Am morgigen Sonntag wird in Italien gewählt. Ein rechter Block – angeführt von Giorgia Meloni und ihren Fratelli d’Italia – könnte die absolute Mehrheit erringen. Das Establishment geifert und beschwört das Bröckeln der Demokratie. Doch was steckt eigentlich hinter der aufstrebenden Rechtspartei, die Salvini und seiner Lega den Rang abgelaufen hat? Unser Gastautor John Hoewer mit einer Einordnung.
Ein Gastbeitrag von John Hoewer
Die Rechtspartei Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“) liegt kurz vor den italienischen Parlamentswahlen in allen Umfragen vorne. Und wenn es nach den politischen Meinungsjournalisten der bundesdeutschen Presselandschaft geht, ist der Fall jetzt schon klar: Italiens Demokratie bröckelt. So jedenfalls der Aufmacher eines Online-Artikels der Tagesschau zu den anstehenden Parlamentswahlen in Italien am 25. September.
Rund 46,6 Millionen Italiener werden aufgerufen sein, gleich beide Kammern zu wählen. Die auf nationaler Ebene zu wählende Abgeordnetenkammer (Camera dei deputati), das Pendant etwa zu Bundestag und Nationalrat, sowie den Senat (Senato della Repubblica), die im italienischen Zweikammersystem mit nahezu gleichen Rechten ausgestattete Vertretung der Regionen.
Mitte-Rechts-Lager und Mitte-Links-Lager
Wenngleich die politische Landschaft der Republik Italien und insbesondere die Situation der politischen Parteien von ungeheurer Rasanz und Fragilität gekennzeichnet sind, bildete sich in den letzten Jahren und insbesondere hinsichtlich der vergangenen (Regional-)Wahlen eine gewisse Konstante heraus. So standen sich im Wesentlichen zwei Koalitionen respektive Wahlformationen gegenüber, das Mitte-Rechts-Lager (Centrodestra) und das Mitte-Links-Lager (Centrosinistra), letzteres mit den Sozialdemokraten des Partito Democratico als derzeit stärkstem Zugpferd.
Fratelli d’Italia und Giorgia Meloni
Kurz vor den Wahlen sehen Umfragen das Centrodestra in allen Umfragen vorne. Angeführt wird dieses nunmehr von den Fratelli d’Italia, die in allen Umfragen derzeit führende Kraft sind und die in Deutschland zuletzt bekannter gewordene Lega Nord und mit ihr Matteo Salvini weit hinter sich gelassen haben. Während Salvinis Lega Nord die vorherige Regierung des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi als Koalitionspartner unterstützte, setzten die Fratelli d’Italia auf konsequente Opposition. Mit einigem Erfolg. Und so verwundert es wenig, dass die „Brüder Italiens“ – eine Anspielung auf die erste Zeile der italienischen Nationalhymne – in bundesdeutschen Medien längst zum „rechtsextremen“ Schreckgespenst stilisiert werden. Zwar könnte mit FdI-Parteichefin Giorgia Meloni, im Kabinett Berlusconi IV (2008-2011) bereits Ministerin für Jugend und Sport, erstmalig eine Frau das Amt des Ministerpräsidenten bekleiden. Freude darüber kommt indes weder bei der etablierten Medienlandschaft in Italien noch im deutschsprachigen Raum auf. Vielmehr wird dort die langjährige politische Aktivität Melonis innerhalb der italienischen Rechten problematisiert. Alarmistische Warnhinweise auf Faschismus, Neofaschismus und Postfaschismus, die üblichen Rituale mithin, inklusive.
Eine neue Kräfteverteilung und demonstrative Einheit
Dabei wäre es in der jüngeren Vergangenheit Italiens keineswegs das erste Mal, dass eine ausdrücklich rechte Koalition die Regierungsgeschicke im Bel Paese übernähme. Bereits in immerhin vier Kabinetten (1994/95, 2001-2005, 2005/2006, 2008-2011) des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi regierten dezidiert rechte Parteien auf Bundesebene mit und stellten diverse Minister, darunter mit dem auch in Deutschland nicht gänzlich unbekannten Gianfranco Fini gar den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Außenminister. Matteo Salvinis Lega Nord regierte zuletzt im Bunde mit der Fünf-Sterne-Bewegung (Kabinett Conte I) sowie in der großen Koalition im Kabinett Draghi.
Neu ist nunmehr jedoch die Kräfteverteilung innerhalb der Mitte-Rechts-Formation. Waren es in vorherigen Fällen die eher christdemokratisch ausgerichteten Wahlformationen um Silvio Berlusconi, die als deutlich stärkster Partner die Koalitionen anführten, so ist dessen Partei Forza Italia nunmehr lediglich die kleinste Kraft innerhalb des Centrodestra.
Im längst heißen Wahlkampf zeigen sich Matteo Salvini und Giorgia Meloni siegesgewiss und in trauter Eintracht. „Uniti si vince“ – vereint gewinnen wir – so das Motto der beiden Parteiführer, während sie freundschaftlich umarmt vor azurblauem Himmel und Meer auf Instagram posieren.
Die zwei Völker der italienischen Rechten
Dabei könnten zahlreiche weltanschauliche Grundsätze sowie die historischen Entstehungen beider Parteien unterschiedlicher nicht sein. Beide bilden sozusagen die Gegenpole innerhalb dessen, was man als „die zwei Völker der italienischen Rechten“ bezeichnen könnte. Einerseits die norditalienischen Sezessionisten der Lega Nord – die „Padanier“. Inspiriert weniger bis kaum durch italienisch-nationale Ideen als durch regionalpopulistische Ansätze, mit dem Hauptziel eines von neoliberalen bis libertären Wirtschaftsvorstellungen motivierten Föderalismus, aus dem zuvörderst auch die EU-skeptische Haltung der Lega Nord gespeist wird.
Den Gegenpart dazu stellen die Anhänger des Impero, der italienischen Reichsidee respektive in der Gegenwart eher eines starken italienischen Zentral- und Einheitsstaates, der nunmehr gleichwohl in den Statuten der modernen Repubblica Italiana verwirklicht werden soll. Im Gegensatz zu den libertären wirtschaftspolitischen Entsolidarisierungstendenzen dominieren hier sozialstaatlich orientierte und etatistisch bis gar sozial-korporatistische Ansätze im Sinne handfester, durch nationale Interessen motivierter Interventionen des Staates in das Wirtschaftsleben. Das partei- und wahlpolitische Hauptarchipel dieser dennoch insbesondere organisatorisch heterogenen Strömung innerhalb der italienischen Rechten verkörpern nunmehr die Brüder Italiens.
Fratelli d’Italia: Eine wechselhafte Geschichte
Während die Lega Nord ironischerweise, da erst 1989 gegründet, nach den Turbulenzen des italienischen Parteiensystems die nunmehr älteste noch bestehende Großpartei des Landes ist, blicken die Brüder Italiens auf eine ungleich wechselhaftere Geschichte zurück.
Verfolgt man die historische Entwicklung der Partei konsequent zurück, so lässt sich das geistige und organisatorische Fundament eindeutig in eine ideengeschichtliche und auch organisatorische Tradition beziehungsweise Erblinie setzen, die ihren Ursprung tatsächlich im historischen Faschismus hat. Sowohl im Faschismus der Bewegung (also vor der Machtübernahme Benito Mussolinis im Jahre 1922) als auch im Faschismus des Regimes des schwarzen Doppeljahrzehnts (1922-1943 bzw. 1945). Insbesondere jedoch in dessen letzter Ausprägung, der italienischen Sozialrepublik – im Italienischen abgekürzt RSI (Repubblica Sociale Italiana) -, an deren sozialrevolutionärem Anspruch die tatsächlichen Neofaschisten in der Nachkriegszeit anzuknüpfen versuchten.
Movimento Sociale Italiano (MSI)
Bereits 1946, genauer gesagt am 26. Dezember 1946 und damit auf den Tag genau 20 Monate nach der Verhaftung Benito Mussolinis am 26. April 1945, gründete sich das Movimento Sociale Italiano (MSI). Es sollte für knapp ein halbes Jahrhundert der dominante politische Faktor der italienischen Rechten werden und bis in die 1990er Jahre die einzige rechte Partei von landesweiter Relevanz bleiben, die sich in der politischen Landschaft auf nationaler Ebene halten konnte.
Zunächst politisch völlig isoliert, durchlief die Partei im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Spaltungen sowie organisatorische und strategische Transformationen, in deren Zuge sich abwechselnd die verschiedenen Lager durchzusetzen vermochten. Bis in die 1990er Jahre sollte ein Wahlergebnis von 8,7% bei den Parlamentswahlen 1972 der größte Erfolg bleiben. Innerhalb des Parteiensystems blieb die Partei strikt aus dem sogenannten „Verfassungsbogen“ ausgegrenzt.
Strategiewechsel und Entstigmatisierung
Erst zu Beginn der 1990er Jahre gelang der Partei eine gewisse Entstigmatisierung. Dies lag durchaus an einem neuerlichen strategischen Wandel unter dem seinerzeitigen Parteichef Gianfranco Fini, Vertreter des gemäßigteren Lagers. Entscheidend war jedoch nicht zuletzt der völlige Zusammenbruch des damaligen Parteiensystems angesichts der in ihrem Ausmaß geradezu absurden Korruptionsskandale, in deren Zuge gegen über 5000 Personen ermittelt wurde. Infolge dieser Skandale wurden nahezu alle etablierten Parteien, insbesondere die Regierungsparteien Democrazia Cristiana sowie die Sozialisten, atomisiert. Zwar befand sich das seinerzeit (tatsächlich) noch neofaschistisch orientierte MSI in einem steten Niedergang. Indes hatten die völlige Isolation und der Ausschluss der Partei von sämtlichen Staatsämtern und sonstigen Versorgungströgen der Republik dafür gesorgt, dass die Partei von den Korruptionsskandalen völlig unbefleckt blieb – und allein dadurch sowie durch das nun frei gewordene Wählerpotenzial rechts der Mitte einen starken Zustimmungszuwachs verbuchen konnte.
Alleanza Nazionale: Vom Neo- zum Postfaschismus
Bereits zu den Parlamentswahlen 1994 trat die Partei unter einem neuen Wahlvorschlag an: Alleanza Nazionale. Unter dem neuen Label erreichte die Partei mit 13,5% ein Rekordergebnis und trat als Juniorpartner von Silvio Berlusconi in die Regierung ein. Es folgten im Januar 1995 die formale Umbenennung sowie die offizielle Abkehr vom historischen Faschismus, den Parteichef Fini fortan mehrfach expressis verbi scharf verurteilte. Hieran mag man nun festmachen, dass aus den Neofaschisten die Postfaschisten wurden, wenngleich derartige Nuancen in den schrillen Berichterstattungen der offiziösen und selbst aktivistisch motivierten deutschen Medienlandschaft untergehen.
Nach diversen gemeinsamen Regierungsbeteiligungen geriet das Mitte-Rechts-Lager durch die erfolgreiche Reorganisation des Centrosinistra in Form des Partito Democratico (2007) zunehmend unter Druck. Die am Vorbild des PD orientierte engere Organisation von Alleanza Nazionale und Berlusconis Forza Italia als gemeinsamer Wahlkoalition führte im Jahr 2009 schließlich zur Auflösung der Alleanza Nazionale beziehungsweise zu ihrer Überführung in die nunmehr einheitliche und christdemokratisch dominierte Partei „Volk der Freiheit“ (Popolo della Libertà, PdL).
Die Geburt der Fratelli d’Italia
Wiederum einige Jahre später verließen Teile der ehemaligen Alleanza Nazionale die PdL wieder und gründeten neuerlich eine nunmehr dezidiert rechte und nationalkonservative Partei: die Fratelli d’Italia. Kurz darauf ausgestattet mit dem offiziellen Erbe der Alleanza Nazionale, das sich nicht nur in der traditionellen Symbolik der dreifarbigen Flamme erschöpfte, sondern neben politischen Anknüpfungspunkten und diversen Vorfeldströmungen des rechten ambiente, insbesondere die offizielle Rekonstitution von Parteivermögen und diversen Immobilien, umfasste.
Heute, zehn Jahre später, stehen die Brüder Italiens vor dem größten Wahlerfolg einer Rechtspartei überhaupt in der Geschichte der Republik Italien. Und könnten in wenigen Wochen zum ersten Mal überhaupt selbst den Regierungschef stellen.
Hinweis: Dieser Beitrag erscheint in der Printausgabe der „Burschenschaftlichen Blätter“ und wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
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