Libyen: Neuer Bürgerkrieg droht und mit ihm neue Asylanten

Libyen kommt seit dem Sturz Gaddafis 2011 nicht mehr zur Ruhe. Libyen ist auch eine der Durchgangsrouten für Migranten über das Mittelmeer. Jetzt droht der schwelende Konflikt erneut zu eskalieren und mit ihm die Asylwellen.

Libyen ist einer der Ausgangsorte für die Bootsmigration über das Mittelmeer nach Europa. Über 45.000 setzten 2023 direkt von der libyschen Küste nach Italien über. Da man das benachbarte Tunesien auf dem Landweg nur über Libyen oder Algerien erreichen kann, muss noch ein guter Teil der über 100.000 Migranten, die von der tunesischen Küste aus aufbrachen, durch Libyen gekommen sein.

Ein gespaltenes Land im Kreuzfeuer der Großmächte

Libyen ist infolge mehrerer Bürgerkriege seit dem Sturz von Gaddafi ein gespaltenes Land. Während die international anerkannte „Regierung der Nationalen Einheit“ in der Hauptstadt Tripolis sitzt, beherrscht eine andere Fraktion unter dem greisen General Khalifa Haftar weite Teile des Landes. Wie in anderen Krisenherden dieser Tage vermischen sich lokale Konflikte mit den geostrategischen Interessen der Großmächte. Der libysche Bürgerkrieg ist nicht nur, aber auch ein Stellvertreterkrieg, in dem, grob gezeichnet, der Westen und die Türkei die Regierung der Nationalen Einheit unterstützen und die Russen die Fraktion um General Haftar.

Kommt die „instabile Stabilität“ an ein Ende?

Die letzten drei Jahre waren von dem geprägt, was Beobachter die „instabile Stabilität“ nannten. Nun, nachdem es erst so aussah, als ob die verfeindeten Parteien sich auf einen von den Vereinten Nationen vermittelten Kompromiss einlassen würden, droht der Konflikt in die nächste Runde zu gehen. Haftars Truppen, die 2020 beim Versuch, Tripolis zu erstürmen, eine Niederlage erleiden mussten, sind mit neuen russischen Waffen ausgerüstet. Derweil gibt es scharfe Gegensätze zwischen der Regierung der Nationalen Einheit unter Premierminister Abdul Hamid Dbeibah und dem Gouverneur der Zentralbank, Saddik al-Kabir. Wer zahlt, schafft an, und cash is king. Beides gilt erst recht in einem Bürgerkriegsland. Deswegen streiten sich die beiden um den Zugriff auf die Reserven der Zentralbank. Als Reaktion auf den jüngsten Versuch der Regierung der Nationalen Einheit, al-Kabir abzusetzen, indem man bewaffnete Männer in sein Büro schickte, ließ General Haftar weite Teile der Ölproduktion des Landes lahmlegen, einer der wenigen verbliebenen Devisenquellen nach über einem Jahrzehnt des Chaos. Durch die Schließung der Zentralbank blieben Beamtengehälter unbezahlt, und das Land steht vor der Gefahr des nächsten offenen Bürgerkrieges.

Im Kriegsfall sind Migrationsabkommen nicht mehr das Papier wert

Da Europa sich selbst in einem Rechtssystem gefesselt hat, das es fast unmöglich macht, Migranten abzuweisen, die einmal europäischen Boden oder auch nur das Deck eines europäischen Rettungsschiffs betreten haben, setzt die europäische Migrationspolitik, sofern sie illegale Migration überhaupt bekämpft, auf auswärtige Staaten als Türsteher. Gaddafi war so ein Türsteher. Seit seinem Sturz gibt es immer wieder Versuche, hier zu neuen Übereinkünften zu kommen. Manchmal sind diese Versuche auf dem Papier zumindest von Erfolg gekrönt. So konnte 2017 ein gemeinsames Memorandum mit Libyen unterzeichnet werden. Im Falle eines erneuten offenen Bürgerkrieges dürften diese Abkommen aber endgültig nicht mehr das Papier wert sein.

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