63 Mitglieder des Europäischen Parlaments haben einen Brief an die EU-Kommission unterzeichnet, der den Ausschluss Ungarns aus dem Schengenraum fordert. Der Grund: Visaerleichterungen für Russen und Weißrussen in Ungarn.
Wann immer in irgendeinem europäischen Land strengere Regeln für Migration gefordert werden, ist die spöttische Bemerkung nicht weit, dass dies sowieso nur populistisches Gepolter sei. Denn am Ende entscheide die EU über das Asylrecht, und die Nationalstaaten hätten da nichts zu melden.
Ungarn zeigt, wie’s geht
Dass es auch anders geht, dafür ist Ungarn seit über einem Jahrzehnt das beste Beispiel. Jetzt hat Ungarn aber eine Erleichterung der Einreisebestimmungen eingeführt: die „Nationalkarte“ (Nemzeti Kártya). Mit dieser Karte können fremde Staatsbürger für bis zu zwei Jahre in Ungarn leben und arbeiten. Das Besondere: Nicht jeder Mensch auf der Welt kann sie beantragen, sondern nur die Bürger bestimmter osteuropäischer Staaten, die nicht bereits Teil des Schengenraums sind. Ungarn will damit seinen Arbeitsmarkt für Menschen aus diesen Staaten öffnen. Zunächst waren dies bei der Einführung der Karte Serbien und die Ukraine.
Grenzkontrollen zu Ungarn?
Nun hat Ungarn die Nationalkarte auf Russland und Weißrussland ausgedehnt. Damit stellt Ungarn auf nationaler Ebene den Zustand wieder her, der herrschte, bevor die Europäische Union das Visaabkommen mit beiden Ländern suspendiert hatte. Mit dieser Migrations-Erleichterung ist in Brüssel nicht jeder zufrieden. 63 Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben nun in einem Brief an die Europäische Kommission den Ausschluss Ungarns aus dem Schengenraum gefordert. Sollte das tatsächlich durchgesetzt werden, dann würden an den Grenzen zwischen Ungarn und anderen europäischen Staaten wieder Grenzkontrollen eingeführt.
Das Risiko für die Europäische Union minimieren
In einer Debatte im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments am 4. September erklärte Ylva Johansson, die schwedische EU-Kommissarin für Inneres, Russland zur Bedrohung für die Europäische Union, die Demokratie und den Frieden. Alle Anstrengungen müssten unternommen werden, um das Risiko zu minimieren, das russische und weißrussische Staatsangehörige für die EU darstellen.
Wann minimiert die EU das Risiko für die europäischen Bürger?
Angesichts der sperrangelweit offenen europäischen Außengrenzen eine absurde Wortwahl. Als ob der russische Geheimdienst auf erleichterte Visabedingungen angewiesen wäre, um einen Spion einzuschleusen. Aber diese Sprache zeigt die Prioritäten der europäischen Elite: Denn um das Risiko, das Millionen Migranten aus dem Mittleren Osten und Afrika für die Bürger der Europäischen Union darstellen, zu minimieren, strengt man sich in Brüssel nicht besonders an. Droht irgendwer Italien mit dem Ausschluss aus dem Schengenraum, weil es illegale Migranten einfach weiterleitet, anstatt sie abzuschieben?
Selbst Donald Tusk ist das zu dumm
Das Ulkige an dem ganzen Vorstoß ist, dass es sich offenbar um reines Virtue Signaling der stumpfsinnigsten Abgeordneten des Europäischen Parlaments handelt. Ein Virtue Signaling, das freilich den europäischen Zusammenhalt zusehends untergräbt. Weswegen ausgerechnet der polnische Ministerpräsident Donald Tusk zur Mäßigung aufruft: „Der Ausschluss von Schengen wäre auch der Anfang von Ungarns Austritt aus der Europäischen Union. Wir sollten vorsichtig damit sein, Länder aus der Europäischen Union auszuschließen.“
Tusk ist ein diktatorischer Eurokrat
Tusk ist ein Eurokrat, der, ohne dass es dafür einen mahnenden Zeigefinger aus Brüssel gäbe, in Polen gerade die Erbschaft der nationalkonservativen PiS-Regierung mit diktatorischen Mitteln abräumt. Tusk scheut nicht davor zurück, politische Gegner trotz parlamentarischer Immunität vor laufender Kamera verhaften zu lassen. Richter werden entlassen, 2.500 von der Vorgängerregierung eingesetzte Richter müssen einen Loyalitätstest ablegen oder ihre Ämter räumen. Als sich Adam Glapiński, der Chef der Zentralbank, gegen die Einführung des Euro sträubte, erklärte der Innenminister: „Einige starke Männer werden kommen und ihm den Weg nach draußen zeigen.“
Der Krieg ist verloren, jetzt müssen die Scherben aufgesammelt werden
Doch im Gegensatz zu Ylva Johansson und den Unterzeichnern dieses Briefes an die EU-Kommission scheint Tusk intelligent genug zu sein, um zwei Dinge zu begreifen:
- Der Krieg in der Ukraine ist verloren. Die Front bricht gerade zusammen, und trotz lauten Säbelrasselns haben die Polen keine Lust, als nächster Rammbock gegen Putin verbraucht zu werden.
- Die Europäische Union ist existenziell bedroht. Nicht durch Putin, sondern durch die internen Fliehkräfte. Die auf Permanenz gestellte Migrationskrise reißt den Staatenverbund auseinander. Der Ukrainekrieg kam mit seinen Folgen für die europäische Wirtschaft nur noch oben drauf. Kluge Eurokraten wie Tusk wissen, dass sie jetzt erst einmal die Scherben zusammenkehren und ihr Schiff auf Vordermann bringen müssen. Ob diese kühleren Köpfe sich gegen die Berufshysteriker durchsetzen können, daran hängt das Schicksal der Europäischen Union.