Schuldkult à la AfD? – Gemeinsam mit dem russischen Botschafter legte AfD-Chef Tino Chrupalla am 80. Jahrestag der deutschen Niederlage in Stalingrad einen Kranz im brandenburgischen Seelow nieder. An einem sowjetischen Siegesmahl und ausschließlich für Soldaten der Roten Armee. Deutsche Soldaten fanden im Rahmen des Gedenkens lediglich als „deutsch-faschistische Truppen“ Erwähnung. Ein falsches Signal, das es zumindest zu hinterfragen gilt.
Ein Kommentar
Am 2. Februar 1943 endete im Südwesten Russlands eine der bekanntesten Schlachten des 20. Jahrhunderts. Stalingrad gilt als Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges. Mag das unter strategisch-taktischer Betrachtung auch falsch sein, so trifft es auf psychologischer Ebene zu. Ein Sieg der Achsenmächte über Russland, von dem 1941 noch alle Welt ausgegangen war, rückte in weite Ferne. Die Wehrmacht, die in den Jahren davor von Sieg zu Sieg geeilt war, verlor ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit. Der Triumph der Alliierten zeichnete sich immer deutlicher ab. Folglich war Stalingrad fortan wichtiges Element der Kriegspropaganda. Nach dem gewonnenen Krieg etablierte sich in der UdSSR ein regelrechter Gedenkkult um die Stadt, der auch im post-sowjetischen Russland noch nachwirkt. Das geht so weit, dass die Stadt, die heute Wolgograd heißt, vor 10 Jahren anlässlich des Jubiläums der Schlacht für sechs Tage wieder offiziell in Stalingrad umbenannt wurde.
Chrupalla als Statist: Kein Gedenken auf Augenhöhe
All das muss man wissen und verstehen, um den Auftritt des AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla am vergangenen Donnerstag im Rahmen des Stalingrad-Gedenkens in Brandenburg einordnen zu können. Hier fand nämlich keineswegs ein gemeinsames, versöhnendes Gedenken zweier Nationen statt, die einst einen erbitterten Krieg geführt haben und sich nun auf Augenhöhe begegnen. Es war das genaue Gegenteil: Chrupalla durfte den deutschen Statisten in einer russischen Siegeszeremonie spielen. Es ist nicht das erste Mal, dass sich der AfD-Vorsitzende mit der russischen Geschichtsauffassung solidarisiert. So sprach er letztes Jahr bei einem Moskaubesuch vom „deutschen Überfall auf Russland“ – eine Kontroverse innerhalb der AfD und des rechten Lagers war die Folge. Sein ungeschickter Auftritt bei der russischen Gedenkfeier sorgt nun erneut für Kritik.
Ein fragwürdiges Geschichtsverständnis
Gedenken Politiker einer Schlacht, in der sich ihre Nationen einst gegenübergestanden haben, so wird gewöhnlich den Gefallenen beider Seiten gedacht. Laut der Eigendarstellung der russischen Botschaft diente die Veranstaltung allerdings ausschließlich der Ehrung „der Soldaten der Roten Armee“, die für die „Zerschlagung der deutsch-faschistischen Truppen“ und letztlich „Hitlerdeutschlands“ gesorgt hätten. Ein aus deutscher Sicht fragwürdiges Verständnis, das den Zweiten Weltkrieg einmal mehr jeglichen historischen Kontextes beraubt. Die vermittelte Darstellung: Anders als in den Kriegen zuvor hätten zwischen 1939 und 1945 nicht Nationen und Völker – aus tatsächlichen oder empfundenen – politischen und wirtschaftlichen Interessen und Notwendigkeiten gegeneinander Krieg geführt. Nein: Ausschließlich der „Faschismus“ und „Hitler“ hätten Krieg geführt – und jeder Soldat auf Seiten des Deutschen Reichs sei ein „Nazi“ gewesen.
Zementierung des Schuldkults
Das Framing der russischen Gedenkveranstaltung fügt sich nahtlos in jenen Schuldkult ein, den Chrupalla und seine Partei eigentlich bekämpfen wollen. Im Parteiprogramm der AfD heißt es dazu: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“ Hinzukommt, dass ein großer Teil – nämlich über eine halbe Million – der in Stalingrad auf deutscher Seite gefallenen Männer aus den verbündeten Nationen Ungarn, Italien oder Rumänien stammt. Zusätzlich gab es unzählige Freiwillige aus Frankreich, Spanien oder Norwegen. Sie kämpften nicht für „Hitler“ oder „deutsche Herrschaftspläne“, sondern als Soldaten für ihre jeweiligen Heimatländer und als europäische Freiwillige gegen den Kommunismus – also gegen jene totalitäre Idee, die die meisten Toten der Menschheitsgeschichte zu verantworten hat und in Russland teils nach wie vor heimliche bis unverhohlene Verehrung findet.
Soldaten kämpften für ihre Heimat
Doch auch die deutschen Soldaten der Wehrmacht und anderer Verbände, die in den Kämpfen um die Stadt ihr Leben gelassen haben, taten dies in erster Linie für Deutschland und ihre Heimat. Nicht für „Hitlerdeutschland“, sondern für ihr konkretes Vaterland. Das Land, in dem ihre Familien, ihre Frauen, Eltern und Kinder lebten. Das sie liebten. Dieser Umstand verbindet sie mit vielen der russischen Gefallenen, welche ebenfalls nicht allesamt für Stalin oder den Kommunismus in die Schlacht zogen, sondern für ihre Heimat. Denn als der deutsch-russische Krieg ausgebrochen war, rief der Sowjetstaat den „Großen Vaterländischen Krieg“ aus. Jahrelang hatten die Kommunisten die Bedeutung von Nation und Herkunft geleugnet. Als man 1941 die Opferbereitschaft im Volk heben musste, war man plötzlich gezwungen, sich wieder auf patriotische Gefühle und das „Vaterland“ zu berufen.
Keine positive Umgestaltung der Erinnerungskultur
Alle gefallenen Soldaten, die tapfer und treu gedient haben, haben verdient, dass man ihrer würdig gedenkt – egal, wer ihr politisches Oberhaupt war. Und auch die 100.000 Kriegsgefangenen aus allen Teilen Europas, die bei Stalingrad in die Gefangenschaft gingen und von denen nicht einmal 6.000 die russischen Gulags überlebten, haben diese Erinnerung verdient. Ein AfD-Vorsitzender, der auf deutschem Boden einer Gedenkveranstaltung beiwohnt, die die eigenen Vorfahren ausschließt, aber jenen Rotarmisten gedenkt, welche Millionen deutscher Frauen schändeten und vergewaltigten, trägt nichts zu einer positiven Umgestaltung bundesdeutscher Erinnerungskultur bei. Ganz im Gegenteil, er betreibt die Arbeit jener, die seit Jahren daran arbeiten, den 8. Mai zum „Tag der Befreiung“ umzudeuten.
Selbstachtung und Versöhnung schließen sich nicht aus
In seiner Gedenkrede zum ersten Volkstrauertag am 5. März 1922 fand der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) folgende Worte: „Ein Volk, das seine Toten ehrt, ehrt sich selbst und wird daraus die Kraft schöpfen, den Weg zu neuem Leben, zum hellen Tage zu suchen. Ein Volk, das seine Toten ehrt, wird ein gemeinsames Band schlingen um viele Seelen, denen dasselbe Leid widerfuhr, und wird dieses Band auch ausdehnen auf die Mütter an der Wolga und am Tiber, deren Schmerz um den nicht mehr heimgekehrten Sohn nicht minder ins Herz sich fraß als der Mutter an der Donau und am Rhein.“
In diesen Worten eines Sozialisten lassen sich zugleich nationale Selbstachtung, Respekt vor den Toten des Feindes sowie der Wunsch nach einer Geste der Versöhnung und des Friedens finden. Tino Chrupalla und seine AfD wären gut beraten, sich in Zukunft an diesen Grundsätzen zu orientieren.
Ihnen gefällt unsere Arbeit? Sie können den „Heimatkurier“ dauerhaft fördern oder einmalig unterstützen.