Frustrationstoleranz ist eine begrenzte Ressource

Die Junge Alternative ist Geschichte. Der größte Schaden ist nicht der Verlust eines Vereins, sondern dass das Tauziehen um die JA Leute ausgebrannt und verbraucht hat.
– Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen

Wer den langsamen Tod der Jungen Alternative im letzten Jahr mitbekommen hat, wird eine Reihe guter junger Leute gesehen haben, die im letzten Jahr das Handtuch geworfen und sich ins Privatleben zurückgezogen haben. Es brauchte gar kein Parteiausschlussverfahren. Sie gingen freiwillig. Es sind diejenigen, die einen Beruf, oft einen guten Beruf außerhalb der Politik haben. Ironischerweise sind es also gerade diejenigen unter den jungen Menschen, die über die vielbeschworene Berufserfahrung verfügen, die hier vergrault wurden.

Was geht hiermit verloren? Der Kern jeder politischen Bewegung, erst recht jeder Partei, besteht aus denjenigen, die nicht nur dafür, sondern auch davon leben. Das als Verrat an der Reinheit der Ideale zu beklagen ist weltfremd. Dann gibt es die normalen Mitglieder, die ihre Beiträge bezahlen und hin und wieder auf Veranstaltungen auftauchen. Zwischen beidem gibt es aber noch eine dritte Art von Mitglied in einer politischen Partei: den engagierten Amateur, der einen Gutteil seiner Freizeit in die politische Arbeit steckt, für den das aber am Ende des Tages eben eine Freizeitbeschäftigung ist. Das heißt vor allem: Er kann sich auch eine andere Freizeitbeschäftigung suchen.

Wie im Sport macht diese Gruppe der engagierten Amateure den Unterschied zwischen einer lebendigen Szene und einem bloßen Betrieb aus. Es sind diese engagierten Amateure, die einen guten Teil der Veranstaltungen organisieren, ohne die das soziale Leben einer Partei nicht existieren würde – von Weihnachtsfeiern über Wanderungen bis zu Konferenzen.

Gleichzeitig sind diese engagierten Amateure die Talentbank. Diese ist in der Politik noch viel wichtiger als im Profisport, und zwar deshalb, weil das Regieren eine Reihe von personellen Anforderungen mit sich bringt, die in der Opposition einfach nicht benötigt werden und die deshalb auch nicht vom stehenden Berufspolitikerstamm einer Partei abgedeckt werden können.

Ein Beispiel: Ein Bekannter von mir ist einer derjenigen, die im Verlauf des letzten Jahres frustriert gegangen sind. Dieser Mann arbeitet bei der Deutschen Bahn und zwar nicht als Schaffner. Jetzt nehmen wir einmal an, dass die AfD in die Regierung kommt und im Koalitionspoker das Verkehrsministerium gewinnt. Damit hätte sie auf einmal die Bahn an der Backe. Wie will sie die Bahn reformieren, ohne irgendjemanden aus den eigenen Reihen, der weiß, wie dieser Saftladen von innen aussieht?

Das fundamentalste Problem jeder – und ich meine jeder – rechten Partei, die in den letzten zwanzig Jahren irgendwo an die Regierung kam, war, dass die Personaldecke an Leuten, die sowohl fachkompetent als auch politisch zuverlässig sind, extrem dünn ist. Der Grund dafür ist, dass man diese Leute in einer vom Parteienkartell ausgeschlossenen Oppositionspartei eben nicht in Lohn und Brot halten kann.

Wir reden viel vom Kartell der Altparteien. Der Ausdruck „Kartellpartei“ stammt von den Politikwissenschaftlern Richard Katz und Peter Mair, und das Kartell, das sie beschrieben haben, dient vor allem der materiellen Absicherung im Falle der Niederlage an der Wahlurne. Das Kartell sorgt dafür, dass auch die Opposition, solange sie eben Teil des Kartells ist, ihre Leute irgendwo unterbringen kann. Auch der Wahlverlierer bekommt irgendwo Posten und Pfründe. Irgendeine Stiftung oder ein Posten in einem halbstaatlichen Unternehmen wird sich schon finden. Das ist der Kern der Kartellabsprache. Wer außerhalb des Kartells steht, ist davon ausgeschlossen. Ihm bleiben als personelle Reservebank daher nur die engagierten Amateure.

Sie bleiben aber nur und opfern ihre Zeit, wenn sie das in irgendeiner Weise als eine erfüllende Beschäftigung empfinden.

Professionelle und Amateure erfordern zwei völlig unterschiedliche Arten der Menschenführung. Wer jemals eine führende Stellung in irgendeinem Verein innegehabt hat, weiß, dass es etwas völlig anderes ist, Menschen zu organisieren, die das alles freiwillig machen, als einem lohnabhängigen Untergebenen in einem Betrieb eine Anweisung zu erteilen.

Wer die Politik zu seinem Beruf gemacht hat, steht dabei in Lohn und Brot. Er wird um dieses Broterwerbs willen auch bereit sein, viel Unangenehmes zu dulden. Wenn es schlecht läuft, wird er, wie jeder Arbeitnehmer, abends schimpfen, am nächsten Morgen aber wieder zur Arbeit erscheinen. Auf der anderen Seite ist derjenige, der ihm in der Hierarchie der politischen Organisation vorgesetzt ist, in aller Regel auch tatsächlich sein Arbeitgeber. Dementsprechend hat dieser Vorgesetzte auch das volle Repertoire an Disziplinierungsmitteln eines Arbeitgebers gegenüber einem Arbeitnehmer zur Verfügung. Abgeordnete sind hier in einer Sonderstellung, weil es prinzipiell möglich ist, sich auch gegen den Willen einer Parteiführung auf einen guten Listenplatz wählen zu lassen. Matthias Helferich hat das kürzlich demonstriert. Wer das überhaupt nicht kann, ist hingegen ein Angestellter seiner Parteiführung mit Kündigungsfrist bis zur nächsten Wahl. Die meisten Abgeordneten bewegen sich irgendwo zwischen diesen Extremen.

Die Mitgliederbindung und Disziplinierung der engagierten Amateure verläuft hingegen nach ganz anderen Prinzipien. Monetäre Anreize fallen weg. Sie tun etwas, weil sie das persönlich als eine erfüllende Tätigkeit betrachten. Das ist nicht dasselbe wie Spaß. Aber wenn sie unangenehme Aufgaben übernehmen sollen, dann müssen sie irgendeinen anderen Wert darin erblicken und dieser Wert drückt sich eben nicht am Monatsende auf ihrem Konto aus. Die Disziplinierungsmittel der Führung sind gegenüber den engagierten Amateuren viel begrenzter als gegenüber den Professionellen. Im äußersten Falle kann man sie aus einer Organisation ausschließen. Aber man kann sie nicht feuern. Sie verlieren im schlimmsten Fall eine Freizeitbeschäftigung, nicht ihre Einkommensquelle.

Umgekehrt: Wenn die Führung will, dass die Amateure sich einbringen, dann kann sie ihnen nicht einfach einen Arbeitsauftrag erteilen. Die Tätigkeit muss für sie einen ideellen, aber auch – das wird immer übersehen, obwohl es simpelste Psychologie ist – einen sozialen Mehrwert haben: Die Partei oder die politische Organisation, für die der Amateur seine Freizeit aufwendet, muss ein lebenswertes Gemeinschaftsgefühl anbieten können.

Beides, ideellen wie sozialen Mehrwert zu schaffen, ist für die Führung gerade einer am Rande des politischen Systems stehenden Partei schwierig. Auch das gehört der Ehrlichkeit halber dazu. Denn eine solche Partei muss ein erhebliches Maß an Selbstverharmlosung betreiben, um Repressionsmaßnahmen keine unnötige Legitimation zu geben. Der politische Amateur, der eben viel weniger kontrollierbar ist als der Professionelle, ist aus dieser Perspektive ein Stör- und Risikofaktor.

Gleichzeitig besteht der bedeutendste Anreiz des politischen Amateurs dafür, sich überhaupt einzubringen, darin, dass die politische Organisation ihm auch einen sozialen Raum mit Gleichgesinnten bietet, in dem er sich frei ausdrücken kann. In dem er nicht fürchten muss, dass jedes falsche Wort der Personalabteilung gemeldet wird, wie das in seinem Beruf der Fall ist. Und ja, zu diesem freien Ausdruck gehört dann auch der kantige Spruch nach dem dritten Bier, bei dem es weniger erfreulich wäre, wenn ein eingeschleuster Reporter ein Mikrofon mitlaufen ließe. Auch ist der Amateur viel weniger bereit, inhaltliche Konzessionen aus Parteiräson, Koalitionsfähigkeit oder auch aus Angst vor dem Verfassungsschutz mitzutragen.

Vor allem aber: Die Frustrationstoleranz des engagierten Amateurs für das, was er als Parteiintrigen oder persönliche Machtspielchen wahrnimmt, ist eine sehr begrenzte Ressource!

Das ist eine politische Tatsache, mit der jeder hier in irgendeiner Weise Beteiligte rechnen muss. Eine Reaktion auf die Auflösung der Jungen Alternative, etwa von Benedikt Kaiser oder Daniel Fiß, bestand ja aus Aufrufen an eben diese Amateure, die Realitäten der innerparteilichen Politik anzuerkennen und einfach weiterzumachen.

Das Problem damit ist nicht, dass das falsch wäre, sondern darin, dass dieser Realismus ein halber Realismus ist. Es stimmt, dass eine Parteiorganisation, die es nicht fertigbringt, eigene Abstimmungsbataillone auf einen Parteitag zu schicken, untergebuttert wird. Darüber gibt es wenig zu reden.

Es stimmt aber genauso, dass die engagierten Amateure eben hinschmeißen, wenn man sie behandelt, als wären sie parlamentarische Mitarbeiter ohne andere berufliche Perspektive, die fressen müssen, was die Parteiführung ihnen vorsetzt. Wenn diese Leute der Partei den Rücken kehren und sich auf Twitter auskotzen, dann mag das apolitisch sein. Aber sie können das eben machen und das ist eine politische Tatsache! Diese Leute sind nicht von der Partei abhängig, und mir hat in den vergangenen Monaten mehr als einer, der diesen Weg gegangen ist, gesagt, dass sich dadurch seine Lebensqualität drastisch erhöht hat. Wer sie dafür ausschimpft, tut selbst, was er den Twitterkritikern des AfD-Bundesvorstandes vorwirft: Er redet gegen eine Wand, die es gar nicht nötig hat, ihn zur Kenntnis zu nehmen.

Was also tun? Ich bin kein Freund politischer Ratschläge, die Wunschvorstellungen sind und keinen realen Adressaten haben. Ich habe schon vor einem Monat gesagt, dass die Zukunft des politischen Engagements im Wesentlichen vom Zustand der jeweiligen Landesverbände abhängt. Auf Landesebene hängt auch mehr am ehrenamtlichen Engagement – deshalb ist hier der Anreiz direkter, sich um die Gruppe der engagierten Amateure zu kümmern.

Deshalb richtet sich dieser Aufsatz zum einen an Landespolitiker, sich noch einmal darüber klar zu werden, dass die Bereitschaft derjenigen, die Politik nicht zum Beruf gemacht haben, alles mitzutragen, sehr begrenzt ist und dass hier Moralpredigten wenig helfen.

Zum anderen richtet er sich an all die engagierten Leute, die etwas bewegen wollen. Bringt euch ein – aber dort, wo ihr nicht ausgebrannt werdet. Ich weiß, gerade wenn man frisch politisch aktiv geworden ist, hält man den eigenen Idealismus für grenzenlos, aber das ist er nicht. Ich denke, dass für die allermeisten dies ein Engagement in der Landespolitik bei einem Landesverband mit guter Führung und guten Leuten ist.

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