Korsika: Für einen identiären Nationalismus

In Korsika wurden Gespräche über die Autonomie aufgenommen. Nach jahrelangen, auch bewaffneten Kämpfen scheint Frankreich eine neue Seite in seiner Geschichte aufzuschlagen, trotz früherer Versuche, die sehr schnell gescheitert waren. – ein Kommentar von Matisse Royer


Korsika hat in seiner Geschichte immer bewiesen hat, dass es seiner Zeit voraus war; als erstes christliches Land in Europa war es auch die erste moderne Republik. Aus diesem Grund war Pasquale Paoli [1725-1806; korsischer Revolutionär der erst gegen Genua, dann gegen Frankreich kämpfte]der Gründergroßvater der amerikanischen Nation.


Der „Nationalismus“, den diese europäischen Regionen tragen, ist nicht eine Folge der Schwächung Frankreichs. Vor dem Krieg war Frankreich die Macht eines Kolonialreichs, das auch diese Völker geschmiedet hat, und dennoch gab es eine Opposition gegen die Französisierung, insbesondere durch die Zeitschrift Peuples et frontières, deren Untertitel „revue […] sur les nationalités d’Europe occidentale“ lautete. Es gibt ein hochpolitisches Problem, eine repressive Haltung, die, wie es scheint, dem Zentralstaat lieb und teuer ist und die mechanisch zu einer Radikalisierung des Kampfes führt. Wir kämpfen für den Atem unserer Nationen.

Der Motor der französischen Politik gegen uns ist der Nationalroman. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Mythen und Interpretationen, die auf der Erinnerungsebene ein historisches Konstrukt bezeichnen, das eine kollektive Identität formt. In diesem narrativen Konstrukt werden bestimmte Ereignisse hervorgehoben, andere werden nicht thematisiert oder oft verfälscht. Objektiv betrachtet ist Frankreich eine Ansammlung von gallischen Völkern mit romanischer Kultur, deren Eliten fränkisch waren. Die französische Nation wurde von einem Staat geschaffen. Der französische Imperialismus, unterstützt durch militärische Macht, ermöglichte es dem Staat, immer mehr verschiedene Völker in seinen Reihen zu haben, zunächst europäische und später außereuropäische. Aufgrund seiner Geschichte ist es schwer zu bestimmen, wann Frankreich entstanden ist, es war immer ein widersprüchliches Schauspiel. Frankreich ist von einem wesentlichen Chaos geprägt.


Aus diesem Grund sind unsere Nationen [die Nationen, welche der französische Staat sich im Verlauf seiner Geschichte einverleibt hat, Korsen, Basken, Bretonen, Okzitanier] dem französischen Aufbau fremd. Sie tauchen in der französischen Geschichte auf, weil sie aufgrund der französischen Eroberungen ins europäische Tiefenbewusstein gerückt wurden. Es gibt keine spezifischen Verbindungen zwischen ihnen, die Europa allein nicht direkt begründen könnte. Tatsächlich ist das Bindeglied zwischen den Nationen, die den französischen Verwaltungsstaat bilden, Europa. Daher ist das, was offiziell als Begriff der Nation angegeben wird, keine erklärende, sondern eine rechtfertigende Formel. Diese Erinnerungsbrüche führen zu einer existenziellen Krise: Frankreich und seine „Einheit“ fühlen sich von Kritikern bedroht. Wir verstehen nun besser, warum die Autonomie Korsikas eine solche Verbitterung hervorruft. Der fragile Nationalroman schafft maßgeschneiderte Wahrheiten. Klare Definitionen würden Illusionen aufdecken, also braucht es schwankende und vage Formulierungen. Es hat etwas Komisches, wenn diese Realitäten auf unveränderlichen Grundlagen erarbeitet werden. Wie blind muss man sein, um in diesen instabilen Ausdrucksformen des existenziellen Chaos den Ausdruck eines höheren Prinzips zu finden?


Diese Brüche nehmen in der Gesellschaft eine herausragende Stellung ein, die mit der anderer europäischer Länder nicht zu vergleichen ist. Mindestens seit 1789 ist Frankreich ein administratives Konzept, eine einfache Gruppierung von Individuen, die unter derselben Verwaltung leben. Tatsächlich werden ethnische Realitäten verleugnet, insbesondere mit der Konzeption des sehr stark zentralisierten Nationalstaats, in dem ethnische Minderheiten verachtet werden. Auf diese Weise wird ein regelrechter bürgerlicher Nationalismus aufgebaut, der gegen uns errichtet wird. Erstens, weil Frankreich aufgrund der französischen Einheit zu einem großen Teil zum Verlust unserer Sprachen geführt hat. Zweitens, weil Frankreich dank dieser Frankophonie eine Kolonisierung seiner ehemaligen Kolonien erfährt, die zu unserem Verschwinden als Europäer führt. Ein Volk wird nicht durch eine Ansammlung frankophoner Individuen gebildet.


Manche mögen unsere Analyse für streng halten, aber das ist sie nicht. Der nicht-chauvinistische Franzose ist nicht unser Feind. Natürlich ist es nicht unser Ziel, die französische Einheit zu zerstören, aber sie erscheint uns fremd. Der französische Patriotismus hat keinen Platz in unseren Völkern. Darüber hinaus ist der Nationalroman eine Indoktrination der Propaganda, die vor allem aus der Dritten Republik stammt. So kann uns dieser Patriotismus nicht nur als fremd erscheinen, sondern auch als ein Konstrukt, das darauf abzielt, uns zu verleugnen. Wir wehren uns daher gegen die Raubzüge seines Universalismus und seines staatsbürgerlichen Nationalismus. Die Republik ist „universell“, aber unsere Nationen sind es nicht. Außerdem, wie könnten sie es sein? Wir haben keinen Staat. Wir wissen durch unser Blut, wer wir sind.


Wir unterstützen eine identitäre Rückeroberung auf allen Ebenen, insbesondere auf europäischer Ebene, wo wir angesichts einer ethno-blinden Europäischen Union ein europäisches Europa und damit eine natürliche Einheit unter Europäern verteidigen.
Ein Teil der Frage spielt sich in der institutionellen Frage ab, das ist eine Besonderheit unseres Kampfes im französischen Rahmen, die es bei den Deutschen nicht gibt. Wir müssen autonom sein, und das bedeutet einen radikalen Paradigmenwechsel. Die Autonomie darf nicht auf der Grundlage des nationalen Romans erfolgen, sondern auf der Grundlage einer historischen Analyse, die mit den Geschichten unserer Völker im Einklang steht. Sie muss daher im Namen Europas erfolgen. Die Autonomie entspricht einem Gebot der Effizienz und dem Gebot der Anerkennung durch unsere Völker. Viel zu lange haben unsere Nationen auf dem Altar des französischen Imperialismus einen hohen Blutpreis gezahlt und dafür Verachtung erfahren. Die französischen Regierungen, die zum Niedergang unserer Völker beigetragen haben, sind die Hauptverantwortlichen für den Wunsch nach einem Bruch. Heute dürfen wir nicht die falschen Prioritäten setzen, unser institutioneller Status ist ein Ergebnis, nicht eine Ursache. Wir kämpfen nicht für einen administrativen Status, sondern für eine konkrete Realität. Wir stellen nicht die Sezession als Kampfargument auf, weil wir nicht die Mittel haben, dies zu behaupten, weil wir uns im Niedergang befinden. Unser Kampf ist ein ethno-identitärer Kampf.

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