Reichelt muß draußen bleiben!

Julian Reichelt ist gefährlich, denn er weiß, was er tut. Er versucht, die AfD zu spalten und sie für den Krieg im Nahen Osten in Geiselhaft zu nehmen. Dafür verspricht er Regierungsbeteiligung. So ein Irrsinn darf keinen Fußbreit Boden bekommen. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen.

Julian Reichelt hat offenbar ein Problem mit Höckes Haaren. Oder mit der Art, wie Höcke sich durch die Haare fährt. Reichelt muss dabei an Adolf Hitler denken. Zu solchen Problemen hat Höcke vor nicht allzu langer Zeit einmal einem anderen Journalisten die einzig richtige Antwort gegeben.

Der Rest von Reichelts jüngsten Auswürfen dürfte leider auch den besten Therapeuten überfordern. Und wenn es auch Wahnsinn ist, so hat der Wahnsinn Methode. Reichelt weiß, was er da tut. Er versucht einmal mehr, die AfD über die Fata Morgana der Anschlussfähigkeit zu spalten: als wäre noch niemand auf diese Idee gekommen, dass die AfD ohne Björn Höcke eine Regierungsbeteiligung angeboten bekäme. Der Gedanke ist nicht neu. Und er war immer schon falsch. Drei Parteiführungen der AfD haben über diese Milchmädchenrechnung die Macht verloren. Es gibt keine AfD, die dem Parteienkartell genehm wäre! Es gibt in Deutschland 14 Landtage mit AfD und ohne Björn Höcke. Wenn die Union das Bündnis mit einer AfD ohne Höcke wollte, dann könnte sie in irgendeinem dieser Landtage die Koalition mit der AfD suchen. Es gäbe wohl keinen schwereren Schlag gegen Höckes Stellung innerhalb der AfD! Trotzdem tut sie das nicht. Stattdessen gibt es fünf Landesregierungen, in denen die Union mit den Grünen koaliert.

Außerdem gibt es keine Repräsentationslücke im deutschen Parteiensystem für eine weichgespülte AfD. Welche Wahlchancen eine CDU der 80er Jahre hätte, sieht man an der Werteunion, oder den Liberal-Konservativen Reformern, oder der Blauen Partei und all den anderen. Mit wem hat eigentlich die Werteunion vor einiger Zeit fusioniert? Mir ist es ernsthaft entfallen und ich werde es nicht nachschlagen.

Reichelt verspricht eine Chimäre, die Chimäre einer Welt, in der die AfD gemeinsam mit der CDU regiert und die Grünen hinter der Brandmauer schmoren. Die Vorstellung allein ist grotesk. Die Grünen sind ein unverzichtbarer Bestandteil des gegenwärtigen Parteienkartells, und dieses Kartell wird die Union nicht aufgeben, es sei denn, man zwingt sie dazu. Eine solche Chimäre soll sich der Weidelflügel mit einer parteiinternen Säuberung erkaufen. Es ist klar, was die Folgen wären: ein Bürgerkrieg in der Partei. AfD bei zehn Prozent, wenn überhaupt. Und eine Unionsregierung mit SPD oder Grünen. Und Reichelt weiß das.

Was Reichelt bis hierher gesagt hat, ist grob falsch, aber es sind die Fehler eines liberal-konservativen Lagers innerhalb der deutschen Rechten, das seine Daseinsberechtigung hat, vor allem auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Ich halte auch wenig von der gegenteiligen Vorstellung, die ja auch einige vertreten, dass man nur die Liberal-Konservativen endlich loswerden müsse, und dann werden wir Deutschland schon retten. Die AfD ist eine Partei, die in normalen Zeiten, in denen man sich über Steuersätze und Sozialversicherungsbeiträge streitet, mindestens zwei Parteien wäre. Daraus erwachsen eine Reihe interner Spannungen. Diese Spannungen sind auszuhalten. Ein Bundesvorstand hat die Aufgabe, diese Spannungen zu moderieren.

Eine einzige Säuberung reicht Reichelt aber nicht. Nach Höcke soll es sämtliche Leute treffen, die er als antisemitisch einstuft, und das ist bei Reichelt jeder, der die derzeitige israelische Regierung nicht unterstützt: „Rechte Parteien in Europa, besonders in Deutschland, aber in ganz Europa, können nur als Schutzmacht des jüdischen Lebens und eiserner Verbündeter Israels [sic!] Erfolg haben. Benjamin Netanjahu ist der wohl klügste und erfolgreichste Rechte der politischen Welt. Wer sich, getrieben von Weltverschwörungsmythen, gegen dieses Volk stellt, das den Überlebenskampf unserer Kultur am beeindruckendsten, klügsten, lebensfrohesten und entschlossensten führt, wird niemals regieren können.“ Im Folgenden beschuldigt Reichelt dann auch noch alle anderen Parteien des Antisemitismus, und da diese ja mit Ausnahme des BSW alle schon einmal regiert haben oder gerade regieren, widerlegt er selbst seine gerade getätigte Aussage.

Doch dieser Teil von Reichelts Programm ist weit gefährlicher als alles Vorgehende zusammengenommen! Reichelt stammt aus der Blase des Springer-Konzerns, in welcher die Loyalität gegenüber Israel das Alpha und Omega der politischen Moral darstellt. Was er will, ist eine Rechte, die für die israelische Regierung den Cheerleader macht.

Man muss sich nur einmal die derzeitige israelische Regierung anschauen, um zu sehen, in welche Katastrophe das führt. Reichelt will ja gerne, dass man lobende Dinge über den jüdischen Staat sagt, und ich bin gewillt, ihm diesen Gefallen zu tun: In Israel kommt es durchaus vor, dass auch hochrangige Politiker wegen Korruption ins Gefängnis gehen. So erging es Netanjahus früherem Rivalen Ehud Olmert, der seinerzeit eine Haftstrafe wegen Bestechlichkeit absitzen musste. Sich nicht erinnern können half ihm nichts.

Dasselbe droht Benjamin Netanjahu, dem Mann, den Reichelt als den klügsten und erfolgreichsten Rechten der Welt hochlobt. Der hat sich vor massiven Korruptionsvorwürfen, nach einer Periode der politischen Instabilität und einer Reihe von Neuwahlen, zurück in das Amt des Ministerpräsidenten gerettet. Dazu hat er eine Koalition gebildet, die trotz der sieben Parteien, aus denen sie besteht, gerade einmal 64 der 120 Sitze in der Knesset kontrolliert. Nach dem Ausbruch des gegenwärtigen Krieges gab es zwar ein Kriegskabinett, in welches auch Vertreter der Opposition eintraten. Dieses löste Netanjahu aber wieder auf, nachdem der Oppositionsführer Benny Gantz von seinem Posten zurückgetreten war und Neuwahlen gefordert hatte.

Netanjahu ist abhängig von seinen Koalitionspartnern, nicht nur politisch, sondern auch persönlich. Die Partner, die er da gesammelt hat, sind zum erheblichen Teil religiöse Fanatiker. Man muss einmal gesehen haben, wie der derzeitige Finanzminister Bezalel Smotrich von seinen Plänen zur Eroberung nicht nur der verbliebenen Palästinensergebiete schwärmt, sondern des Libanon, Syriens, Jordaniens, Teilen Ägyptens, Teilen des Iraks und Teilen Saudi-Arabiens. Mit verzücktem Blick erzählt er einer Reporterin von einer Prophezeiung, dass die Stadt Jerusalem allein einmal bis Damaskus reichen werde. Wäre Israel ein Land mit einem gesunden politischen System, Smotrich würde in irgendeinem Stadtpark Ansprachen vor 20 Anhängern halten, aber dieser Mann ist Finanzminister.

Netanjahus „Sie-kommen-aus-dem-Gefängnis-frei“-Regierung liefert jeden Tag neue Greuelbilder in alle Welt. Mit diesem Regime will Reichelt die deutsche und europäische Rechte gemein machen. Dass Macron, der ein eiskalter Machtmensch ist, den Israelis die Unterstützung entzieht, kommt nicht von ungefähr. Macron weiß, dass die Öffentlichkeit in ihrer breiten Mehrheit genug Bilder zerfetzter Kinder gesehen hat. Vor allem weiß er, dass die israelische Regierung inzwischen völlig unberechenbar ist. Dieser Tage gerade schwören sich die religiösen Fundamentalisten in Netanjahus Kabinett auf die ethnische Säuberung des Gazastreifens und seine Besiedelung durch israelische Siedler ein. Wenn Israel damit Ernst macht, dann waren alle bisherigen Kriegsverbrechen nur ein Vorspiel. Die „anderen Länder“, in die der israelische Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir Millionen Palästinenser verfrachten will, wären übrigens unsere, die Länder der Europäer. Julian Reichelt hätte dann wenigstens genügend Anlässe, sich über wachsenden Antisemitismus auf deutschen Straßen aufzuregen. Ben-Gvir wurde in seiner Jugend übrigens als Extremist von der Armee ausgeschlossen. Heute ist er Minister, und das liegt nicht daran, dass er seine Ansichten geändert hätte. Israel hat sich verändert. Mit solchen Gestalten regiert Netanjahu! Für ihre Taten will Reichelt uns in Haftung nehmen!

In der Blase, in der Julian Reichelt lebt, wird dies alles bedingungslos unterstützt. Nur ist das eben eine Blase. Es gibt, anders als Reichelt suggeriert, in Deutschland keinerlei Mehrheiten dafür, Mehrheiten rechts der Mitte schon gar nicht. 2023 lehnten 56 Prozent der Deutschen eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel ab. Nur 37 Prozent stimmten zu. Wie sieht es nach Parteizugehörigkeit aus? Militärische Unterstützung Deutschlands für Israel wird, stand August 2024, überhaupt nur noch von 19 Prozent der Deutschen befürwortet, ganze 68 Prozent lehnen sie ab. Diese Daten liegen auch nach Parteipräferenz aufgeschlüsselt vor: Die geringste Unterstützung für Israel gibt es aus den Reihen der AfD mit 12 Prozent Zustimmung und 80 Prozent Ablehnung. Die höchste haben ausgerechnet die Grünen. 27 Prozent aller Grünen stimmen militärischer Hilfe für Israel zu, 62 Prozent lehnen sie ab. Die Anhänger der CDU/CSU liegen mit 21 Prozent Zustimmung und 68 Prozent Ablehnung dazwischen. 21 Prozent ist auch der Anteil der Deutschen, der das Vorgehen Israels im Gazastreifen noch für angemessen hält; im März dieses Jahres waren es noch 28 Prozent.

Der Mann, der der AfD rät, Höcke abzusägen, um anschlussfähig zu werden, vertritt selbst eine Position, die bei den Wählern auf harte Ablehnung stößt. Diese Position ist aber gerade bei der Partei noch am anschlussfähigsten, die Reichelt zum Sündenbock für die Verfehlungen aller Altparteien machen will: den Grünen.

Jetzt könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass das nur ein Krieg zweieinhalbtausend Kilometer entfernt ist. Wenn Reichelt sich da hineinsteigert, was tut das zur Sache? Man kann sich ja durchaus eine gewisse Indifferenz beim deutschen Wähler darüber wünschen, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen. Nur ist das Steckenpferd von Reichelt und seinesgleichen eben keine Schrulle, sondern sie beklatschen die Tötung von zehntausenden Zivilisten, die zum Mindesten an der Schwelle zum Völkermord steht. Da ist die Forderung nach Indifferenz ein wenig viel verlangt. Ein Publikum, das täglich die Greuelbilder vor sich sieht, wird diese Indifferenz nicht aufbringen. Das ist kein moralischer Wunsch. Das ist eine politische Tatsache.

Jede Führungsperson in der Rechten, ob innerparteilich oder außerparteilich, muss sich klarmachen, dass die Rechte sich zerreißen wird, wenn Netanjahus Cheerleaderteam erlaubt wird, bei uns Fuß zu fassen, nur weil diese Leute jetzt Merkel kritisieren, die längst nicht mehr im Amt und damit ein wohlfeiles Ziel ist. Wenn Reichelt unverbrüchliche Treue für Netanjahu einfordert, dann wird die schiere Macht der Bilder aus dem Gazastreifen eine Gegenreaktion unvermeidlich machen. Es ist übrigens völlig illusorisch zu glauben, dass irgendwer diese Gegenreaktion im Griff haben wird; sie wird sich organisch entwickeln und wenig Rücksicht auf strategische Pläne irgendwelcher rechter Akteure nehmen. Aus letzterem Grund, mehr als aus allen anderen, muss Reichelt draußen bleiben.

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