Am 8. Juli wurde der ehemalige japanische Premierminister Shinzo Abe das Opfer eines Attentats. Doch wer war Abe eigentlich und wie hat sich das Land der aufgehenden Sonne unter seiner Regierung entwickelt? Unser Gastautor hat versucht, diese Fragen für den „Heimatkurier“ zu beantworten.
Ein Gastbeitrag
Nach der katastrophalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg bildete sich die politische Landschaft Japans neu aus. Das Spannungsfeld, in dem diese Entwicklung stattfand, bewegte sich im Wesentlichen zwischen zwei Polen. Den Vorstellungen der Siegermacht USA, denen sich Japan fügen musste und welche nach der formellen Unabhängigkeit von der Besatzungsmacht 1952 zusehends an Einfluss einbüßten, sowie den Eigenheiten und Vorstellungen Japans führender Kreise, die im Gegensatz zu denen in Deutschland den militärischen Zusammenbruch verhältnismäßig unbeschadet überstanden hatten.
Die Partei von Abe
Die Liberaldemokratische Partei (LDP) ist seit ihrer Gründung 1955 mit zwei einjährigen und einer dreijährigen Unterbrechung die Regierungspartei des Landes. Die Partei verfügt im Vergleich zu anderen demokratischen Staaten über ungewöhnlich fähiges Führungspersonal. Dieses setzt sich größtenteils aus Wirtschaftsexperten und Wissenschaftlern mit Berufserfahrung und einem Cursus Honorum im Staat zusammen.
Ambivalentes Verhältnis zur USA
Der 1954 geborene Shinzou Abe war zwischen 2006 und 2007 sowie zwischen 2012 und 2020 LDP‑Premierminister des Landes der aufgehenden Sonne. Als solcher trat er in die Fußstapfen seiner Vorgänger und setzte eigene Akzente. Seine Familie hat eine tiefe Verwurzelung in der Politik beziehungsweise der LDP und spielte während des Zweiten Weltkrieges eine wichtige Rolle im Militär. Abes Vorgänger Jun’ichirou Koizumi (2001-2006) hatte bereits mit diplomatischen Noten und Gesten, wie etwa dem Besuch des Yasukuni-Schreins, einen nationalistischen Kurs eingeschlagen. Abe knüpfte daran an und besuchte ebenfalls den Schrein für gefallene japanische Soldaten, in dem auch die Namen der Vorfahren hoher japanischer Politiker zu finden sind. Damit stellten beide die in rechten Kreisen ohnehin eher zähneknirschend geduldete Einmischung der USA in das geschichtliche Selbstverständnis Japans in Frage.
Recht auf Kriegsführung
Außenpolitisch versuchte er ebenso wie Koizumi eine stabile Basis gegen das erstarkende China aufzubauen, sowie einen größeren japanischen Einfluss in Südkorea zu etablieren. Zu diesem Zweck förderte er auch das Militär und trieb die Aufrüstung Japans voran. Dies allerdings im Verbund mit den USA. Zugleich aber trat Abe für eine Veränderung der unter dem Einfluss der USA entstandenen Verfassung ein. Ein wichtiger Punkt seiner Änderung war, darin das Recht Japans auf Kriegsführung zu verankern.
Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik
Innenpolitisch versuchte der selbst kinderlose Abe die beängstigend niedrige Geburtenrate (7 Geburten auf 1000 Einwohner – 2020) des Landes mit staatlichen finanziellen Zuwendungen und einer an Paare gerichteten Werbekampagne anzuheben – zeugt mehr Kinder! Seine als „Abenomics“ bekannt gewordene Wirtschaftspolitik zielte auf die Erringung eines Kaufvorteils gegenüber dem Ausland, eine Stärkung der inländischen Wirtschaft sowie die Verbesserung der Position von Anlegern und Unternehmen ab. Um das zu erreichen, wurden die Geldmenge sowie die staatlichen Ausgaben erhöht, Steuersenkungen durchgeführt und der Markt schrittweise dereguliert. Damit sollte auch die Arbeitslosigkeit gesenkt und die Aufrüstung des Militärs finanziert werden.
Nationalstolz und Erinnerungskultur
Das Ergebnis seiner Politik kann nicht eindeutig betrachtet werden. Abe gelang es ohne Zweifel, Japans Nationalstolz aufzupolieren. Dieser hatte insgesamt weniger gelitten als der anderer Verlierer des Zweiten Weltkriegs. Auch bei außenpolitischen Vorfällen, wie dem Streit um die von Südkorea geforderte Anerkennung der Opfer von als Trostfrauen bezeichneten Zwangsprostituierten in der Kaiserlichen Japanischen Armee, konnte Abe im Unterschied zu vielen westlichen Politikern einen eindeutig patriotischen Standpunkt vertreten und diesen trotz heftigem Gegenwind aus Deutschland und beiden Koreas beibehalten.
Ambivalentes Ergebnis der Politik
Das japanische Militär, das bereits vor Abes Amtszeiten über eine beeindruckende Marine und eine technologisch äußerst moderne Panzerwaffe verfügte, wurde noch schlagkräftiger und leistungsfähiger. Erstmals seit 1945 beteiligten sich japanische Soldaten an Auslandseinsätzen. Die Geburtenrate konnte von 1,32 Kindern pro Frau allerdings nur geringfügig auf 1,42 Kinder angehoben werden und blieb damit weit unter den angestrebten 2,1 Kindern. Der sehr geringe Ausländeranteil von 0,7% sank bis zum Ende seiner Amtszeit auf 0,6% (99,4% ethnische Japaner aus Japan). Da seit Abe allerdings auch wieder eingewanderte ethnische Japaner (vor allem aus Brasilien, den USA und Kanada) als Ausländer gezählt werden, ist der Anteil ethnischer Nicht‑Japaner vermutlich noch weiter gesunken.
Sein Kurs gegenüber China und Nordkorea war spannungsgeladen, der zu den USA wechselvoll und von politischer Distanzierung und militärischer Annäherung geprägt. Die Beziehung zu Russland verbesserte sich, wenn auch zögerlich. Die Wirtschaft Japans konnte sich zwar durch Abes Maßnahmen erholen, dieser Erfolg wurde jedoch mit einer starken Verschuldung (ca. 250% des BIP) erkauft. Der japanische Staat belastete sich mit dem Kauf von Wertpapieren und der japanische Leitindex (Nikkei 225) brach zeitweilig ein.
Beisetzung im Schrein
Nach dem – offiziell aus unpolitischen Motiven durchgeführten – tödlichen Anschlag am 08.07.2022 durch einen ehemaligen Marineangehörigen, wurde Shinzo Abe im Zoujou‑ji‑Schrein beigesetzt. Dies ist insofern bedeutsam, als in diesem Schrein sechs Tokugawa-Shogune bestattet sind. Diese stammen aus jener Dynastie, die die Vereinigung Japans maßgeblich vorangetrieben und Japan zeitweilig von der Außenwelt abgeschottet hat.
Jetzt Asylmelder werden und die unsichtbare Invasion sichtbar machen!
Ihnen gefällt unsere Arbeit? Sie können den „Heimatkurier“ dauerhaft fördern oder einmalig unterstützen.