Am heutigen Tag der Deutschen Einheit bekräftigte Polen die absurde Reparationsforderung an Deutschland, die mit insgesamt 1,3 Billionen Euro beziffert wird. Wir haben das zum Anlass genommen, um dem Historiker Dr. Stefan Scheil einige Fragen zum historischen Hintergrund und zur Legitimität dieser Forderung zu stellen.
Der Heimatkurier hat bereits ausführlich über die Forderungen sowie deren Unterstützung durch den konservativen Publizisten David Engels berichtet.
Heimatkurier: Herr Dr. Scheil, in Wissenschaft und Öffentlichkeit herrscht die Alleinschuldthese Deutschlands am Zweiten Weltkrieg vor. Wenn man sich in den Geschichtsunterricht zurückversetzt sieht, bekommt man den Eindruck, Deutschland war ’39 von friedliebenden Nachbarn umgeben, die es der Reihe nach überfallen hat. In ihrem Buch „Polen 1939“ betrachten sie das Geschehene kritischer. Inwieweit kann man sagen, dass Polens Politik in den 30er Jahren einen Krieg mit sehendem Auge in Kauf genommen hat?
Dr. Scheil: Die Republik Polen hat zwischen 1919 und 1939 gewaltsame Konflikte mit fast allen Nachbarstaaten in Kauf genommen. Sie hat 1920 Sowjetrußland angegriffen, sie hielt fast den ganzen Zeitraum über Teile Litauens besetzt und sie marschierte 1938 in die Tschechoslowakei ein. Auch die polnisch-deutsche Grenze hielt man in Warschau für vorläufig und ging von einem Konflikt mit Berlin aus, der früher oder später kommen würde, weil beide Seiten den aktuellen Zustand nicht akzeptierten. Polens Politik der 30er Jahre läßt sich als Versuch sehen, für diesen Fall eine möglichst günstige internationale Situation herbeizuführen. Deutschland sollte isoliert werden, Polen als Verbündeter des Westens auftreten können. Diese Lage schien 1939 gegeben zu sein, insofern kam der Krieg „sehenden Auges“ und Polen hat ja seine Streitkräfte auch zuerst dafür mobilisiert.
David Engels sprach vor kurzem von der völligen Vernichtung der polnischen Infrastruktur durch Deutschland. Inwieweit ist diese Aussage seriös?
Das ist eine komplizierte Frage. Natürlich wurde in Polen, wie in allen besetzten Gebieten, sowohl zerstört als auch investiert. Letzteres teilweise in gigantischem Ausmaß, denn es galt ja, Europa wirtschaftlich für die deutsche Kriegswirtschaft nutzbar zu machen. Die verbreitete Vorstellung, die europäischen Besatzungsgebiete seien von Deutschland lediglich ausgeplündert worden, geht an der Realität vorbei. Gegen Kriegsende gab es dann aber erneut Kämpfe und teilweise willkürliche Zerstörungen in diesen Gebieten. Bekannte Fälle sind ja die Ukraine oder Nordnorwegen, wo teure Bauwerke wie Brücken und Bahnlinien gerade rechtzeitig fertig geworden waren, um auf dem Rückzug wieder gesprengt zu werden. Eine genaue wirtschaftliche oder rechnerische Bilanz ist sehr schwer zu ziehen, wobei die neuerdings aus Warschau genannten 1,3 Billionen Euro allerdings jedes seriös nachvollziehbare Maß übersteigen. Das ist eine offenkundig rein polemische Forderung, die mehr der aufgereizten polnischen Innenpolitik geschuldet ist, als dass sie eine empirische Grundlage hätte.
Polen erhielt nach dem Krieg von Deutschland ein Gebiet von etwa 115.000 Quadratkilometern. Ein Viertel der gesamten Reichsfläche. Sind da weitere Reparationszahlungen überhaupt erklärbar? Wie hoch war der Wert dieses Landes?
Hierbei dreht sich der Streit ja darum, ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen den deutschen Gebietsverlusten und eventuell ausstehenden Reparationszahlungen gibt. Da immer noch kein formaler Friedensvertrag existiert, in dem solche Streitpunkte ausdrücklich geregelt worden wären, ist auch das ein heikler Punkt. Nebenbei bemerkt, geht Ihre obige Angabe der Relation der Vertreibungsgebiete von den deutschen Grenzen von 1937 aus. Dem Deutschen Reich wurde aber am 3. September 1939 in seinen damals international anerkannten Grenzen der Krieg erklärt und es gibt bis heute keinen Vertrag, der diese Grenzen völkerrechtlich verbindlich ändern würde. Zwar wurde Österreich 1945 ebenfalls in Besatzungszonen aufgeteilt, aber im Allgemeinen drückten sich die Aliierten Nachkriegsregelungen um dieses Thema herum.
Wie auch immer, gingen die polnisch-deutschen Grenz- und Freundschaftsverträge jedenfalls davon aus, auch die Geldfrage sei geregelt, spätestens mit der russischen Erklärung von 1953, keine weiteren Reparationen zu verlangen, der sich die polnische Regierung damals angeschlossen hat. Wenn Polen diese Regelungen nicht mehr anerkennt, was teilweise mit der Begründung geschieht, sie seien durch kommunistische Regime geschlossen worden, stehen auch die polnisch-deutschen Grenzen wieder komplett in Frage. Natürlich sagt sich der sozusagen gesunde Menschenverstand, es gäbe heute Wichtigeres oder anderes zu verhandeln, aber der hat in der Weltpolitik oft keineswegs den angemessenen Einfluß.
Welchen Anteil an den von den Polen beklagten Schäden an ihrem Land in den Jahren 39-45 trägt die Rote Armee? Müsste Polen konsequenterweise nicht auch Forderungen an Russland stellen?
Einen erheblichen. Russland hat 1939 die Hälfte Polens besetzt, geplündert und Hunderttausende Menschen von dort verschleppt, zur Zwangsarbeit gezwungen und teilweise ermordet.
Das müßte Polen eigentlich sowieso ausschließlich tun, denn in den Potsdamer Abmachungen von 1945 haben die Alliierten beschlossen, alle polnischen Reparationsansprüche seien aus der sowjetrussischen Beute zu begleichen. In Abschnitt Vier, Absatz Zwei, steht dazu der lapidare Satz: „Die UdSSR wird die Reparationsansprüche Polens aus ihrem eigenen Anteil an den Reparationen befriedigen.“ Auch deshalb erhielten beide östliche Staaten ja neben der späteren DDR noch ganz Ostdeutschland „zur Verwaltung“ zugesprochen. Wer sich in Warschau also auf das sogenannte „Potsdamer Abkommen“ beruft, das ja die politische Grundlage der Nachkriegsordnung Mitteleuropas gelegt hat, muß Reparationsansprüche eigentlich ohnehin nach Moskau richten. In Warschau versucht man aber sozusagen derzeit, den Potsdamer Kuchen gleichzeitig als Grenzsicherung zu behalten und ihn in Reparationsfragen als gegessen zu betrachten.
Wie schätzen Sie die Erfolgschancen der polnischen Forderungen ein? Wird diese Bundesregierung eventuell Zahlungsbereitschaft zeigen? Sind die Forderungen eventuell sogar über EU-Ebenen einklagbar?
Direkte Erfolgschancen gibt es keine. Auch international bestehen überhaupt keine Aussichten für Polen, entsprechende Urteile zu erwirken. Prinzipiell wäre das dann ja auch keine rein Deutschland betreffende Frage mehr. Derart an den Haaren herbeigezogene Billionenrechnungen für irgendwelche Kriege der Vergangenheit stünden theoretisch jedem Staat ins Haus, der jemals Krieg geführt hat. Daran hat niemand Interesse. Wenn man auch zweifellos davon ausgehen kann, daß es sehr wohl an vielen Stellen Beifall findet, wenn die Bundesrepublik mit angeblich weiter unbezahlten Weltkriegsrechnungen politisch unter Druck gesetzt wird. Und sicher wird es Berlin auch künftig an indirekten Zahlungen über den EU-Haushalt nicht fehlen lassen. Schon seit fast zwei Jahrzehnten geht der deutsche Nettobeitrag über Brüssel überwiegend nach Warschau.
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