Im Englischen gibt es den Ausdruck „Eine unaufhaltsame Kraft trifft auf ein unbewegliches Objekt“. Das trifft gut das Verhältnis zwischen ÖVP und FPÖ, die jetzt eine Koalition bilden sollen. – Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen.
Die FPÖ war im letzten Jahr eine unaufhaltsame Kraft. Sie wurde vom Rechtsruck, der alle westlichen Gesellschaften erfasst hat, nicht nur nach oben getragen, sie hat tatsächlich verstanden, die Welle zu reiten. Bisher! Herbert Kickl hat die Partei nach dem Ibiza-Putsch wieder nach vorne gebracht.
Wir erinnern uns: Die ÖVP-FPÖ-Koalition unter Sebastian Kurz wurde 2019 durch einen bis heute nicht aufgearbeiteten Geheimdienst-Putsch gesprengt. Der damalige Vizekanzler und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache war durch den inzwischen wegen Kokainhandels sowie Urkundendelikten verurteilten Julian Hessenthaler in die berüchtigte Villa auf Ibiza gelockt worden, unter dem Vorwand, dort eine angeblich reiche Erbin zu treffen, welche die FPÖ unterstützen wolle. Die Aufnahmen des Gesprächs, das mindestens unter Alkoholeinfluss stattgefunden hat, bei dem man angesichts der Verurteilung Hessenthalers aber annehmen muss, dass noch etwas anderes in den Getränken war, wurden bundesdeutschen Medien, dem Spiegel und der Süddeutschen Zeitung zugespielt und über diese Bande die österreichische Regierung gestürzt. Dass ein hergelaufener Rauschgiftkrimineller nicht aus Spaß Kompromat über einen Politiker anfertigt, sollte eindeutig sein. Die Hintermänner dieses Putsches wurden aber niemals ermittelt, geschweige denn zur Rechenschaft gezogen. Hessenthaler ist inzwischen verurteilt, ist aber mit dreieinhalb Jahren gut davongekommen. Bis zu fünfzehn wären möglich gewesen. Auch wurde er nicht für eine Tat verurteilt, die im direkten Zusammenhang mit dem Ibiza-Putsch steht. Die diesbezüglichen Ermittlungen gegen ihn wurden 2022 eingestellt.
Die Koalition FPÖ-ÖVP, wenn sie denn zustande kommen sollte – was, daran darf man erinnern, noch nicht sicher ist –, wird unter dem Schatten von Ibiza stehen. Denn von allen Möglichkeiten, die im Raum stehen, ist es immer noch am wahrscheinlichsten, dass die Hintermänner aus der Volkspartei stammten. Volkspartei ist die ÖVP nur noch unter den älteren Semestern, wohl aber ist sie, seit die SPÖ ihre dominante Position im Nachkriegsösterreich verloren hat, die Partei des Apparates geworden. Vor allem das Justizministerium war von 2008 bis zur Übernahme durch die Grüne Alma Zadić im Jahr 2020 die Pachtdomäne der ÖVP.
Als Partei der politischen Beamten und der Rentner ist die ÖVP das unbewegliche Objekt. Vor allem, wenn die Gerüchte sich bewahrheiten sollten, dass Christian Stocker keineswegs eine Übergangslösung ist, sondern auf absehbare Zeit der Chef der ÖVP bleiben wird – auch wenn Stocker jetzt auf einmal den Regierungsauftrag an Kickl begrüßt.
Die ÖVP hat tiefe Wurzeln im tiefen Staat der Republik Österreich. Sie hat von allen Parteien am meisten zu verlieren, wenn sich die österreichische Parteienlandschaft zugunsten der FPÖ verändert. Es wird auch weiterhin ein linkes Lager geben. Gott sei’s geklagt, aber dieses Milieu wird weiterhin existieren und – außer bei den ganz Jungen, die noch nicht so verfestigt sind – für die FPÖ auch kaum erreichbar bleiben. Die Grünen werden nicht verschwinden. Aber sie konkurrieren mit der FPÖ auch nicht um Wählerstimmen. Ein Stück weit ist sogar das Gegenteil der Fall: Ein Kanzler Kickl kann für die Linke zum Mobilisierungsfaktor werden. Die US-Demokraten haben das, unabhängig von den im Raum stehenden Vorwürfen des Wahlbetrugs, 2020 vorgemacht. Wie Trump wird auch Kickl als Hassfigur die Linken mobilisieren, da kann man nichts gegen tun, außer auf der Rechten noch stärker zu mobilisieren, indem man – anders als Trump – seine Wahlversprechen einhält.
Die ÖVP aber, wie die Unionsparteien in der Bundesrepublik, lebt von ihrer Rolle als Brandmauer gegen Rechts. Sie lebt von den Stimmen all derer, die keine linke Politik wollen, sich aber um das bürgerliche Ansehen sorgen. Ein Kanzler Kickl, der ja nicht nur aus der FPÖ kommt, sondern auch noch den rechten Flügel innerhalb der eigenen Partei repräsentiert, kann die FPÖ in den Augen von ÖVP-Wählern normalisieren und damit wählbar machen. Viel besser als ein Liberalkonservativer, der beständig versucht, nicht als rechts zu erscheinen, denn der bürgerliche Mensch folgt immer der normativen Kraft des Faktischen. Er wird einen ethnischen Volksbegriff und Remigration genauso akzeptieren wie Multikulti und die Genderpronomina, solange er das Gefühl hat, dabei mit der Normalität der Masse mitzuschwimmen. Deshalb waren die Bonzen der ÖVP auch alles andere als traurig, als nach Ibiza die Koalition platzte. Dass dabei ein gewisser Innenminister Kickl gehen musste, der angefangen hatte, sechzehn Jahre ununterbrochenen ÖVP-Filz im Innenministerium auszumisten, war ein sehr netter Bonus.
Man muss sich eines klarmachen: Wenn es jetzt zu einer Koalition zwischen FPÖ und ÖVP kommt, dann nur deshalb, weil der ÖVP bei Neuwahlen ein weiterer Absturz droht – aus keinem anderen Grund! Es wird eine Koalition aus zwei Partnern, die einander die Luft vor dem Munde fortatmen.
Die FPÖ würde bei Neuwahlen voraussichtlich noch einmal zulegen. Mit diesem Bewusstsein muss sie in die Verhandlungen gehen – in dem Bewusstsein, dass die ÖVP zur Zeit (!) sehr schwach ist. Sie ist deshalb sehr schwach, einmal, weil ihre Umfragewerte zurzeit deutlich unter ihrem letzten Wahlergebnis liegen, die der FPÖ deutlich darüber. Zum anderen deshalb, weil sie gerade einen Führungswechsel durchmacht. Der neue Obmann Christian Stocker sitzt noch nicht fest im Sattel – ja, es ist noch nicht einmal klar, ob er überhaupt bleiben soll.
Beides wird sich mit der Zeit ändern, und Koalitionsverträge sind nicht vor Gericht einklagbar. So sehr ich jeden verstehen kann, der nach den letzten sechs Jahren die ÖVP ausquetschen will, dass die Kerne quietschen, so sehr müssen der ÖVP genug Gründe gegeben werden, die Regierung auch dann aufrechtzuerhalten, sobald sie wieder zu Kräften gekommen sein wird.
Die Kunst für Herbert Kickl besteht nun darin, in den entscheidenden Punkten eisern, bei allem anderen in umgekehrtem Verhältnis zu einer Bedeutung großzügig zu sein.
Dabei sollten zwei Punkte von Anfang an außerhalb der Debatte stehen: Das Justizministerium UND das Innenministerium müssen an die FPÖ. Wenn die ÖVP irgendwo auf Staatskosten Freunderl unterbringen muss, gibt es dafür das Landwirtschaftsministerium. Das Freunderlunterbringen der ÖVP sollte man nach Kräften fördern, auch wenn es unappetitlich ist, solange diese Freunderl dann auf irgendwelchen Posten sitzen, auf denen ihre Gehaltskosten der einzige Schaden sind, den sie anrichten können. Eine stabile Regierung Kickl ist nicht im Parteiinteresse der ÖVP. Das kann man sich abschminken. Eine stabile Regierung Kickl kann aber sehr wohl im Privatinteresse jedes einzelnen ÖVP-Mitglieds liegen, das irgendetwas zu sagen hat. Idealerweise hätte jede dieser schwarzen Nullen einen Job, auf dem sie den ganzen Tag nichts tun und der sofort wegfiele, wenn die Regierung platzen sollte.
Innenministerium und Justizministerium sind keine Orte, an denen man diese schwarzen Nullen unterbringen kann. Sie sind unverzichtbar, um sich gegen einen zweiten Ibiza-Putsch abzusichern. Alle Politik ist Personalpolitik, deshalb müssen auf diese Ministerposten auch unbedingt Personen, die Erfahrung im Umgang mit der Verwaltung haben. Sonst tanzt ihnen die Bürokratie auf der Nase herum.
Wie man mit dem Ibiza-Putsch selbst umgehen soll, werden nur die Verhandlungsführer der FPÖ entscheiden können. Mit einem Partner wie der ÖVP kann es immer passieren, dass die Strafverfolgung hinter politischen Erwägungen zurückstehen muss. Das wird auch davon abhängen, wer aus der aktuellen Führung der ÖVP hier wie tief verstrickt ist. Auf keinen Fall sollte man sich aber auf irgendwelche Deals einlassen, die eine Wiederaufnahme des Falles verfahrensrechtlich unmöglich machen. Sollte man doch die Möglichkeit finden, die Ereignisse aufzuklären, dann wird man nur ein paar Bäume schütteln müssen – es wird schon etwas runterfallen. Dazu braucht es das Justizministerium. Wenig wäre so heilsam für das politische Klima in Österreich wie der Beweis, dass der Sturz einer Regierung durch kriminelle Mittel auch nach sechs Jahren noch verfolgt wird.
Nebenbei: Da Österreich und die Bundesrepublik beide Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, gilt das Auslieferungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 GG nicht. Aus diesem Grund genießt derzeit eine Person der Hammerbande, über deren Geschlechtszugehörigkeit ich mich aus juristischen Gründen nicht äußern werde, die ungarische Gefängnisküche. Es wäre zumindest einmal ein juristisches Gutachten wert, ob Spiegel und Süddeutsche Zeitung noch im Rahmen der journalistischen Meinungsfreiheit gehandelt haben, oder ob die Veröffentlichung nicht von Lockvogelmaterial schon die Beteiligung an einer staatsgefährdenden Straftat war.
Die Aussicht, nicht nur zu regieren, sondern sogar den Kanzler zu stellen, ist für jedes FPÖ-Mitglied großartig. Vor sechs Jahren wäre das utopisch erschienen. Zurecht hat jetzt niemand Verständnis für ewige Fundamentaloppositionelle, die sich auf der Oppositionsbank eingerichtet haben und überhaupt nicht regieren wollen, weil sie dann ja Wirklichkeit gestalten müssten, anstatt nur zu kritisieren.
Aber: Die FPÖ ist heute in der einzigartig günstigen Lage, dass die ÖVP sie mehr braucht als umgekehrt – nicht nur aufgrund des Wahlergebnisses, sondern weil Nehammers Versuch, um jeden Preis Kanzler zu bleiben, der ÖVP weitere Sympathien gekostet und die Partei intern ins Chaos gestürzt hat.
Diese Situation wird schneller vorüber gehen, als lieb sein kann. Es gilt sie klug auszunutzen. Unnachgiebig bis zur Bereitschaft, die Verhandlungen platzen zu lassen, in allem, was wirklich wichtig ist. Generös in allem anderen.
Also: Innenministerium und Justizministerium oder Neuwahlen! Wenn diese beiden gesichert sind, dann sollte man Bildung und Kultur in Angriff nehmen, da dort über die Mittelverteilung an alle möglichen linken Vorfeldprojekte entschieden wird. Da man die ÖVP nicht nur mit unbedeutenden Ressorts abspeisen kann, wird man aus den Bereichen Finanzen, Äußeres, Arbeit und Wirtschaft sowie Verteidigung das eine oder andere abgeben müssen. Die Versorgungsanstalten schließlich kann die ÖVP haben.