgabe der eigenen Positionen oder durch Distanzierung von Akteuren des eigenen Lagers erfolgen. Die türkis-blaue Koalition in Österreich aus dem Jahr 2017 ist ein gutes Lehrstück. Das Mitregieren kann zeitweise strategische Vorteile bringen, aber am Ende entscheidet doch immer die Metapolitik, wie der Ibiza-Skandal eindrucksvoll bewies. Der Wahlerfolg bei den jüngsten Kommunalwahlen in Ostdeutschland bietet eine große Chance, zu beweisen, dass man die Lektion verstanden hat.