Wir haben den Publizisten Benedikt Kaiser zur aktuellen Lage befragt. Wie schätzt er die Chancen der Proteste im „heißen Herbst“ ein? Kommt eine „Querfront“? Worauf müssen sich die Organisatoren bei aller Unterschiedlichkeit besinnen? Was ist die Aufgabe des rechten Milieus in der Krise? Wie können rechte Parteien daraus gestärkt hervorgehen? Wir haben die Antworten!
Heimatkurier: Herr Kaiser, in der Bundesrepublik erlebt das Schlagwort der „Querfront“ angesichts der Proteste gegen die Krisenpolitik der Regierung aktuell wieder Hochkonjunktur. Was steckt dahinter?
Benedikt Kaiser: „Querfront“ ist ein politischer Begriff für politisch motivierte Zusammenarbeiten über bestehende Lagergrenzen hinweg. Man kennt diesen Begriff in Theorie und Praxis seit den frühen 1930er Jahren. Eine Geschichte von damals bis in unsere Tage hinein habe ich im Büchlein „Querfront“ nachgezeichnet. In aller Kürze aber bedeutet Querfront: Man arbeitet – situativ oder grundsätzlich – „quer zu den Fronten“ zusammen.
Es ist richtig, dass der Begriff heute wieder verstärkt Verwendung findet. Das liegt nicht zuletzt an den „Spaziergängen“ in der BRD und dort konkret an der Angst der Mehrheitslinken, dass sich eine Minderheitslinke mit „rechten“ Zusammenhängen einlässt. Also dass beispielsweise Sympathisanten „linker“ und „rechter“ Parteien oder anderer Organisationen gemeinsam für ein Ende der Russlandsanktionen, das Öffnen der Pipeline Nord Stream 2 und einen Rücktritt der gründominierten „Ampel“-Koalition auf die Straße gehen. Das ist für die grundsätzlich Antifa-orientierte Linke und ihre derzeitige Erscheinungsform, die Lifestyle-Linke, der Albtraum.
Im Zentrum der Querfront-Träumereien steht vor allem die Person von Sahra Wagenknecht, die auch innerhalb der Rechten große Sympathien erfährt. Wie gerechtfertigt ist diese positive Beurteilung vieler Rechter?
Ich halte nicht viel von Querfront-Träumereien, zumindest nicht bei uns in der BRD. Wir haben in Deutschland eine spezifische historische Situation. Aus dieser ergibt sich u.a., dass unsere politische Linke, so vielfältig sie in sich sein mag, aus unserem Blickwinkel wesentlich volksverneinend agiert. Es gibt Ausnahmen wie Wagenknecht, ja, und ihre Rolle ist ambivalent zu bewerten.
Einerseits ist sie z. B. die beliebteste Politikerin in der AfD-Wählerschaft. Sie vertritt Standpunkte, die hervorragend zur AfD, mindestens im Osten, passen. Es sind souveränistische, populistische und globalisierungskritische Aspekte, die ich in meinem Buch „Blick nach links“ – schon wieder Werbung, pardon! – vorstelle und Schritt für Schritt auf Kompatibilität mit dem Solidarischen Patriotismus abklopfe. Sie öffnet den Diskursraum für entsprechende weltanschauliche Ansätze und speist zudem realpolitische Impulse in die politische Öffentlichkeit ein. Da kann man ansetzen, das hilft.
Andererseits ist Wagenknecht nach wie vor in der Linkspartei, wo ihre Strömung für maximal 25 Prozent der Mitglieder sprechen darf. Der Bundeskurs ist Wagenknechts Kurs krass entgegengesetzt. Indem sie also für die Linke weiter in TV und anderswo agiert, führt sie mit volksnahen Argumenten und konsequent sozialem Kurs potenzielle Wähler ausgerechnet zu einer Partei, in der volksverneinende, woke und linksglobalistische Programmatik weiterhin dominiert. Das ist eine Art Etikettenschwindel, den es als solchen zu benennen gilt. Aber: Das erledigt sich von selbst. Ich denke allmählich, dass die Linkspartei in dieser Form, wie sie am 14. September existiert, den „heißen Herbst“ und den eiskalten Winter nicht überleben wird.
Thema „Heißer Herbst“: Wie schätzen sie die Chancen der kommenden Protestwelle ein? Wie stark wird die Politik gezwungen sein, darauf zu reagieren?
Die Protestwelle rollt. Wie zu erwarten, fand sie ihren Auftakt im Osten der Republik. Plauen, Magdeburg, Chemnitz, Leipzig, Schwarzenberg oder auch Zwickau: Tausende sind bereits im Frühherbst auf den Straßen. Allein in Sachsen waren es am Montag (12. September) mehrere Zehntausend! Ich denke, das wächst. Das wird groß. Ob die Politik aber reagieren muss, hängt von der Frage ab: wie groß? Die Wachstumskurve der Proteste ist entscheidend. Eine Prognose fällt schwer, das hängt alles von einer komplexen Gemengelage ab, die mindestens Außenpolitisches, Innenpolitisches und die allgemeine Sicherheits- und Versorgungspolitik betrifft. Vielleicht stürzt Habeck, nicht aber Scholz, vielleicht schaffen es auch beide durch den Krisenherbst und -winter? Das wissen wir nicht. Was wir wissen: Geschichte ist offen. Das Politische kehrt zurück. Und wir alle sind der Aufbruch. Ist doch auch was.
Könnte es im Herbst einer Gruppe aus dem rechten Milieu gelingen, die organisatorische Führung und strategische Leitung einer breit angelegten Protestbewegung aus dem Volk zu übernehmen?
Ist das denn nötig? Wichtig ist es, dass alles friedlich bleibt und die Multiplikatoren einzelner Parteien und Orgas nicht beginnen, ihr persönliches Süppchen über das Kollektivinteresse zu stellen. Spaltung schadet. Es geht zunächst um Sammlung, um Mobilisierung, um ein Signal an das träge und sedierte Land. Das geht am besten, wenn der Protest das Maximalmögliche an Vielfalt aufbietet. Dass sich jeder sozusagen mitgenommen fühlt. Wenn Menschen hingegen das Gefühl bekämen, dass einzelne Akteure – auf ihrem Rücken und unter Anrufung ihrer Interessen – ein zu stark subjektiv interessengeleitetes politisches Geschäft betreiben wollen, würde das den Aufwärtstrend mindestens abschwächen. Das Volk auf der Straße hat ein gutes Gespür dafür, wer es ernst meint. Und derjenige wird dann automatisch profitieren politisch.
Profitieren rechtspopulistische Parteien wie die AfD oder die FPÖ denn automatisch von dieser Krise? Wenn nicht, was müssten sie tun, um das entstehende Potenzial auszuschöpfen?
Ich bin der Meinung, dass Wahlresultate einer Art Drittelprinzip unterliegen. Vereinfacht gesagt: Ein Drittel hängt von objektiven Gegebenheiten ab, vom allgemeinen politischen Zustand des Landes, der Wirtschaft usw. Ein zweites Drittel hängt von der „Performance“ der politischen Gegner ab. Und ein drittes Drittel hat man selbst in der Hand. AfD und FPÖ profitieren nun im ersten Drittel von der Krise. Im zweiten Drittel profitieren sie wiederum, diesmal aufgrund gewisser „Patzer“ der Etablierten. Und das dritte Drittel müssen sie selbst gestalten: offensiv, mutig, vorwärtsdrängend.
Sie profitieren ja insofern auch deshalb automatisch, als dass sie die einzigen parlamentarischen Kräfte sind, die zweifellos keinen Anteil an der Konvergenz der Krisen, wie wir sie nun erleben, besitzen. Sie waren und sind „dagegen“, sie sind kein Teil des hegemonialen Apparates, sie herrschen nicht. Was sie tun müssen, ist klar: als parlamentarische Interessensvertretung der Bürgerproteste wirken und entsprechend Druck ausüben. Zudem gilt es, „ins Volk zu gehen“, also nicht abseits zu stehen, wo sich Menschen versammeln, sondern selbst Initiative ergreifen und in der Fläche Präsenz zeigen.
Die Devise heißt: persönlich greifbar und inhaltlich volksorientiert sein! AfD und FPÖ müssen in der jetzigen Phase der Krisenkonvergenz zuallererst selbstbewusste Anwälte des Volkes sein.
Die Lage erscheint so dynamisch wie bereits lange nicht mehr – was sind die wichtigsten drei Punkte, die das rechte Milieu – von Partei über Gegenöffentlichkeit bis hin zu Bewegung – angesichts dessen beachten und beherzigen muss?
Erstens: Mut zum Widerspruch und zur Offensive, auch dann, wenn die Diffamierung durch Privat- und Staatspresse neue Formen annimmt.
Zweitens (und aus erstens folgend): Akzeptanz der Vielfalt der Protestler, und das heißt: Nicht jeder muss jeden mögen, nicht alles, was andere Akteure sagen oder denken, muss man unterschreiben. Aber es gilt sich stets daran zu erinnern, wer Haupt- und Nebengegner ist. Und Hauptgegner ist das derzeit grün dominierte herrschende Kartell mit seinen wichtigsten ideologischen Bausteinen Transatlantismus und Linksliberalismus.
Drittens: Gemeinschaftliche Solidarität steht über Individualinteressen. Das gilt, ganz konkret, auf der Straße, beim Protest, aber natürlich auch in der politischen Arbeit, in der Weltanschauung. Konkrete Solidarität ist rechts, abstrakte Solidarität links. Wer aber praktische Solidarität – als gegenseitige Hilfe in einer Gemeinschaft – ganz ablehnt, ist auch nur ein Kind des allgemeinen liberalen Verfalls.
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